In ihrem Buch „Alltags verlangt man ein bisschen Esprit“ entfaltet die Germanistin Lydia Schieth auf ebenso vergnügliche wie kenntnisreiche Weise sechs fiktive Gespräche über Werk und Leben Theodor Fontanes. Lydia Schieth, 1952 in München geboren, unterrichtete 25 Jahre lang an einem Regensburger Gymnasium. Zuvor arbeitete sie am Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturwissenschaft der Universität Bamberg.
Lydia Schieth: Dass in seinen Romanen auf der Handlungsebene nicht so viel passiert wie beispielsweise bei E.T.A. Hoffmann, hat Fontane selbst eingeräumt. Zu detaillierten Beschreibungen und historischen Erläuterungen fehlt gerade jungen Lesern oft die Geduld. Aber unter der vielleicht etwas beschaulichen Oberfläche brodelt es in Fontanes Romanen doch ganz gewaltig. Das muss man nur freilegen.
Schieth: Ich denke schon. Fontane war viel im Ausland unterwegs. Er hat die politische Entwicklung Europas im Zeitalter des Imperialismus genau beobachtet. Er hat den Funktionsverlust der alten Eliten im Deutschen Kaiserreich analysiert und den Aufstieg des neuen Geldadels kritisch begleitet. Seine Eheromane sind modern, etwa „L?Adultera“. Darin geht es um die engen Grenzen, in denen sich Frauen Selbstständigkeit erkämpfen konnten.
Schieth: Fontane lernt man mit zunehmender Lebenserfahrung schätzen. Seine Gelassenheit, sein Sprachwitz und sein Humor sprechen aber durchaus auch junge Leute an. Fontanes Autobiografie „Meine Kinderjahre“ kann man in jedem Alter lesen. Dass 17-Jährige sich nicht spontan für Eheprobleme des Bürgertums im 19. Jahrhundert interessieren, dafür sollte man als Lehrer Verständnis aufbringen.
Schieth: So weit würde ich nicht gehen. Aber Fontane interessierte sich fraglos in besonderem Maße für das Schicksal von Frauen. Sie lagen ihm am Herzen. In seinen Romanen hat er ihr Innenleben auf sehr diskrete, aber gleichzeitig doch genaue Weise ausgeleuchtet. Man muss aber auch darauf verweisen, dass Fontanes Leserschaft fast ausschließlich weiblich war.
Schieth: Ich vermute, dass ihm dabei seine Arbeit als Apotheker zugutekam. Er dürfte durch seinen Beruf viel über die Befindlichkeiten und die Leiden der Frauen gewusst haben. Frauen waren zu seiner Zeit oft zur Passivität verdammt. Der einzige Weg, um sozial Karriere zu machen, war in der Regel die Heirat. Sie waren gesellschaftlichen Normen fast wehrlos ausgeliefert.
Schieth: Fontane stand jedenfalls aufseiten der Frauen. Als Vater legte er großen Wert darauf, dass seine Tochter in den Genuss einer guten Ausbildung kam. Einige seiner weiblichen Romanfiguren wie Pauline Pittelkow aus der „Stine“ oder „Mathilde Möhring“ erkannten Bildung als Möglichkeit für Emanzipation und sozialen Aufstieg.
Schieth: Nun, es sind weiß Gott keine strahlenden Helden. Vor allem die Männer sind abhängig von Konventionen, eitel, entscheidungsschwach. Sie haben Angst vor den gesellschaftlichen Folgen ihres Handelns. Aber gerade diese innere Zerrissenheit macht Fontanes Figuren menschlich und interessant. Man kann sich in ihnen auch selbst erkennen.