(dpa/tbr) Seine Stimme war es, die den Schauspieler Otto Sander so unverwechselbar machte. Sanft, sonor und manchmal etwas abgründig drang sie den Menschen durchs Ohr direkt in die Seele. Jetzt ist sie verstummt. Sander starb am Donnerstag im Alter von 72 Jahren in Berlin. Er galt als einer der ganz großen Darsteller des deutschsprachigen Theaters. Auf den Bühnen und auf der Leinwand war er aber zuletzt nur noch selten zu sehen. Seine rar gewordenen Auftritte gaben immer wieder Anlass zur Sorge – es ging ihm sichtlich nicht gut. Seit mehreren Jahren war Sander an Krebs erkrankt.
Sanders Stimme war den Deutschen aber auch ohne regelmäßige Theater- und Fernsehauftritte oft im Ohr. Nicht nur in der Werbung und als Synchron- und Offsprecher war er zu hören. Sander war auch einer der begehrtesten Sprecher für Hörbücher von Ringelnatz und Wilhelm Busch über Shakespeare bis zu Beckett, den er noch persönlich erlebt hatte.
Der Stiefvater von Ben Becker
Mit seiner Frau, der Schauspielerin Monika Hansen, genoss Sander über Jahrzehnte das Berliner Gesellschaftsleben – und seinen Stammplatz in der „Paris Bar“. An der Theke ist eine Messingtafel mit seinem Namen ins Holz eingelassen – „über Jahre erarbeitet durch ewiges Dummrumstehen“, erzählte er mal. Nur er durfte dort stehen. Seine „gut abgehangene“ Stimme beruhigte auch seine Enkel, sagte Sander, der Stiefvater war von den inzwischen längst selbst bekannten Schauspielern Meret und Ben Becker, den Kindern seiner Frau, die in erster Ehe mit dem Schauspieler Rolf Becker verheiratet war.
Dem Fernsehpublikum war der 1941 in Hannover geborene Sander vor allen Dingen aus der ARD-Krimireihe „Polizeiruf 110“ bekannt. Als Streckenwärter Lansky stand er mehrfach mit Stiefsohn Ben vor der Kamera. Im Kino war Sander zuletzt in der Seniorenkomödie „Bis zum Horizont, dann links!“ zu sehen. Sein Bühnendebüt gab er 1966 in „Joel Brand“ an den Düsseldorfer Kammerspielen. 1968 wechselte er an die Freie Volksbühne in Berlin. In fast allen Inszenierungen der „alten“ Berliner Schaubühne unter Peter Stein trat er auf. Zusammen mit Edith Clever und Bruno Ganz führte er das Theater in den 70er Jahren zu Weltruhm. 130 Kino- und Fernsehfilme drehte er.
Mit Herbert Grönemeyer und Jürgen Prochnow stand Sander für „Das Boot“ vor der Kamera. Als Engel Cassiel versah er zusammen mit Bruno Ganz in Wim Wenders' Kinowerken „Der Himmel über Berlin“ und „In weiter Ferne, so nah“ seinen irdischen Dienst. In „Die Blechtrommel“ war Sander der ewig betrunkene Trompeter Meyn, und auch im echten Leben machte er immer wieder mit seinem exzessiven Alkoholkonsum Schlagzeilen.
Bereits seit 1979 arbeitete Sander ohne festes Engagement. Berlin, Wien, Bochum hießen die immer wiederkehrenden Stationen. Für seine Bochumer Rolle in Botho Strauß' „Kuss des Vergessens“ wurde er 1999 zum „Schauspieler des Jahres“ gewählt, zum zweiten Mal nach 1979.
Berührungsängste kannte Sander nicht, weder zum Boulevard noch zur Tragödie. Er bekannte sich einmal zu den Marx-Brothers, zu Curt Bois und Samuel Beckett als Vorbilder. „Sie haben diese Art von Anarchie betrieben. Und ich tue es auch – stellvertretend – auf der Bühne und im Film.“