Nicht leicht zu verstehen, dieser Ferdinand Hodler. Ein Berner Prolet, ein Dickschädel, ein Riesentalent, ein Mystiker, ein Perfektionist. Ein Kraftmensch, der wegen eines Schlachtenmotivs zeitweise „Blut-Hodler“ genannt wird. Ein manischer Arbeiter, für den nur der eigene Gestaltungswille zählt, der sich aus der gesamten Kunstgeschichte inspirieren und keiner der Strömungen seiner Zeit zuordnen lässt. Ein Erfolgssüchtiger, der zeitlebens unter Minderwertigkeitsgefühlen leidet, ein Macho, in dessen Leben mindestens fünf Frauen eine tragende Rolle spielen – als Modell, als Geliebte, als Ehefrau, als Widerpart.
Während seiner Kindheit wütet die Schwindsucht in der Familie, den Vater holt sie gleich nach Ferdinands Geburt. Mit zwölf übernimmt er die Werkstatt des Stiefvaters, eines Dekorationsmalers, der vor dem Elend erst in den Alkoholismus und dann nach Amerika flieht. Mit 14 sieht Ferdinand Hodler (1853–1918), wie die Mutter tot auf dem Acker zusammenbricht. Mit 18 wandert er nach Genf, um Kunst zu studieren.
Er geht hausieren, um sich Pinsel und Farbe zu kaufen, und kopiert die Gemälde im Musée Rath. Hier wird der Ingres-Schüler Barthelémy Menn auf ihn aufmerksam und nimmt ihn auf in seine Klasse. Dort muss er sich seinen Platz handfest erkämpfen – die Staffelei als Keule gegen die eifersüchtigen Mitschüler schwingend. Kämpfe werden ihn ein Leben lang begleiten – Kämpfe mit Politikern, Kritikern und nicht zuletzt denen, die er liebt.
Wilhelminische Borniertheit
Das Museum Georg Schäfer in Schweinfurt zeigt unter dem Titel „Die Heilige Stunde“ bis 1. November einen anderen Hodler. Oder vielmehr: den späten Hodler, der die Anfeindungen, Skandale und Kämpfe wenn nicht hinter sich gelassen, so doch in den Hintergrund gepackt hat. Der keine wilden Landsknechte malt, sondern Momente transzendenter Verzückung.
Gleichwohl ist ein Raum seiner Rezeption in Deutschland gewidmet, dem wichtigsten Sammlerland. Hodler hat hier bedeutende Abnehmer. Als er 1914 gemeinsam mit 126 Schweizer Gelehrten und Künstlern eine Protestnote gegen die Bombardierung der Kathedrale von Reims unterschreibt, bricht die ganze wilhelminische Borniertheit über ihn herein. Es werden ihm alle Ehrenämter und Aufträge entzogen. Selbst ein Theodor Heuss schreibt, der Künstler habe „eine unaustilgbare und schmerzliche Schuld“ auf sich geladen.
Titelgebend für die Schweinfurter Ausstellung ist ein um 1907 entstandenes Gemälde, der einzige Hodler, den das Museum im Bestand hat: zwei Frauen ähnlicher Statur, ähnlichen Typs, schmal und aufrecht, gleich gekleidet, die Köpfe einander leicht zugeneigt, die Hände im Schoß. Sie sitzen auf einer Rasenbank umgeben von Grün, von Blättern und Blüten. Kuratorin Karin Rhein hat mit bedeutenden Leihgaben um dieses Schlüsselwerk herum eine schlüssige Ausstellung gebaut.
In „Die Heilige Stunde“ konzentriert sich Hodlers späte Kunst- und Lebenstheorie, beeinflusst von der Reformbewegung, aber auch von Rosenkreuzerischem Gedankengut: Mensch und Natur sind in einer großen Einheit umschlossen. Die abgebildeten Frauen gehen auf in einer Art Gleichklang mit der Natur. Mit der Wiederholung, der Spiegelung der Figuren verstärkt Hodler seine Aussage. Er nennt das „Parallelismus“. Hodler hat mindestens 13 Fassungen der „Heiligen Stunde“ gemalt und vorher unzählige Skizzen und Studien. Drei Dutzend Zeichnungen zeigen einerseits, wie er aus einem Thema heraus ein neues entwickelt, sie zeigen andererseits, wie er arbeitet: von der Umrisszeichnung an der Dürerscheibe (ein Nachbau dieses optischen Hilfsgeräts ist in der Ausstellung zu sehen) über stilisierte Figuren, die er als ausgeschnittene Formen im Bildraum hin- und herschiebt, die Gouache bis hin zum Gemälde.
Es gibt einfigurige, zwei-, vierfigurige Versionen und sogar eine sechsfigurige Fassung der „Heiligen Stunde“ in Öl. Einige Versionen kleineren Formats sind als Leihgaben aus Bern, Solothurn, Wuppertal, Zürich und von Privatleuten zu sehen, die großen als Projektionen in zwei eigenen Räumen. Hinzu kommen verwandte Motive, etwa „Das Aufgehen im All“ von 1892, für das die erste Geliebte, Augustine Dupin, widerwillig auf einer Schweizer Hochwiese unbekleidet Modell stand.
Die oft beschriebene Dualität aus weiblicher Anmut und männlicher Kraft in Hodlers Werk lässt sich dank eines Schlüsselwerks nachvollziehen, das schräg gegenüber der „Heiligen Stunde“ hängt: „Der Holzfäller“ von 1910 – ein Körper in extremer Streckung, eingefangen mitten in der Bewegung, kurz bevor die Axt ins Holz des dünnen Baums fahren wird.
Ferdinand Hodler – Die Heilige Stunde, Museum Georg Schäfer, Schweinfurt, Di.–So., 10–17 Uhr, Do. 10–21 Uhr. Bis 1. November.