Das Paradies, was ist das? Ein Sehnsuchtsort, so viel ist klar – doch sicher einer, der für jeden unterschiedlich ist. Was der moderne Mensch des 21. Jahrhunderts als paradiesisch empfindet, ist für den Menschen des beginnenden 20. Jahrhunderts wahrscheinlich reinster Horror. Auf einen Nenner kann man sich vielleicht schon einigen: Die Südsee dürfte wahrscheinlich ziemlich paradiesisch sein. So ganz grundsätzlich betrachtet.
„Back to Paradise“ heißt die neue Sonderausstellung, die im Museum Georg Schäfer in Schweinfurt bis 8. April zu sehen ist. Kurator und Museumsleiter Wolf Eiermann begibt sich mit 130 Bildern deutscher Expressionisten auf eine wirkmächtige, farbenprächtige, beeindruckend tiefgründige Reise und auf die Suche nach dem Paradies. Lohnenswert und ganz sicher „eine Bescherung fürs Auge“, wie Eiermann zu Recht selbstbewusst bemerkt.
Das Paradies Ende des 19. Jahrhunderts war die Südsee, dort glaubte man, die Idealvorstellung der eigenen Träume vom Paradies zu finden, die dort lebenden indigenen Völker stellten für den Europäer den Menschen in seinem Urzustand dar. Der weltweit in Lyrik und Songtexten verbreitete Ruf nach einer Wiederherstellung des paradiesischen Urzustandes der Menschheit war bereits ein Hauptthema des Expressionismus.
Für Wolf Eiermann ergibt sich folgendes Bild: Die Kunstbewegung des Expressionismus – mit Gründung der Künstlergruppe „Brücke“ 1905 entstanden – gleicht aus der Sicht der deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts, dem Schwerpunkt der Schweinfurter Sammlung, in ihrer Kraftentfaltung einem ruhenden Vulkan, der auf einmal – aber nicht unerwartet für die Zeitumstände vor dem Ersten Weltkrieg mit beginnender Moderne und Industrialisierung – ausbricht.
Was in der deutschen Kunst Jahrzehnte unter der Oberfläche brodelte – die Frage nach dem Primat von Farbe und Form gegenüber einer historistischen oder symbolischen Thematik sowie der Streit um eine deutsche Nationalkunst – fand in dem von Herwarth Walden 1911 geprägten Begriff „Expressionismus“ seine Antwort. Den Vulkan, um im Bild zu bleiben, muss man aber an unterschiedlichen Orten ansiedeln – in der Südsee, an der Nord- und Ostsee, auf Fehmarn oder den Moritzburger Seen bei Dresden.
Ein neues Lebensverständnis
Im Kern ging es den Expressionisten nämlich nicht um das Abbilden ferner Utopien. „Die Kunst des Expressionismus widerspiegelte ein neues Lebensverständnis der Künstler“, so Eiermann. Die in Schweinfurt gezeigten Werke sind aus dem Aargauer Kunsthaus Aarau, dem Osthaus Museum Hagen und einer fränkischen Privatsammlung, die sich auf Ernst Ludwig Kirchner spezialisierte.
In dieser Zusammenstellung wurden die Werke noch nie gezeigt. Die Idee des Kurators ist, das Individuelle des einzelnen Künstlers erlebbar und gleichzeitig den Expressionismus als Ganzes verständlich zu machen.
Eiermann hat insgesamt zwölf Räume belegt. In elf zeigt er die verschiedenen Künstler aus den bekannten Gruppen „Brücke“, der Neuen Kunstvereinigung München oder „Blauer Reiter“. Im zwölften hängt eine beeindruckende petersburgisch anmutende Zusammenstellung verschiedener Bilder über die individuelle Vorstellung des Paradieses und im starken Kontrast dazu die oftmals bittere eigene Realität.
Der Untertitel der Ausstellung, „Meisterwerke des Expressionismus“, ist nicht untertrieben bei Künstlern wie Max Pechstein, Erich Heckel, Otto Müller, Conrad Felixmüller, Karl Schmidt-Rottluff, Emil Nolde, Cuno Amiet, Walther Bötticher, Christian Rohlfs, Wassily Kandinsky, August Macke, Franz Marc, Gabriele Münter und Alexej von Jawlensky sowie Max Liebermann und Max Beckmann. Es handelt sich um 73 Gemälde, 30 Aquarelle, Pastelle und Zeichnungen sowie 52 seltene Druckgrafiken (gezeigt werden aus raumästhetischen Gründen 130 davon), wobei die Holzschnitte einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des Expressionismus leisten.
Wolf Eiermann bringt ein neues Verständnis für den Expressionismus durch die Art der Präsentation. Der Museumsleiter geht davon aus, dass jeder Künstler selbst in seinem Schaffen eine Entwicklung zum Expressionismus genommen hat. In der Kunstgeschichte wird diese Entwicklung meist als Gruppenentwicklung innerhalb der „Brücke“ oder des „Blauen Reiters“ gesehen. Auch dem philosophischen Hintergrund des Expressionismus widmet sich Eiermann – ein Thema, das bisher nicht gerade im Fokus der Forschung stand. Für Eiermann „stellen die Exponate ohne Zutun selbst ihre künstlerische Welt vor.“
Zurück zu den Wurzeln
Interessant ist die Hinwendung zu den Holzschnitten der Künstler, die bewusst konterkarierend zu Ölgemälden oder Aquarellen gehängt wurden. Sie entstanden mit archaisch anmutenden Bearbeitungstechniken nach dem Vorbild der Südseevölker. „Wir möchten zeigen, dass viele expressionistische Künstler auf der Suche nach Erneuerung der Kunst zurück zu den Wurzeln gegangen sind, auch in der Wahl der Techniken“, so Eiermann. Das Paradies der Künstler war ihr Gegenentwurf zur europäischen Zivilisation, ein innerer wie realer äußerer Rückzugsort, den Emil Nolde und Max Pechstein in der Südsee zeitweilig auch fanden.
Aber sie stießen dort und zu Hause immer wieder auf die Normen einer viktorianisch-wilhelminischen Zeit, die eine starre Ansicht, was Kunst sein sollte und was nicht, vertrat. Das musste Widerspruch erzeugen und diesen Widerspruch findet man in den gezeigten Bildern allzu oft.
Für Emil Nolde, dessen wunderbares farbenprächtiges, eher impressionistisch anmutende Werk einer Frau in Weiß in seinem eigenen Vorgarten einer der Höhepunkte ist, war das „Urwesenhafte“ Herausforderung und Ziel. Die Expressionisten zogen sich, anders als die Impressionisten, zurück, sie suchten abgelegene Waldseen, einsame Strände und Küstenstreifen. Sie nutzten starke Ausdruckswerte zum Bruch mit den Traditionen der Malerei. Selbst die Künstler, die nicht gen Südsee aufbrachen auf der Suche nach dem Paradies, vollzogen eine gewollte schöpferische Isolation vom Kunstmarkt und seinen Gesetzen.
Was man deutlich in den Bildern sieht: Der Betrachter erhält nur einen kleinen Zugang zum Paradiesischen als privaten Seelengarten, niemals aber einen genauen Überblick. Der Maler öffnet lediglich ein Fenster zum privaten Paradies. Die Künstler wehrten sich so auch gegenüber Kunsthistorikern, die gerade damals die Stilgeschichte schablonenartig zum Zuordnungssystem verengten. Die meisten gezeigten Bilder wurden in ihrer Entstehungszeit von den Kritikern verrissen, heute werden sie als Meisterwerke gesehen.
Back to Paradise – Meisterwerke des Expressionismus aus dem Aargauer Kunsthaus Aarau, dem Ostheim Museum Hagen und aus einer Privatsammlung; Museum Georg Schäfer, bis 8. April 2018; Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10-17 Uhr, Donnerstag bis 21 Uhr.