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WÜRZBURG
Farin Urlaub: Chef-Arzt ohne Ärzte
Farin Urlaub: „Bei den Ärzten herrscht halt pure Anarchie auf der Bühne, während man beim Racing Team eher ein Orchester voller Dynamit hat.“
Foto: dpa | Farin Urlaub: „Bei den Ärzten herrscht halt pure Anarchie auf der Bühne, während man beim Racing Team eher ein Orchester voller Dynamit hat.“
Carolin Münzel
 |  aktualisiert: 11.12.2019 19:05 Uhr

Er macht's auch gerne solo: Zwar wurde Farin Urlaub als Gitarrist und Sänger der Ärzte berühmt, aber seine Solokarriere als Chef des Farin Urlaub Racing Team und seine vielen Reisen, die er gerne solo per Jeep oder Motorrad absolviert, künden von seiner Liebe zu Alleingängen. Auch sein Konzert am 16. Mai in der Würzburger s.Oliver Arena fällt unter diese Kategorie – der Chef-Arzt bringt nicht die Ärzte, sondern sein Soloprojekt Racing Team mit. Im Interview spricht der Mann, der mehr als 100 Länder bereist hat, nicht etwa nur über Musik, er erzählt auch, wo man seiner Meinung nach auf die meisten Idioten trifft.

Frage: Ihre aktuelles Soloalbum heißt „Faszination Weltraum“. Welchen Planeten würden Sie denn gerne mal besuchen?

Farin Urlaub: Ach, das heißt nur so, weil ich es so toll fand als Titel. Ich bin wunderbar zufrieden mit unserem Planeten Erde. Da gibt es so viel zu sehen. Jetzt wirklich da raus zu fliegen, in so kleinen Blechkapseln stundenlang zu sitzen, ich weiß nicht, das ist nicht so mein Ding. Ich finde ja Fliegen schon unangenehm.

Sind sie denn überhaupt vom Weltraum fasziniert?

Urlaub: Ja, vom Sternenhimmel auf jeden Fall. Aber ich bleibe lieber auf der Erde.

Okay. Dann lasse Sie uns ganz irdisch über Ihre Musik reden. Fühlen Sie sich hier auf Erden, wie in „iDisco“ besungen, von Idioten umgeben?

Urlaub: Na ja, wem geht es nicht so? Jetzt mal ehrlich. Es ist nicht so, dass ich mich irgendwie für schlauer halte. Es geht eher um diesen Das-kann-doch-jetzt-nicht-wahr-sein-Effekt. Das musste irgendwann mal in ein Lied gepackt werden. Jetzt ist es raus, jetzt ist auch alles wieder gut.

Wie definieren Sie einen Idioten?

Urlaub: Wenn man Auto fährt, dann trifft man ganz viele davon. Und es sind immer die anderen. Denn man selber fährt natürlich ganz vorbildlich und perfekt (lacht). Und die anderen schneiden einen immer oder blinken nicht beim Abbiegen. Und dann regt man sich auf, bis man feststellt, dass man das selber eigentlich genauso macht. Na ja . . .

Alles in allem hat Ihr Album einen sehr positiven Tenor. Haben Sie das Gefühl, den Menschen etwas Positives mitgeben zu müssen?

Urlaub: Für so messianisch halte ich mich gar nicht. Ich mache halt die Musik, die mir gefällt. Da ich ein extrem optimistischer und positiv denkender Mensch bin, könnte ich gar nicht ein ganzes Album voller trauriger Songs schreiben. Das heißt – wahrscheinlich könnte ich es schon, aber es würde mich sehr quälen.

Möchten Sie also das, was Sie selbst empfinden, bei Ihren Auftritten an die Menschen weitergeben?

Urlaub: Ja, eigentlich schon. Es muss jetzt nicht immer lustig und schenkelklopferisch sein, aber grundsätzlich ist Musik positive Energie – zumindest für mich. Und die möchte ich dann natürlich auch so weitergeben.

Ist es ein Unterschied, ob man versucht, das in einem kleinen Raum an 300 Leute weiterzugeben oder in großen Hallen an 3000?

Urlaub: Die Intensität bleibt die gleiche. Aber man arbeitet mit unterschiedlichen Mitteln. Bei 300 Leuten kann man kleinere Scherze machen, weil die jeder sehen kann. In richtig großen Hallen oder bei Open-Air-Konzerten ist das alles ein bisschen plakativer und reduzierter auf große Gesten, weil es sonst hinten keiner mehr mitbekommt. Aber die Intention bleibt immer die gleiche.

Trotz Ihrer guten Laune erlebt man Sie auch als kritischen Geist, der sich mit Missständen auseinandersetzt. Was stört Sie an unserem Leben im 21. Jahrhundert?

Urlaub: Hm. Das ist eine schwierige Frage. Ich bin ein bisschen Kulturpessimist, konkret gerade beispielsweise die Flüchtlingsdebatte betreffend. Die wird in Deutschland völlig am Thema vorbeigeführt, weil man Angst hat vor den Rabauken am rechten Rand. Das stört mich sehr. Aber grundsätzlich bin ich schon froh, dass wir im 21. Jahrhundert leben, wo die Lebenserwartung recht hoch ist – zumindest wenn man im Geburtenlotto in einem der reichen Länder auf die Welt kam. Wir haben Krankenhäuser, vernünftige Infrastruktur, was auch immer. Wir können uns gut ernähren, wir müssen nicht unbedingt Angst haben vor Pestilenzen und Kriegen oder vor einem Messer im Kopf. Und das ist natürlich schon sehr angenehm.

Wie stellen Sie sich denn eine sinnvoll geführte Flüchtlingsdebatte vor?

Urlaub: Na ja, sich vielleicht zuallererst mal anschauen, warum die Leute zu uns wollen. Von wegen Sozialschmarotzer. Wenn die Alternative ist, vor Ort zu verdursten, zu verhungern oder totgeschlagen zu werden . . . Ich denke mal, da würden auch die Mitläufer von Pegida sofort das Weite suchen, wenn das ihre einzigen Optionen wären. Meines Erachtens geht die Debatte völlig am Thema vorbei. Es gibt bestimmt drei, vier Leute, die sagen: „Oh super, komm ich nach Deutschland, muss ich nicht arbeiten, bekomm ich viel Geld.“ Aber der weitaus größere Teil will zu uns, weil er eben nicht verhungern, verdursten oder totgeschlagen werden möchte. Und das ist schon so, seitdem es Menschen gibt. Man denke an die berühmten Völkerwanderungen. Davon sind gerade wir Berliner ein schönes Produkt, mit den ganzen Hugenotteneinflüssen und so. Es gab immer Gründe dafür, und jetzt plötzlich soll damit Schluss sein, weil wir ja jetzt unverrückbare Grenzen haben. Das finde ich totalen Quatsch.

Sie selbst sind ja schon viel in der Welt herumgekommen. Würde das in der Flüchtlingsdebatte helfen, wenn mehr Leute schon mehr gesehen hätten von der Welt und dadurch vielleicht offener wären?

Urlaub: Es würde auf jeden Fall helfen, wenn man mal Ursachenforschung betreibt. Und nicht einfach davon ausgeht, dass das ja sowieso alles schlechte Menschen sind. Noch ein weiteres Argument, was für Migration und Einwanderung spricht, sind die USA, eines der reichsten und erfolgreichsten Länder der Welt. Die bestehen fast nur aus Einwanderern. Und man kann jetzt wirklich nicht sagen, dass das komplett in die Hose gegangen ist.

Können Sie sich vorstellen, dieses Thema auch in Ihre Musik aufzunehmen? Oder trennen Sie die von Ihrer politischen Einstellung?

Urlaub: Das ist schwierig. Ich halte in meinen Texten ja nicht hinterm Berg oder verstell' mich. Aber gerade das Thema Migration ist dermaßen umfangreich, dass ich mir nicht zutrauen würde, es auf drei Minuten zu reduzieren. Damit kann man dem Thema überhaupt nicht gerecht werden.

Engagieren Sie sich in der Flüchtlingsdebatte?

Urlaub: Ich bin nicht der groß politisch engagierte Mensch. Es stört mich einfach, wie es ist. Aber ich stelle mich ungern hin und sage: „Leute, ich weiß es besser.“ Denn ich habe nicht das Gefühl, dass ich es besser weiß. Ich hab? nur eine Meinung.

Themawechsel. Sie machen seit langer Zeit Musik. Wie hat sich das Musikgeschäft seitdem verändert?

Urlaub: Na, alles hat sich komplett verändert. Auf der einen Seite ist es viel, viel billiger geworden, überhaupt Musiker zu werden. Sowohl die Instrumente sind billiger geworden als auch die Möglichkeit, Demos aufzunehmen oder gar ganze CDs bei sich zu Hause. Das ist also zum einen die Demokratisierung der Musik, die ich begrüße. Auf der anderen Seite macht dadurch aber auch jeder Musik, und es gibt eine solche Flut an Veröffentlichungen, dass ich schon seit Jahren überhaupt nicht mehr hinterherkomme. Ich bräuchte im Prinzip ein Trüffelschwein, jemanden, der mir sagt: „Hör dir dies mal an, hör dir das mal an.“ Es gibt dermaßen viel, ich kann unmöglich den Überblick behalten. Was natürlich auch zur Folge hat, dass Plattenfirmen kaum noch Qualitätskontrolle machen, sondern sie werfen 2000 Tonträger oder so im Monat auf den Markt und schauen, was sich davon durchsetzt. Der Rest wird sofort wieder rausgeschmissen. Eine Band hat überhaupt keine Zeit mehr zu wachsen und ihren Stil zu finden. Der Werdegang, den ich mitmachen durfte – mal in Clubs auftreten, mal ein Album veröffentlichen – das ist vorbei. Man muss heute mit einem fertigen Konzept ankommen, und das muss auch sofort funktionieren, denn es gibt eigentlich keine zweite Chance.

Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang Streaming-Dienste wie Spotify?

Urlaub: Meines Erachtens wird Musik damit total verramscht. Es gibt mir zwar die Möglichkeit, mir ganz viel anzuhören, aber da ist wieder das Problem, dass die Auswahl so unglaublich groß ist. Angenommen, ich gebe eine sehr spezielle Musikrichtung ein, Jazz-Metall zum Beispiel, und dann kommen 40 000 Suchergebnisse. Wann soll ich die anhören? Bei anderen Musikrichtungen ist es natürlich noch ungleich mehr. Abgesehen davon bekommen die Musiker von den Diensten lächerlich wenig gezahlt. 0,03 Cent pro Streaming, das empfinde ich fast schon als Beleidigung. Deswegen bin ich nicht bei diesen Diensten.

Fühlen Sie sich in der heutigen Zeit denn als Künstler überhaupt noch wertgeschätzt?

Urlaub: Nö. Aber zum Glück gab es viele Jahre, in denen ich mich nicht so gefühlt habe. Von den Fans fühle ich mich natürlich schon wertgeschätzt, aber in der Gesellschaft ist es eher schwierig geworden. Viele Leute sind nicht bereit, für das, was ein Künstler leistet, auch zu zahlen. Sie würden aber nie auf die Idee kommen zum Beispiel zum Bäcker zu gehen und dort einfach drei Brötchen einzupacken. Nur als Musiker soll ich das, was ich mache, so billig wie möglich und am besten umsonst zur Verfügung stellen. Mit dem Argument, dass mir das ja auch nutzt, weil es mich berühmt macht. Bleibt die Frage: Wovon leb‘ ich, wenn ich dann berühmt bin? Das ist dann ein bisschen wie bei van Gogh – jeder kennt ihn, und er ist bettelarm gestorben. Aber wie gesagt, ich hab‘ Glück gehabt und alles ist gut. Ich kann mich wirklich nicht beschweren. Ich beschwer mich eher im Namen der andern.

Macht unter diesem Umständen das Musikmachen überhaupt noch Spaß?

Urlaub: Ja, na klar. Ich hab es noch nie wegen des Geldes gemacht. Ich werde es auch in Zukunft nicht wegen des Geldes machen. Das war ein angenehmer Nebeneffekt, aber das ist nicht der Zweck der Musik. Der Zweck der Musik ist der Ausdruck von Lebensfreude.

Gibt es denn noch musikalische Ziele, die Sie gerne erreichen würden?

Urlaub: Ich würde gerne mal fis-Moll-7 so richtig sauber greifen (lacht).

Und wie stehen die Chancen, dass Sie das schaffen?

Urlaub: Also wenn ich richtig lange übe, könnte ich es vielleicht Ende des Jahres hinkriegen.

Das klingt doch nach einem realistischen Ziel

Urlaub: Ja, ja (lacht). Ehrgeizigere Ziele setze ich mir in meinem Alter nicht mehr.

 
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