Als Martin Stadtfeld 2002 als erster deutscher Pianist den Internationalen Bach-Wettbewerb in Leipzig gewann, schwärmten Medien und Kritiker schon von einem neuen Glenn Gould. Elf Jahre sind seither vergangen, längst hat der gebürtige Koblenzer sich auch mit Rachmaninow oder Beethoven auseinandergesetzt, doch der Name des mittlerweile 32-Jährigen steht in erster Linie noch immer für seine Bachinterpretationen. Die natürlich auch wieder zu hören sein werden, wenn Stadtfeld am 11. Juli beim Kissinger Sommer gastiert. Zuvor, am 4. Mai, ist er auf Schloss Weikersheim zu hören – mit Beethoven.
Martin Stadtfeld: Sie verkaufen sich schon am besten – allerdings führt das jetzt nicht dazu, dass das Label sagt, ich solle jetzt immer Bach spielen. Denn solch einer selbst gewählten Einengung wäre dann ja auf Dauer auch kein Erfolg in puncto Verkaufszahlen bestimmt.
Stadtfeld: Natürlich freuen sich die Veranstalter, wenn ich etwa im Klavierrecital auch ein Stück von Bach spiele. Aber auch mir fehlt etwas, wenn gar kein Stück von Bach dabei ist, und sei es die Zugabe. Denn Bach ist für mich der Ausgangspunkt für alle Musik, die danach kommt.
Stadtfeld: Wenn Bachs Musik eine Religion ist, dann eine, die vermittelt, was im Menschen vorgeht und diesen mit seinen Gefühlen aufnimmt. Und die Verschmelzung dieser beiden eigentlich entgegengesetzten Ebenen ist bei Bach so einzigartig: einerseits die Religiosität, Erhabenheit und Spiritualität – andererseits ist jede Note zutiefst menschlich.
Stadtfeld: Eine kirchliche Religion ist für mich eigentlich kein Thema mehr. Jede Religion ist ja eine Form von Sinnsuche, versucht Trost zu spenden und drängende Fragen zu beantworten. Und all dies finde ich auch sehr stark in der Musik von Bach: ein Orientierungspunkt, der die Dinge gerade rückt, einen manchmal davor bewahrt, sich in den täglichen Sorgen und Ängsten zu ergehen und auch Zuversicht vermittelt.
Stadtfeld: Bei mir hat sich der Eindruck verfestigt, dass in puncto Musikunterricht an den Schulen viel zu wenig oder sogar gar nichts mehr passiert. Das finde ich persönlich bedrückend, aber auch aus gesellschaftlicher Sicht problematisch, denn wir sind auf dem besten Wege, dass das Gerede von unserem kulturellen Erbe oder dem Land der Dichter und Denker eines Tages nur noch Worthülsen ohne Inhalte sein könnten.
Stadtfeld: Nein, es geht um die Vermittlung von Kultur. Wenn man sich die Musik des späten Mozarts oder auch von Beethoven anschaut, dann hat diese ja oft auch den Aspekt, den Menschen zu befreien: ihm als Individuum das Gefühl zu geben, dass er jemand mit einer eigenen Seele ist und einem eigenen Anspruch auf Würde und Selbstverwirklichung. Und ich finde es einfach skandalös, wenn dieses wesentliche kulturelle Erbe in den Schulen nicht mehr oder zumindest nicht mehr ausreichend vermittelt wird.
Stadtfeld: An einer Mischung aus Ahnungslosigkeit und Geringschätzung seitens der verantwortlichen Politiker. Jeder Mensch, zu dessen Leben die Musik gehört, weiß, was diese bedeutet – wem sie indes vollkommen fremd ist, kann diese Bedeutung natürlich nicht einmal ahnen und wird auch keinen Wert darauf legen, dass Musik ein wesentlicher Teil der Kinder- und Jugenderziehung ist.
Stadtfeld: . . . man muss Optimist bleiben und trotzdem im Rahmen der eigenen Möglichkeiten die Vermittlung weitertreiben. Sei es nun im Konzert oder hin und wieder auch in der Begegnung mit Jugendlichen – mir bereitet Letzteres sehr viel Freude, und ich bekomme dabei auch sehr viel zurück.
Stadtfeld: Sicher geht es letztlich darum, was Musik dem Einzelnen vermittelt. Andererseits haben wir es etwa bei Beethoven mit einer großen, tief empfindenden Persönlichkeit zu tun, die zwar einerseits ihre Seele in ihrer Musik spiegelt, zugleich aber dies in ein Meisterwerk bringt. Und diese Verschmelzung von individuell empfundener Emotion und Form, dieses Ringen mit den Ideen macht doch erst das Meisterwerk aus.
Stadtfeld: Der überwiegende Teil der heutigen Popularmusik ist eher eine gecastete Musik, eine Industriemusik, die einfach nur darauf abzielt, den vermeintlichen Massengeschmack zu treffen. Ohne Frage gibt es da Ausnahmen, aber das Gros ist dahin gehend konzipiert und nicht von großen Persönlichkeiten, die sich mit ihrer Musik entäußern – das ist schon ein gewaltiger Unterschied.
Stadtfeld: Nein. Im Auto höre ich immer Radio und habe festgestellt, dass ich mit dieser Mischung, diesem hilflosen Versuch, auf den Massengeschmack zu zielen und diesen auf primitivste Art zu befriedigen, nichts mehr anfangen kann. Ja, in großen Teilen empfinde ich das schlicht als unerträglich.
Stadtfeld: . . . aber die Frage ist doch, wofür man die Leute erreicht – werden sie sich nach solchen Erfahrungen wirklich ein klassisches Stück anhören, ohne zu sagen: Was ist denn das für ein Mist? Oder sollte man sie nicht ernsthaft heranführen, damit sie irgendwann einmal auch in einer Mahler-Sinfonie sitzen, mit sich selbst konfrontiert sind und hinterher ein anderer Mensch sind?
Stadtfeld: Natürlich ist die Frage, was man möchte: Geht es nur noch darum, dass die Klassik in Scheibchen geschnitten und als „Ist doch auch ganz nett“ präsentiert wird? Oder geht es um die Vermittlung dessen, was diese Musik ausmacht: ihre Größe und das, was sie in einem auslösen kann? Dafür muss man sich ihr hingeben und kann dies nicht eben so im Vorbeigehen mitnehmen.
Stadtfeld: Das ist mir natürlich ein Anliegen – aber es ist natürlich auch viel schwieriger als zu sagen: Hey, ist doch alles total sexy. Was ich ohnehin nicht mehr hören kann: Klassik ist doch so sexy – da klappen sich bei mir die Zehennägel hoch (lacht).
Stadtfeld: Ja – eben dadurch, dass ich sie sehr ernst nehme und sehr ernst anspreche. Dadurch, dass ich sie eben nicht grundsätzlich da abhole, wo sie stehen – übrigens auch einer dieser grausamen Sprüche – sondern dass ich sie wirklich ernst nehme und ihnen vermittele, dass es um etwas geht: um Gefühle, die jeder kennt.
Stadtfeld: . . . aber die großen Lebensfragen sind ernst, und die spiegeln sich in dieser Musik. Zumal Ernsthaftigkeit ja Freude nicht ausschließt: Diese vermeintliche Trennung ist auch so ein Relikt der Spaßgesellschaft – entweder man ist vollkommen borniert ernsthaft oder eben einer dieser Tralala-Menschen. Doch in meinem Leben ist so viel Freude, und gerade auch die Musik führt zu Momenten der Glückseligkeit, ja beinahe der inneren Ekstase – und das ist doch die wahre, tiefe Befriedigung.
Stadtfeld: Natürlich war das Klavier bei mir das Wichtigste, aber trotzdem war es eine ganz normale, wunderschöne Kindheit. Ich habe mit anderen Kindern gespielt und bin auf Bäume geklettert, und meine Klassenkameraden kamen auch zu mir: Ich habe ihnen Stücke vorgespielt, und sie mussten diese dann erraten. Dafür habe ich damals fünf Mark ausgelobt (lacht).
Stadtfeld: Auch die war eigentlich relativ normal, allerdings war ich dann manchmal schon derjenige, der ein bisschen anders war – auch weil ich viele Dinge erst spät für mich entdeckt habe. So hat etwa meine Auseinandersetzung mit Popmusik sehr spät begonnen.
Stadtfeld (lacht): Sie werden es nicht glauben: die Beatles, das war 1990, ich war 13 Jahre alt, das war für mich der Einstieg in die Popularmusik. Dennoch habe ich nie das Gefühl gehabt, mir wäre etwas entgangen, und selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, wurde es auf jeden Fall durch das Klavier kompensiert, was mir immer das Wichtigste war. Ich wusste schon als Kind, dass ich Pianist werde . . .
Stadtfeld: Ich habe bereits mit sieben Jahren in der Schule in diese Alben meiner Klassenkameraden unter Berufswunsch „Konzertpianist“ geschrieben: Das war mir völlig klar, das war das Wichtigste in meinem Leben. Insofern war das Klavier stets mein ein und alles, und trotzdem habe ich eine wunderbar normale Kindheit verbracht.
Stadtfeld: Nein, denn letztlich kann die Musik Dinge ausdrücken, für die Worte dann fehlen – das haben ja auch alle Philosophen gesagt. Wir können eigentlich nur versuchen, mit unserem Reden über Musik Begeisterung zu wecken und zu locken, sodass der Zuhörer sagt: „Ja, das höre ich mir mal im Konzert an.“ Letztlich spricht die Musik natürlich für sich.
Martin Stadtfeld in der Region
Der Pianist, geboren am 19. Oktober 1980 in Koblenz, gab mit neun Jahren sein Konzertdebüt und studierte seit seinem 14. Lebensjahr an der Musikhochschule Frankfurt. Er wurde mehrfach mit dem Klassik-Echo ausgezeichnet. Am 4. Mai (20 Uhr) spielt er auf Schloss Weikersheim, Karten: Tel. (0 79 34) 1 02 55 Am 11. Juli (20 Uhr) ist er Gast beim Kissinger Sommer, Karten: Tel. (09 71) 8 07 - 11 10