Es wäre eine echte Überraschung gewesen, hätte sie gewonnen: Lilly Among Clouds, bürgerlich Elisabeth Brüchner, hat beim deutschen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest "Unser Lied für Israel" mit "Surprise" den mit Abstand unkonventionellsten, sperrigsten, spannendsten Auftritt hingelegt.
Tatsächlich ist der Rest der Show an diesem Freitagabend mit seinen sehr ordentlichen aber eben auch eher glatten Beiträgen live in der ARD vor allem ein Fest des Mainstream. Es hat denn auch jemand anders gewonnen: das Duo S!sters. Lilly wurde Dritte.
Barbara Schöneberger ist wie üblich sehr gut gelaunt
Doch der Reihe nach. Barbara Schöneberger ist wie üblich sehr gut gelaunt und selbstironisch jenseits der Grenze zur Koketterie: "Wird ein schöner Abend werden. Wenn ich es nicht versaue." Ihr Sidekick, Tagesschau-Sprecherin Linda Zervakis, darf immerhin die Regeln erklären. Demnach küren gleich drei Jurys den Sieger oder die Siegerin: 2o internationale Experten, 100 Personen, die den europäischen Musikgeschmack repräsentieren (wie auch immer man den ermittelt) und das Publikum draußen an den Fernsehgeräten.
Michael Schulte, im Vorjahr Vierter beim ESC-Finale kommentiert zusammen mit Peter Urban aus der Kabine. Urban lobt ihn in Anspielung auf frühere Debakel für seine Verdienste um Schlager-Deutschland: "Das hat dem ganzen Land gutgetan." Barbara Schöneberger mahnt zum Aufpassen: "Wir hören alle Acts nur einmal. Mit einem Song." Was nicht ganz stimmt, denn während der Telefonabstimmung später läuft ein Schnelldurchlauf nach dem anderen.
Es geht los mit Gregor Hägele "aus dem Schwabeländle" (Schöneberger). Als Baby hat er viel geschrieen, also ist er Sänger geworden. Logisch. Seinen Song "Let me go" unterscheidet nicht sehr viel von der Meterware, die derzeit in ist.
"Ursprünglich mal in Hessen, Oberursel, geboren" (Schöneberger) ist Aly Ryan, die mit 16 nach LA zog. Die Elektrobeats von "Wear Your Love" performt sie auf dem Laufband, was Extralob aus der Kommentatorenkabine bringt. Die Lightshow kommentiert ein Twitter-User unter dem Hashtag #ESC so: "Leute die bei Referaten immer IN der Power Point stehen."
Der Song von BB Thomaz ist der erste mit dezidiert persönlicher Note
Wie alle Kandidaten in allen Casting-Shows hat auch Makeda schon immer gesungen. Zuletzt immerhin die Hauptrolle im Musical "Bodyguard". In ihrem Song "The Day I Loved You Most" geht es darum, den Menschen zu verzeihen, mit denen wir in Wut oder Trauer auseinander gegangen sind. Makeda kommt im Biovideo sehr vital rüber, der Song ist dann aber eine ziemlich glatte Soul-Nummer mit dicken Streicherklängen.
Zwischenrein versuchen Schöneberger und Zervakis sich als "Team intelligent oder schön" zu profilieren, glücklicherweise verfolgen sie die Idee nicht weiter.
BB Thomaz ist Schauspielerin, Sängerin, Model und Mutter und hat ein eigenes Fitnesskonzept mit Livemusik entwickelt. Für "Demons" muss sie sich eine Treppe mit ziemlich hohen Stufen hocharbeiten, es ist der erste Song mit dezidiert persönlicher Note
Folgt Lilly Among Clouds. Im Video sagt die Politologin, die in Würzburg studiert und ihre ersten musikalischen Schritte getan hat, in ihrem Straubinger Geburtsakzent einen wahrhaft klugen Satz: "Krass, du hast zwölf Töne und kannst immer noch neue Lieder draus schreiben." Der klingt im Nachhinein umso klüger, weil sie in "Surprise" mit einem schrägen Glissando gleich beweist, was man so alles machen kann. Sie verfügt über einen riesigen Tonumfang, klingt rauchig, kratzig, dann wieder glasklar. Dazu eine Solochoreografie irgendwo zwischen Ausdruckstanz und Joe Cocker. Michael Schulte: "Ich liebe es, wenn jemand überrascht."
Es folgt erwartungsgemäß das langwierige und ermüdende Punktevergabeverfahren
Linus Bruhn war der kleine Junge im Musical "Tarzan" und ist ein wandelndes ESC-Lexikon, erfahren wir. Auch "Our City" behebt nicht den Missstand, den ein Twitterer zuvor benannt hatte: "Klingt alles irgendwie nach Disney Channel". Es fällt auch das Stichwort Justin Bieber.
Das Duo S!sters mit Laurita und Carlotta Truman macht mit dem Song "Sister" den Abschluss. Toll gesungen, nicht sonderlich originell, aber mit Ohrwurmpotenzial. Und Ausstrahlung haben die beiden, das muss man ihnen lassen.
Nach Überbrückungsauftritten von Michael Schulte, Lena, Revolverheld, Udo Lindenberg und Andreas Burani folgt erwartungsgemäß das langwierige und ermüdende Punktevergabeverfahren. Lange liegt Makeda vorne, im Endspurt ziehen S!sters an ihr vorbei.
Eine Art (wohl doch nicht ganz ernst gemeintes) Schlusswort hat Barbara Schöneberger irgendwann vorher während der um 30 Minuten überzogenen Sendung gesprochen: "Uns steht eine große Karriere bevor. Vielleicht nicht bei der ARD aber beim Teleshopping."