Die erste Ballettpremiere der Saison des Mainfranken Theaters verwandelte die Bühne der Theaterfabrik Blaue Halle in einen Ballsaal, mal voll Walzerseligkeit, mal voll sinnlicher Tangomelancholie: "Lottes Ballhaus" wurde vom Publikum umjubelt, das Tanzensemble gefeiert.
Wie sehr sich die Compagnie freute, endlich wieder in körperbetonter Gemeinschaft öffentlich auftreten zu können, merkte man von der Sekunde an, in der sich die Tänzerinnen und Tänzer von hinten durch die Ränge in Richtung Bühne tasteten, staunend und höchst motiviert, ja berstend vor Tanzlust das "Ballhaus Bühne" für sich in Besitz nahmen, um dort einen funkensprühenden Abend voller Leidenschaft und Sinnlichkeit zu entfachen.
Geschlechtergrenzen lösen sich auf
Dominique Dumais und Kevin O’Day als Choreografen verschmelzen in "Lottes Ballhaus" die Paartanzformen Walzer und Tango mit der klassischen Formenvielfalt des Balletts. Zauberhafte Solo- und packende Ensemblenummern entstehen, inspiriert auch durch den Facettenreichtum der dazu gewählten Musik von Mozart bis Rota, von Strauß bis Piazzolla.
Drei Wände aus mit Ornamenten verzierten Lamellen umgeben das Ballhaus. Mit festen und beweglichen Elementen schafft Bühnen- und Kostümbildner Thomas Mika eine breite Palette an Möglichkeiten für variable Räume, Fenster, Türen, Bruchstellen und Rahmen, Lichteinfälle und Schattenrisse.
Dominique Dumais befüllt den ersten Teil mit Walzerchoreografien. Sie lässt das Ensemble in ausgelassener Freude das Spiel von der "Reise nach Jerusalem" durchwirbeln und zärtlich und traumverloren in Emotionen baden. Mehrere Bewerber umgockeln eine kühle Angebetete. Schostakowitschs "Second Waltz" wird zum wirbelnden Derwisch-Tanz: Geschlechtergrenzen lösen sich auf, auch die Tänzer tragen duftig schwingende, stoffreiche Röcke.
Auf einen zuckenden, pendelnden Schlangentanz folgt mit "Je te veux" (Ich will dich; Satie) eine sentimental-erotische Solo-Gesangseinlage. Beim ekstatischen Schlusspunkt (Khatschaturjans Walzer aus "Maskerade") umschlingen sich die Leiber, fast fliegen die Fetzen, jeder einzelne ist pausenlos gefordert. Was für eine körperliche und darstellerische Leistung des Ensembles!
Die Grenze zur Überfrachtung ist schnell überschritten
Dumais muss sich allerdings fragen lassen, ob es sinnvoll ist, jedes noch so kleine musikalische Ornament auszutanzen, sich häufig die Haare zu raufen, ins Gesicht zu schlagen und mit Stoffbahnen zu wirbeln. Die Grenze zur Überfrachtung ist schnell überschritten, das Bewegungsmaterial erschöpft.
Kevin O’Day hingegen lässt dem Ensemble Zeit fürs Austanzen und Genießen. Astor Piazzollas Tango-Nuevo-Kompositionen, ausgerechnet die weniger zum Tanzen als fürs Konzert gereifte Tangomusik, setzt er gekonnt in fließende Bewegung um. Bei ihm gibt es keine abrupten Breaks, keine Zerstückelung, es sei denn sie ist musikalisch bedingt. Sehr körperbetont umtanzen sich die Paare, die Luft atmet Schwermut, Sinnlichkeit, Morbidität. Grazie und Eleganz dominieren, in einem Fenster umarmt sich in lässiger Hingebung ein Männerpärchen. Ästhetisch beeindruckende und intensive Bilder in kräftigen Farben entstehen, immer wieder blickt man in eine zeitlupenartig entzerrte ferne Welt.
Das Philharmonische Orchester unter Gábor Hontvári nimmt den ersten Teil sehr stilsicher, wendig und mit so viel interpretatorischer Freiheit, wie es das Zusammenwirken mit den Tanzenden zulässt. Luft nach oben ist allerdings noch im Tangobereich: Einer überzeugenden, tangoesken Einheit steht aber möglicherweise die weit auseinander gezogene Sitzanordnung im Orchestergraben entgegen.
Die weiteren Termine: 14., 20., 23. November; 2.,9., 11., 26. Dezember; 9., 14., 15. Januar, 9., 16. Februar. Wochentags und samstags 19.30 Uhr. Karten: Karten: www.mainfrankentheater.de, Tel. (0931) 3908-124, karten@mainfrankentheater.de