Seltsamer Gedanke beim gefühlten hundertneunundzwanzigsten Weihnachtsmärchen meiner Laufbahn, Christian Claas' Musical „Der Zauberer von Oz“ nach dem Klassiker von L. Frank Baum am Meininger Theater: Was wäre, wenn im Saal das Licht ausginge und eine halbe Stunde lange pausenlos überraschende Licht- und Schattenspiele an die Wand geworfen würden?
Das jubelnde Gekreische von 600 Kindern im Saale ist nämlich dann am größten, wenn es stockfinster wird, den Pädagogen die Haare zu Berge stehen und die Kids gespannt darauf warten, dass ihnen Gespenster auf der Nase herumtanzen. Aber dann hebt sich unwiderruflich der Vorhang, und die Geschichte nimmt ihren Lauf. Jetzt befinden wir uns im magisch-realistischen Bühnenbild von Christian Rinke, in einem Kaff in Kansas, vielleicht irgendwann in den 1930er Jahren, wo die hübsche Göre Dorothy (Julia Steingaß) mit dem ewiggleichen Landleben gar nicht mehr zufrieden ist. Ein paar Szenen später hat ein verheerender Tornado Dorothy samt Hütte und Stoffhund bereits in ein Maisfeld Richtung Smaragdenstadt verwirbelt, wo das Mädchen Rückkehrhilfe vom mächtigen Zauberer von Oz erhofft.
Im besten Fall verzaubert ein Weihnachtsmärchen die Kinder mit einem Elixier aus Poesie, Magie, Witz, Spannung und Moral. Das kommt allerdings nicht so häufig vor – für mich das letzte Mal 2011 in Dietmar Horcickas Inszenierung von „Ein Kranich im Schnee“.
Zweitbeste Lösung wäre die eines Zaubertranks aus Magie, Witz, Spannung, Action und Moral, die die jungen und jüngsten Zuschauer bei der Stange hält, ohne die poetischen Orte auszuloten, etwa wie Höhlenforscher eine unbekannte Höhle erkunden.
Christian Claas' Inszenierung gehört in diese Kategorie. Es fehlt ihr zwar an Poesie, dafür gibt es neben flotten Songs genügend Magie, vor allem in den Szenen, in denen Dorothy und ihre Wegbegleiter Vogelscheuche, Blechmann und Löwe (Matthias Herold, Sven Zinkan und Renatus Scheibe) durch die Seiten eines riesigen, aufgeklappten Buches wandern.
Es gibt Action und Spannung, weil man nicht weiß, welche Steine die Böse Hexe des Westens (Christine Zart) den Suchenden in den Weg legt. Es gibt Witz und Situationskomik, wenn die gute Hexe (Evelyn Fuchs) auf Rollschuhen hereintanzt oder der Zauberer von Oz (Michael Jeske) auf Normalgröße schrumpft.
Es gibt eine moralische Botschaft, auch wenn sie häufig von Situationskomik überdeckt wird, nämlich die, dass für den der Weg das Ziel ist, der Verstand (Vogelscheuche), Herz (Blechmann), Mut (Löwe) oder Freundschaft und Geborgenheit (Dorothy) erlangen möchte. Und es gibt eine Musicalisierung des Weihnachtsmärchens durch zwölf Songs, die Christian Claas komponiert und etwas ungleich über die Handlung verteilt hat. Arrangeur Thomas Kässens und drei Kollegen spielen sie allerdings nicht live, sondern als Tonkonserve ein. Dazu kann man nicht – wie sonst üblich – einen kostenlosen Programmflyer mit Liedtexten nach Hause nehmen, sondern darf ein Hardcoverbüchlein mit der Geschichte, mit Illustrationen und mit einer CD käuflich erwerben.
Die Schauspieler singen und tanzen und wandern mikroportverstärkt – und leider von einer Pause unterbrochen – in schwungvoller Choreografie und mimen ihre Charaktere pointiert. Vor allem Christine Zart kann dabei mit ihrer raumfüllenden Stimme wuchern.
Dorothy kehrt – geläutert und fröhlich – in die Provinz zurück. Irgendwann wird es ihr bestimmt wieder langweilig. Dann sollte sie sich mit dem nächsten Wirbelsturm nach Hogwarts begeben, ins Auenland oder vielleicht sogar ins nächste Meininger Weihnachtsmärchen.
Vorstellungen bis 25. Dezember im Großen Haus des Meininger Theaters. Karten: Tel. (0 36 93) 45 12 22. www.das-meininger-theater.de