Anne Sinclair stand ihrem Mann mit viel Mut und viel Geld zur Seite: Für eine Million-Dollar-Kaution ersparte sie dem durch einen Sexskandal gestürzten Politiker Dominique Strauss-Kahn 2011 den New Yorker Schwerverbrecherknast Rikers Island. Die Pariser Starjournalistin, die sich im vergangenen Jahr von dem Ex-Chef des Internationalen Währungsfonds getrennt hat, ist eine reiche Erbin. Die 64-Jährige ist Enkelin des jüdischen Galeristen Paul Rosenberg, eines der bedeutendsten Kunsthändler des 20. Jahrhunderts. Ihm widmet sie ihr neues Buch: „Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?“
Über ihren Großvater wusste sie bis zu ihrem 60. Lebensjahr selbst nur wenig. Ihr Interesse galt bis dahin vor allem der Geschichte ihrer jüdischen Familie väterlicherseits: ihrem Großvater, der während der deutschen Besetzung im Lager Drancy interniert war, ihrem Vater, der im Auftrag von General de Gaulle unter dem Namen Jacques Breton Journalist bei Radio Beirut war und der nach der Befreiung von Paris nach Frankreich zurückkehrte, um seinen seit Drancy schwer kranken Vater wiederzusehen.
„Kurz ich stand insgeheim aufseiten meines Heldenvaters“, wie Sinclair gesteht. Ihr spät entdecktes Interesse für ihren Großvater-Kunsthändler geht auf einen traurigen Anlass zurück: den Tod ihrer Mutter. „Ich wollte verstehen, wer ihr Vater, mein Großvater war, der als leidenschaftlicher Verfechter der neuen Malerei so große Anerkennung gefunden hatte“, führt sie den Leser in die Biografie ein.
Als Paul Rosenberg starb, war die Autorin elf. Das auf über 200 Seiten zusammengefasste Leben ihres Großvaters ist das Ergebnis wochenlanger Arbeit in Archiven der Familie und großer Museen. Das Porträt kann den Menschen und Händler deshalb nur umreißen und skizzieren, wie sie selber sagt. Dennoch ist ihre Biografie eine der aufschlussreichsten über den Pariser Galeristen der Moderne.
„21, rue La Boétie“: Der französische Originaltitel beinhaltet den Namen der Straße, in der Rosenberg 1910 seine Pariser Galerie in der Nähe der Champs-Élysées gegründet hat. Er förderte unter anderen Picasso, Braque und Léger. Der Einmarsch der Deutschen zwang ihn zur Flucht nach Amerika, Wohnung und Galerie wurden geplündert und seine Werke beschlagnahmt. Von den über 400 gestohlenen Gemälden, um deren Rückgabe Rosenberg nach seiner Rückkehr aus den USA kämpfte, sind etwa 60 noch immer verschwunden.
Die Biografie ist mit Fakten und Anekdoten reichlich gesegnet. Rosenberg schrieb zwischen 1918 und bis zu seinem Tod am 29. Juni 1959 insgesamt 214 Briefe an Picasso. Beide waren unzertrennliche Freunde, die sich jeweils den Spitznamen „Rosi“ und „Pic“ gaben. So musste Rosenberg zum Beispiel Matisse aufmuntern, weil der Künstler an seiner Malerei zweifelte, Marie Laurencin, bekannt für ihre sanften, femininen Bilder, fuhr er hin und wieder schroff an, weil sie ihn um einen Zuschuss bat, um die Rechnung für ihre Chanel-Mäntel zu bezahlen.
Als Sinclair das Buch begann, wollte sie keine Biografie schreiben, sondern Impressionen, eine Erinnerung, wie sie betont. Entstanden ist ein berührendes Porträt, mit dem sie ein Kapitel ihres Lebens abschließt und ein neues beginnt. „Ich war nicht darauf gefasst, dass (. . .) die süßen Kindheitserinnerungen mit dem Chaos der Wirklichkeit zusammenprallen“, endet das Buch.
Anne Sinclair: Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine? Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (Kunstmann, 207 S., 19,95 Euro)