Ob ihr der Rummel gefallen hätte? Die Berge von Postkarten mit den kleinen Mädchen, die sie berühmt gemacht haben, und all die kämpferischen Biografien und dramatischen Filme? Die Selbstfindungswochenenden nur für Frauen und die Touren nach Worpswede „auf den Spuren von Paula Modersohn-Becker“? Und endlich die in ihrer Vielzahl kaum mehr zu überblickenden Ausstellungen – wie jetzt aktuell mit den Selbstporträts an der Böttcherstraße in Bremen?
Manches aber wäre sicherlich eine Genugtuung für die 1876 geborene Malerin. Sie musste sich einiges anhören über „weibliches Unvermögen“. Gleich ihre erste Schau 1899 in der Bremer Kunsthalle fiel gnadenlos durch, und fast 120 Jahre später schreibt ein Kritiker immer noch von Modersohn-Beckers „unschuldigem Kindervolk“, dem die „Mädchenakte“ der „Brücke“-Künstler Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluff „bis heute die Show stehlen“. Und das „in entfesselter Farbhandschrift“.
Der Vergleich ist mindestens haarig, und man hat gerade bei „Fränzi“, dem Kindermodel der „Brücke“-Männer, nicht erst heute ein flaues Gefühl, wenn die kaum Zehnjährige wie in Erich Heckels Farbholzschnitt von 1910 wieder einmal nackt vor dem Betrachter liegt.
Sie interessierte sich für andere Phänomene als die „Brücke“-Maler
Die Maler waren von den „natürlichen Bewegungen“ hingerissen, als sie das Mädchen an den Moritzburger Teichen nahe Dresden in allen möglichen Posen einfingen. Modersohn-Becker aber hat sich in diesem Zusammenhang für ganz andere Phänomene interessiert – und ist den „Brücke“-Leuten ziemlich nonchalant vorausspaziert. Auch das will eine Ausstellung um die Künstlerin im Buchheim Museum in Bernried am Starnberger See vermitteln.
Praktischerweise sind dazu die applaudierenden Worte Lothar-Günther Buchheims überliefert. Der sah in Paula Modersohn-Becker „eine der bedeutendsten Erscheinungen des deutschen Expressionismus“, und das zu einer Zeit, „als die „Brücke“-Maler ihrer Stilmittel noch recht ungewiss waren“.
Schade nur, dass der Museumsgründer dann doch vornehmlich bei den Herren Kirchner, Pechstein und Kollegen zugriff. Bis zum Ankauf des „Birkenstamms vor Heidelandschaft“ (1901) mithilfe der Siemens Kunststiftung gab es in Buchheims Sammlung lediglich ein einziges Werk Modersohn-Beckers: die um 1900 entstandene „Moorlandschaft mit Birkenstämmen“, ersteigert 1961.
Beide Bilder sind nun in einen erhellenden Mix aus Porträts, Stillleben, Kinderbildnissen und Landschaften eingefügt. Die Avantgarde war hier auf leisen Sohlen unterwegs, erdtonig in der Farbgebung, und es geht bei diesem „Aufbruch in die Moderne“ – so der Untertitel der Schau – nicht um eine chronologische Reihung, sondern um fruchtbare Dialoge und Anregungen, besonders aus Frankreich.
Viermal fuhr Modersohn-Becker nach Paris. Neben Auguste Rodin – die Offenbarung, Vincent van Gogh, dem Barbizon-Maler Camille Corot sowie den „Nabis“-Vertretern Édouard Vuillard und Maurice Denis hat vor allem Paul Cézanne einen gewaltigen Eindruck auf die junge Frau gemacht: „Wie ein Gewitter und ein großes Ereignis“ wird sie 1907 im Rückblick notieren. Mit dieser Rezeption ist sie gewiss kein Einzelfall, auch die „Brücke“-Künstler landen fast zehn Jahre nach ihr bei Cézanne. Doch Modersohn-Becker lässt sich ganz bewusst auf dessen Bildaufbau ein, auf das Strukturieren einer Landschaft oder eines Obsttellers über plastisch sich bauschendem Tischtuch.
Herrliche Bezüge zu einer Baum-Studie von Corot
Das ist bei den Stillleben schön zu verfolgen, wenngleich es Passenderes als Cézannes „Blumen und Früchte“ aus einer Zürcher Privatsammlung gäbe. Man denke an das „Stillleben mit Kommode“ aus der geschlossenen Neuen Pinakothek. Stattdessen öffnen sich bei den Landschaften herrliche Bezüge wie etwa zu einer Baum-Studie von Corot (um 1865) aus dem Lenbachhaus, über die der Weg dann wieder zurück zu den Anfängen in Worpswede und zu ihrem Mann und Ermutiger Otto Modersohn führt.
Wie sehr sich die beiden tatsächlich auch beflügelt haben, zeigen zwei Ölbilder von 1903. Sie malt ein „Mädchen mit Schafen am Weiher“, er ein im Grunde „moderner“ anmutendes, auf Flächen reduziertes „Mädchen am Moorkanal“ mit dunkelrotem Kleid. Man muss schon die Signaturen bemühen, um die Arbeiten zuordnen zu können. Dabei ist es ja Paula, die sich sonst von Farbstimmungen leiten lässt. Die Ehe ist ein dauerndes Auf und Ab geworden, Otto kämpft um seine Frau, während sie hinaus und nach vorn rudert. Immer auf der Suche nach neuen Inspirationen.
Am Ende ist es ausgerechnet der Zivilisationsflüchtling Paul Gauguin, den sie 1905 beim Pariser Sammler Gustave Fayet ausgiebig studieren kann und der sie ungemein fasziniert. Davon erzählt ein hinreißender, zwei Jahre später entstandener „Mädchenakt mit Blumenvase“, der bei allem exotischen Zauber die Unaufgeregtheit und das Körperverständnis Modersohn-Beckers vor Augen führt.
Farbschillernde Höhepunkte im OEuvre der Künstlerin
Dieser Akt gehört zu den letzten, durchaus farbschillernden Höhepunkten im OEuvre der Künstlerin – und überhaupt des Bernrieder Überblicks, der durch zahlreiche Leihgaben aus dem Von der Heydt-Museum in Wuppertal möglich wurde.
Unwillkürlich fragt man sich, wie es weitergegangen wäre. 1907 ist ja ein irres Kunstjahr. Noch im Juli wird Picasso mit den „Demoiselles d?Avignon“ fertig und stellt damit die Kunst völlig auf den Kopf. In Dresden sind die „Brücke“-Leute mächtig am Rühren, und genauso arbeitet Paula Modersohn-Becker wie eine Besessene – bis dieses Künstlerleben im November, wenige Tage nach der Geburt ihrer Tochter, ein abruptes Ende nimmt.
Diese Malerin lässt sich nicht festzurren, auch das zeigt die Buchheim-Schau. Und vielleicht sollte man dazu übergehen, sie mit ihrer Kunst nicht ständig einzureihen. Was Kirchner, Heckel und Konsorten betrifft, ist das weniger zielführend, als man glauben möchte.
Öffnungszeiten: „Paula Modersohn-Becker. Aufbruch in die Moderne“ - bis 8. März im Buchheim Museum Bernried, Di. bis So.: 10 bis 17 Uhr. Katalog 20 Euro