In den 1990er Jahren galten Miles als große Hoffnung der deutschen Popmusik – und als beste Popband, die Würzburg je hervorgebracht hat. Die Kritiker schwärmten in den höchsten Tönen, es gab Titelseiten auf Musikmagazinen, Konzerte in den USA und ganz Europa und einen Nummer-1-Hit in Japan. Aber der erhoffte Durchbruch blieb aus. Dauerhafte Charts-Platzierungen wie Silbermond, Sportfreunde Stiller oder Juli schafften die Würzburger nie. 2003 zerbrachen Miles.
Heute arbeiten die meisten ehemaligen Bandmitglieder in ganz normalen Berufen. Schlagzeuger Ronny Rock ist Hauptschullehrer im Hunsrück, Gitarrist Gilbert Hartsch ist in Berlin in der Erwachsenenbildung tätig, Bassistin Nina Kränsel arbeitet als DJ und ist mit ihrer Band Uh Ho unterwegs. Tobias Kuhn, Sänger und Kopf der Band, verdient sein Geld ausschließlich mit Musik. Allerdings steht auf den meisten CD-Covern und Tourpostern sein Name nicht. Er erobert die Popwelt still und leise.
„Ballast der Republik“ heißt die neueste Platte, an der Kuhn mitgewirkt hat. Die Songs zum aktuellen Album der Toten Hosen, das am 4. Mai erscheint, hat der frühere Würzburger mit der Band arrangiert. Die Punkrocker aus Düsseldorf hatten Kuhn bei einer Gartenparty von Regisseur Wim Wenders kennengelernt und später zur Arbeit im Studio eingeladen.
Bis Ende Oktober war Kuhn drei Wochen lang mit der Thees Uhlmann Band auf Tour. Im März folgte eine zweite Tour. Präsentiert wurde das neue Solo-Album des Tomte-Sängers, das zur Hälfte aus der Feder von Tobias Kuhn stammt. Auf Platz vier stieg das Album in die deutschen Charts ein. „Wir kennen uns schon seit 15 Jahren, haben uns bei der Produktion des letzten Tomte-Albums näher kennengelernt“, so Kuhn. „Da haben wir gemerkt, dass wir super miteinander arbeiten können. Deshalb hat er mich gefragt, ob ich ihm bei seiner Solo-Platte helfen kann. Er kam mit Songskizzen, wir haben sie ausgearbeitet und später das Album in Berlin aufgenommen. Für mich ist das Thees-Uhlmann-Album extrem wichtig, weil ich große Lust hatte, wieder live in einer Band zu spielen. Deshalb habe ich gesagt: Ich wäre gern dabei und würde auch gerne die Band zusammenstellen. Und so haben wir das auch gemacht.“
Die Arbeit am Tomte-Album „Heureka“ vor drei Jahren war der erste große Job für Kuhn als Produzent. Vorher hatte der Ex-Würzburger vor allem als Songwriter auf sich aufmerksam gemacht. Er schrieb unter anderem einen Titel für Christina Stürmer, bevor eine Anfrage von Udo Lindenberg kam.
Ein Jahr in Cambridge
„Ich mache Musik, seit ich 16 Jahre alt bin, also seit fast 20 Jahren“, sagt Kuhn. „In dieser Zeit haben einige Leute mitbekommen, dass ich ganz gute Lieder schreibe, und bei Udo Lindenberg hat der Produzent ganz einfach gefragt, ob ich einen Song beisteuern könnte und Lust hätte, im Studio Gitarre zu spielen. Weil ich durch meinen Vater auch mit Udo Lindenberg groß geworden bin, habe ich mich natürlich sehr über die Anfrage gefreut.“
Seit dem Ende von Miles hat sich für Kuhn alles verändert. Er ließ seine Heimatstadt Würzburg hinter sich und ging für ein Jahr ins englische Cambridge, wo er als Kind schon gewohnt hatte. Er machte ein Praktikum bei „Grönland Records“, dem Label von Herbert Grönemeyer, und lernte viel über das Innenleben der Musikindustrie. Dann kam er nach München und mietete sich im Büro von Marc Liebscher, dem – in Würzburg geborenen – Manager der Sportfreunde Stiller, ein. Für den Co-Produzenten-Job bei „MTV unplugged in New York“ der Sportfreunde gab es sogar eine Echo-Nominierung. Und die Anfragen häuften sich. Kuhn steuerte Songs für den Wim-Wenders-Film „Palermo Shooting“ oder die Teenie-Romanze „Sommer“ bei.
2010 wurde sogar Hollywood auf ihn aufmerksam. Für den Soundtrack des Teenie-Musicals „Rock It!“ wurde er vom Branchenriesen Walt Disney gefragt, die Musik zu komponieren. „Ich habe mich irgendwann von allen Klischees befreit. Ich muss einfach Lust darauf haben, mit bestimmten Leuten zu arbeiten“, erklärt Kuhn den ungewöhnlichen Auftrag. „Und als die Leute von Walt Disney angefragt haben, ein Kindermusical zu schreiben, da habe ich nicht lange überlegt. Als mein Sohn Jakob die Lieder gesungen hat und durch die Wohnung geflitzt ist, habe ich gemerkt, dass Kindermusik super ist. Es hat Spaß gemacht, am Set dabei zu sein und mitzukriegen, wie so ein Film gemacht wird. Mich nerven Musiker, die zwanghaft cool sein und unbedingt Erfolg haben wollen. Ich finde, die Leute sollten einfach anfangen, das zu machen, worauf sie Lust haben. Erfolg ist gut und wichtig, aber er lässt sich nie erzwingen.“
Momentan arbeitet Kuhn am dritten Album seines Soloprojekts Monta. Aufnehmen will er es wie die ersten beiden auch beim befreundeten Naked-Lunch-Bassisten Herwig Zamernik im österreichischen Klagenfurt.
Turbulenzen im Privatleben
„Bei Miles bin ich im Hamsterrad mitgelaufen“, erklärt Kuhn sein Soloprojekt. „Wir hatten ständig Druck, dass wir verkaufen müssen. Und es lief ja auch ganz gut. Vom roten Album zum Beispiel haben wir weltweit 90 000 Stück verkauft. So eine Menge wäre heute ein Riesenerfolg, aber damals waren die Zeiten noch anders. Und bei Monta habe ich bewusst den Druck herausgenommen. Ich habe alles selbst gemacht, bei kleinen Labels veröffentlicht und wollte keinen Erfolg erzwingen. Ich wollte von Monta nie meine Miete bezahlen müssen.“
Monta-Songs sind oft sehr persönlich. Im Laufe der letzten Jahre musste Kuhn einige Turbulenzen in seinem Privatleben überstehen. Zeitgleich beschäftigt ihn seine alte Band Miles. Über „Grand Hotel van Cleef“, das Label von Thees Uhlmann, sollen alle Songs der Würzburger wiederveröffentlicht werden. „Die Lieder von Miles sind noch nicht digital verfügbar, man kann sie nicht über iTunes kaufen. Jetzt sind alle Rechte an uns zurück gegangen, deshalb kam mir die Idee, dass man die Songs verfügbar macht.“