Von wegen 19. Jahrhundert. Selbst in den 1950er und 1960er Jahren hat man sie noch sorgfältig versteckt, nicht über sie reden wollen. Kinder, die mit einer Behinderung aufwuchsen, irgendwie mitlaufen mussten, ihrem Schicksal, nach außen abgeschottet, überlassen wurden. Inzwischen hat sich sehr vieles verändert. Zum Guten verändert. Inklusion ist ein Thema, das die gesamte Gesellschaft durchdringt, endlich.
Darum ist William Gibsons Schauspiel „Licht im Dunkel“, das im Schweinfurter Theater in einer Gemeinschaftsproduktion des Stadttheaters Fürth mit dem Euro-Studio Landgraf zu sehen war, auch ein wenig aus der Zeit gefallen. Es ist die am Broadway mit großem Erfolg gezeigte und später mit Ann Bancroft verfilmte Biografie der Schriftstellerin Helen Keller, die im Alter von 19 Monaten durch eine Hirnhautentzündung das Augenlicht, das Gehör und die Sprache verlor, nur sehr mühsam und durch intensive Zuwendung ihrer Lehrerin Annie Sullivan wieder ins „normale“ Leben zurückfand und dort in ungewöhnlicher Weise reüssierte.
Volker Hesses Inszenierung beginnt mit einer Art Albtraum. In einem Kubus, gebildet von hohe Lamellentüren, drehen sich Figuren im Kreis. Stimmengemurmel. Was da genau geschieht, lässt sich noch nicht einmal ahnen. Dann gehen die Türen auf, die Szenerie erklärt sich. Zu erleben ist eine Südstaatenfamilie der 1890er Jahre, in der alles seine Ordnung haben könnte, wenn da nicht die kleine Helen wäre, die ihre Umgebung nur in Bruchstücken wahrnehmen kann, stumm in einer Welt ohne Laute und Licht gefangen ist. Sie tyrannisiert, tobt, wirbelt, spuckt, macht die Familie zum Opfer, die, einfach strukturiert, das Kind mit Süßigkeiten ruhig zu stellen versucht, zum Äffchen macht.
Und dann geschieht dann doch das Überraschende: Der Mutter ist es gelungen, in die dumpfe Südstaatenwelt eine junge, einst selbst erblindete Lehrerin aus dem Norden zu locken. Es ist ihre erste Stelle überhaupt. Sie nimmt Helen ernst, zeigt Konsequenz, erreicht das Mädchen nach langem Bemühen, löst kleine Lernprozesse aus.
Das Ringen der beiden geht unter die Haut. Es berührt, wenn Zuwendung nur etwas erreicht, weil sie mit Nachdruck und auch schmerzhaft vermittelt wird. Für die junge Laia Sanmartin sind das große Szenen. Es erinnert an Tänze, wenn sie sich windet, ständig ausbricht, Nähe sucht und ihr doch immer wieder flieht. Daneben hat Birge Schade („Herbstmilch“, „SOKO Köln“) einen schweren Stand. Wenn sie dem Mädchen das Fingeralphabet beibringt, dabei kämpft und sich über erste Erfolge freut, bleibt ihr Gesicht seltsam teilnahmelos, ihr Spiel ziemlich blutleer. So gilt der beinahe stürmische Schlussapplaus vor allem Laia Sanmartin in einer doch sehr schlichten Inszenierung.