Eine pfiffige Grundidee. Eine großartige Hauptdarstellerin. Ein fantastisches Bühnenbild. Berührende Szenen. Gute Einfälle. Eine poetische musikalische Untermalung. Das sind hervorragende Voraussetzungen dafür, dass uns eine Geschichte auf der Theaterbühne nicht mehr loslässt. Beste Bedingungen also bei der Meininger Premiere der Eisenacher Inszenierung von Mike Kennys Jugendstück „Der Junge mit dem Koffer“.
Alle aufgeführten Kriterien treffen zu in Gabriela Gillerts Interpretation des Stückes, in dem ein vielleicht 13-jähriger Junge von der Flucht aus seiner zerbombten syrischen Heimatstadt erzählt. Seine Eltern schickten ihn alleine auf die Reise, weil sie die Schlepperkosten für die Familie nicht zahlen konnten. Über zwei Jahre wird Naz unterwegs sein, bis er sein Traumziel London erreicht, wo sein älterer Bruder lebt. Im kleinen Koffer bewahrt er eine Ansichtskarte auf, in der der Bruder von den Lebensbedingungen „auf der anderen Seite der Erde“ schwärmt. Wie sich am Ende herausstellt: alles gelogen, um die Eltern nicht zu beunruhigen.
Wie bei Sindbad
Eine Geschichte also – 2010 uraufgeführt -, die sich so oder ähnlich millionenfach ereignet haben könnte. Der wichtigste dramaturgische Kunstgriff, den der Autor verwendet, um die Ereignisse für Naz erträglich zu gestalten und das junge Publikum zu fesseln: Die sieben Etappen der Flucht vergleicht der erzählende Junge mit den sieben Reisen Sindbads, des Helden aus der Märchensammlung „Tausendundeine Nacht“. Nun, auf der lebensgefährlichen und entbehrungsreichen Flucht, sind ihm Sindbads Abenteuer Trost und Hoffnung zugleich.
Mit der außergewöhnlich talentierten jungen Schauspielerin Farina Violetta Giesmann als Naz und ihren fünf Mitspielern, die in verschiedenste Rollen schlüpfen, hat die Erzählung tatsächlich die Kraft, gerade jungen Menschen auf die Seele zu rücken. Zudem das variable Bühnenbild von Helge Ullmann aus unzähligen karierten Jumbotaschen – den Koffern der Flüchtlinge – alle mögliche Milieus zusammenfantasieren lässt: Wohnraum, Busfahrt, Wüste, eisige Gebirgslandschaft, Hafen, Näherei, Boot, ja sogar die Londoner Towerbridge. Begleitet wird die Reise von dem, eine traditionelle Kastenzither spielenden Musiker Ibrahim Bajo. Wer tritt auch als arabischer Erzähler in Erscheinung (Bajo und Fridtjof Matti Bundel obliegt die musikalische Leitung).
Zu viele Nebensächlichkeiten
In der Geschichte steckt also das Potenzial für eine rundum poetische und zugleich aufrüttelnde, realitätsnahe Bühnenerzählung. Aber, wie so oft in engagierten Inszenierungen: Sie fangen vielversprechend an, sie benützen fantastische Bilder, es wird leidenschaftlich gespielt, aber es fehlt der Atem, das Geschick, die Ruhe zur Überlegung, die Kunst der Reduktion oder was auch immer, um den Spannungsbogen des großen Ganzen stabil und glaubwürdig vom Anfang bis zu Ende zu führen.
Eine Stunde und fünfzig Minuten Spiel ohne Pause sind für diese Geschichte entschieden zu lang. Szenen werden in die Länge gezogen, Nebensächlichkeiten rücken in den Vordergrund, glückliche Wendungen, Zufälle und spielerische Eskapaden gewinnen zu großes Gewicht. Ob das stückimmanent ist oder der Interpretation der Regisseurin geschuldet, lässt sich nicht eindeutig klären. Jedenfalls ist der erzählerische Faden nicht durchgängig reißfest geknüpft. Und das ist schade,
Weitere Vorstellungen: 21. und 22. März, jeweils 10 und 14 Uhr. Vorverkauf: Tel. (0 36 93) 45 12 22.