Schlamm bis fast unter die Kellerdecke. Ratten. Tauben unter dem Dach (mit allen Nebenwirkungen). Das Unwetter des 29. Mai 2016 hatte eine Schlammlawine ausgelöst, die Winterhausen überspülte. Auch das Haus am Ende der Kirchgasse. Brigitte Obermeier und Hannes Hirth wohnen seit 14 Jahren nebenan. Auch sie hatten in Haus und Garten mit der schmutzigen Flut zu kämpfen. Dann vergingen Monate. Das Nachbarhaus – es stand seit mehr als 20 Jahren leer – rottete vor sich hin. Und irgendwann entschlossen sich die beiden, das Gebäude zu kaufen; es war für billiges Geld zu haben.
Der Schlamm ist samt Ratten und Tauben draußen – auch weil damals viele Helfer mit anpackten. Und ein paar Wände fehlen mittlerweile. Denn das Bauwerk, das im Kern über 500 Jahre alt ist, wird zum Theater umgebaut. Geplant sei das nicht von Anfang an gewesen, sagt Hannes Hirth. „Wir haben es zunächst nur als Alterssicherung gesehen.“
Doch die beiden sind Schauspieler und Theatermacher – und sie hatten ein Problem. Nach elf Jahren war der Pachtvertrag für ihr Theater, das Sommerhaus in Sommerhausen, gekündigt worden. Am 6. Januar 2015 war nach der Revue „Abba Hallo“ der letzte Vorhang in dem Gewölbekeller gleich neben dem Torturmtheater gefallen. „Wir haben alle geheult“, erinnert sich Brigitte Obermeier. Sie wäre gerne in Sommerhausen geblieben.
„Eine Ruine“
Mehrere Versuche, geeignete Räume zu finden scheiterten – trotz Unterstützung aus der Politik, trotz des Rückhalts der Sommerhäuser. Das Sommerhaus spielt seitdem an verschiedenen Orten. Hirth: „Plötzlich waren wir wieder, wie ganz zu Anfang, eine Wanderbühne.“ Aber da war doch diese „Alterssicherung“. Und da war Robert Stawski. Der Experte für die Sanierung historischer Häuser sorgte für die „Initialzündung“, wie Hannes Hirth es nennt. So begann sich im Frühjahr 2017 die Idee in den Gehirnen des Künstlerpaares festzusetzen, das Haus in Winterhausen zum Theater Sommerhaus umzubauen.
Mancher Experte riet ab. „Genau genommen haben wir damals eine Ruine gekauft“, denkt Hirth zurück. Er kann darüber inzwischen grinsen. Und auch damals siegte der Optimismus. Hirth legte in der „Ruine“ den Zollstock an, klopfte bröckelndes Mauerwerk ab, verwarf, dachte nach, verwarf wieder: „Ich war nur noch am Planen.“
Eine halb verfallene Immobilie zum Wohnen herzurichten, ist schwierig genug. Sie zum Theater – also für eine öffentliche Nutzung – umzubauen, ist noch viel komplizierter. Brandschutz, Fluchtwege (die bestimmte Dimensionen haben müssen), Parkplätze, Toiletten, Behindertentoilette, barrierefreier Zugang. Die Elektroinstallation für die Bühnentechnik ist aufwendiger als einfach nur Strom für ein paar private Steckdosen zu legen. Auch an Heizung und Belüftung werden höhere Anforderungen gestellt.
Ein außergewöhnliches Hobby
Im Fall „Sommerhaus in Winterhausen“ kommt noch der Denkmalschutz hinzu. Nicht alles ist möglich. Das spätmittelalterliche Gebäude wurde im Barock umgebaut. Aus beiden Epochen sind Bauteile da. Und ein paar „Verhunzungen“ (Hirth) aus den 1960er Jahren.
Den Charme des Fachwerkhauses zu erhalten ist indes nicht nur den Denkmalschützern, sondern auch den Theatermachern wichtig. Beide outen sich als Altbau-Liebhaber. Die Atmosphäre historischer Mauern kann zur Attraktivität eines Theaters beitragen. Auch das Torturmtheater auf der anderen Mainseite profitiert vom historischen Ambiente.
Theaterleute haben von Berufs wegen Fantasie. Die lässt bei einer Baustellenführung schon mal eine Vorstellung vom fertigen Theater entstehen. Der Eingang ist auf der Mainseite, dort sollen auch die vorgeschriebenen Parkplätze entstehen. „Hier kommt ein schmiedeeisernes Jugendstiltor hin.“ Brigitte Obermeier (59) zeigt auf den Eingang zum Garten, in dem derzeit noch ein hölzernes Türchen schwingt.
Das Jugendstiltor ist eine Erwerbung von Hannes Hirth. Der 54-Jährige hat ein außergewöhnliches Hobby: „Ich sammle alte Baustoffe.“ Er fährt mit wachen Augen durch die Gegend, guckt bei E-bay und setzt schon mal eine Anzeige in die Zeitung: „Suche alte Eichenbalken.“
Es geht ein Stück durch den Garten, vorbei an Stadtmauerresten. Dann klettert Hirth über Bauschutt und aufgeschichtete Zementsäcke nach unten: „Der Gewölbekeller wird zum Foyer. Das allein ist dann fast so groß wie unser altes Sommerhaus insgesamt.“ An einer Wand steht eine alte Kelter. „Die bleibt natürlich.“ Wegen der Atmosphäre.
Rechtwinklig ans Foyer und ein paar Stufen höher, schließen sich Bühne und Zuschauerraum an, alles in allem 120 Quadratmeter. 99 Zuschauerplätze werden eingerichtet. Mehr würden aufwendigere – und teuerere! – Sicherheitsauflagen, etwa für den Brandschutz, nach sich ziehen.
Derzeit tummeln sich hier die Bauarbeiter. Ein Betonmischer steht in der Ecke. Stützen sichern die Decke. An der Wand hängen Pläne des Statikers. Und die Bühne – fünf mal sechs Meter groß – hat noch nicht einmal ein Dach. Auch das muss sich derzeit die Fantasie dazudenken. Die Künstlergarderoben werden im Obermeier-Hirth-Wohnhaus eingerichtet, das die Rückwand der Bühne bildet.
Überall Optimismus
Billig wird das Ganze nicht. Hannes Hirth will sich nicht festlegen lassen. Aber ein paar Hunderttausend Euro werden schon zusammenkommen. Es wird wohl öffentliche Zuschüsse geben. Und die Marktbreiter Firma Ruhl sponsert den Stahl für den Umbau. Zwei Wohnungen im Obergeschoss sollen vermietet werden und zur Finanzierung beitragen. Aber erst einmal muss das Theater fertig werden.
Hannes Hirth blickt auf das, was einmal ein Theater werden soll, aber noch nicht wirklich so aussieht, und findet: „Aus heutiger Sicht war das Unwetter damals für uns sogar ein Glücksfall“, sagt er – und meint's nicht völlig ironisch.
Auch Brigitte Obermeier ist optimistisch und plant die erste Premiere im Winterhäuser Sommerhaus für den 1. Dezember: „Am besten eine Revue.“ Bauleiter Robert Stawski hält den Zeitplan durchaus für realistisch. Der Mann hat Erfahrung. Allein in Winterhausen hat er 23 alte Häuser auf Vordermann gebracht.