Es gibt wohl nur wenige Bücher, die so beliebt und zugleich so umstritten sind wie Bernhard Schlinks Roman „Der Vorleser“. Die Liebesgeschichte zwischen einer ehemaligen KZ-Aufseherin und einem 15-jährigen Schüler, mit Kate Winslet oscargekrönt verfilmt, ist in mehr als 50 Sprachen übersetzt und weltweit ein Millionenseller. „Kulturpornografie“ und „Holocaust-Kitsch“, befanden dagegen Kritiker. An diesem Sonntag (6. Juli) wird Bernhard Schlink 70 Jahre alt.
Der Schriftsteller und emeritierte Rechtsprofessor lebt seit mehr als 20 Jahren zwischen Berlin und seinem Haus in Massachusetts an der US-Ostküste, hält weiter juristische Seminare, schreibt Gutachten und Aufsätze und legt im August einen neuen Roman vor, „Die Frau auf der Treppe“. 1944 in Bielefeld geboren und in einem evangelischen Theologenhaushalt in Heidelberg aufgewachsen, hatte Schlink seine erste Karriere als Jurist. Also Promotion, Habilitation und schließlich Professuren in Bonn und Frankfurt.
Zwischendrin ein erster Aufenthalt in den USA, um Abstand zur gescheiterten Ehe zu finden und sich als Masseur und Goldschmied zu erproben. Zuletzt übernimmt er von 1992 bis zu seiner Emeritierung 2009 den Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Humboldt-Universität in Berlin. Bis 2005 ist er zugleich Verfassungsrichter in Nordrhein-Westfalen. In jenem Jahr vertritt das langjährige SPD-Mitglied die Regierung von Bundeskanzler Schröder im Streit um die damalige Auflösung des Bundestags vor dem Verfassungsgericht in Karlsruhe.
Eine scharfe Kontroverse
Schon in Schlinks Debüt wird die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit zum zentralen Thema. In dem Kriminalroman „Selbs Justiz“ (1987), gemeinsam mit dem Jura-Kollegen Walter Popp verfasst, geht es um einen Detektiv, der sich mit seiner Vergangenheit als Nazi-Staatsanwalt konfrontiert sieht. Schlink baut die Geschichte mit den Titeln „Selbs Betrug“ (1992) und „Selbs Mord“ (2001) zur Trilogie aus. Der Durchbruch kommt mit dem „Vorleser“. Als er 1995 in Deutschland erscheint, wird er verhalten aufgenommen. Erst als Entertainerin Oprah Winfrey „The Reader“ nach dem US-Start 1999 zum Buch des Monats kürt, geht der Hype los: Wochenlang steht der Roman auf der Bestsellerliste der „New York Times“, mehr als eine Million Exemplare werden allein in den USA verkauft, auch in Großbritannien und Deutschland steigt das Interesse.
Erst spät, anlässlich von Schlinks viel gelobtem Prosaband „Liebesfluchten“, bricht 2002 eine scharfe Kontroverse los. Wortführer Jeremy Adler, ein britischer Germanistik-Professor und Holocaust-Nachfahre, wirft Schlink „sentimentale Geschichtsfälschung“ vor. Er verharmlose die Schuld der Deutschen und mache die Täterin zur Heldin. „Es wirft ein trauriges Schlaglicht auf unsere verkehrte Welt, dass diesen Schundroman ausgerechnet ein deutscher Richter ausgebrütet hat“, befand Adler.
Trotz der Debatte fanden auch Schlinks spätere Bücher beim Publikum große Resonanz, auch wenn die professionelle Kritik eher verhalten urteilte. Über seinen zeitgeschichtlichen Einfluss ist sich Schlink klar: „Ich merke, dass ich zu dem Bild beigetragen habe, das man sich im Ausland von Deutschland macht.“