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BERLIN
Die Wutrede nach dem Ritterschlag
dpa
 |  aktualisiert: 15.04.2014 16:25 Uhr

Sibylle Lewitscharoff galt lange als eine der wichtigsten Stimmen der deutschen Gegenwartsliteratur. Doch seit die Büchner-Preisträgerin unlängst Retortenkinder als „Halbwesen“ bezeichnete, hat ihr Ruf schwer gelitten. Zwar distanzierte sie sich später von dem Begriff, hielt aber an ihrer Kritik der modernen Reproduktionsmedizin fest. An diesem Mittwoch (16. April) wird die in Berlin lebende Autorin 60 Jahre alt.

Angst um ihr Renommee hat Lewitscharoff nach eigenem Bekunden nicht. „Das beleidigte Leberwürstle liegt nicht so ganz in meinem Charakter“, tat sie beim Festival Lit.Cologne in ihrem breiten Schwäbisch kund. Dabei hatte sie nach ihrer umstrittenen Rede Anfang März in Dresden einiges zu hören bekommen. Ihr wurde Stimmungsmache und Verletzung der Menschenwürde vorgeworfen. Die persönlich betroffene lesbische Schriftstellerin Judith Schalansky meinte gar, Lewitscharoff huldige einem „faschistoiden Natürlichkeitsideal“. Ändert das etwas an der Qualität ihrer Texte, die im Feuilleton so lange für atemberaubende Phantasie, subversiven Witz und virtuose Sprachkunst gelobt wurden?

Ein liebenswerter Verrückter

Schon für ihr Erzähldebüt „Pong“, in dem sie die Welt aus der Sicht eines liebenswerten Verrückten schildert, hatte sie 1998 den Ingeborg-Bachmann-Preis der Stadt Klagenfurt erhalten – einen der begehrtesten Literaturpreise für deutschsprachige Nachwuchsautoren. Es folgten teils hochgelobte Romane wie „Montgomery“ (2003) oder „Consummatus“ (2006) sowie das Philosophenporträt „Blumenberg“ (2011). Im vorigen Jahr erschien als eine Art Fortsetzung ihres Erstlings „Pong redivivus“ mit Illustrationen ihres Mannes Friedrich Meckseper. Viel von ihrem eigenen Leben ließ sie in den tragikomischen Roman „Apostoloff“ (2009) fließen.

1954 als Tochter eines bulgarischen Frauenarztes in Stuttgart geboren, hatte sich ihr depressiver Vater (wie der Romanheld) das Leben genommen, als sie neun Jahre war. Sie besucht ein frommes evangelisches Mädchengymnasium, schließt sich vorübergehend den Trotzkisten an und studiert – eher zufällig, wie sie sagt – Religionswissenschaften. Danach arbeitet sie lange als Buchhalterin in der Werbeagentur ihres Bruder und produziert nebenher Radiofeatures und Hörspiele. Als mit „Pong“ der literarische Durchbruch kommt, ist sie schon 44. Sie habe schon immer geschrieben, aber erst durch eine Erkrankung ein Fundament dafür bekommen, erzählte sie einmal. „Durch die Krankheit hat sich vieles verändert, ich wurde liebenswürdiger, verträglicher und konnte besser schreiben.“

2013 kam mit dem Georg-Büchner-Preis der Ritterschlag. Und dann die Wutrede gegen die Retortenmedizin. Sie habe die heftigen Reaktionen in keiner Weise erwartet, räumte Lewitscharoff später ein. Niemals hätte sie freiwillig die „wunderbare Chaussee des Erfolgs“ verlassen. Ihr jüngstes Buch erscheint da fast als Bestätigung der düsteren Ahnung. Der vor wenigen Tagen erschienene Katzenkrimi „Killmousky“, von ihr zur literarischen Entspannung gedacht, stieß auf mäßige bis vernichtende Kritiken.

 
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