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Rügheim
Die Star-Solistin und das Geschenk des Himmels
Tabea Zimmermann über absolutes Gehör, Elbphilharmonie und beschränktes Klassik-Repertoire. Und wie es mit dem angeblichen Schattendasein der Bratsche ist.
'Ich entdecke gerne Neues': Bratschistin Tabea Zimmermann kommt am Sonntag zu den Meisterkonzerten nach Rügheim.
Foto: Marco Borggreve | "Ich entdecke gerne Neues": Bratschistin Tabea Zimmermann kommt am Sonntag zu den Meisterkonzerten nach Rügheim.
Ralph Heringlehner
Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 03.12.2019 11:04 Uhr

Alles außer gewöhnlich", wirbt Rügheim auf seiner Homepage. Außergewöhnlich ist jedenfalls, dass eine Musikerin, die in den Metropolen der Welt auftritt, ein Konzert in einem Haßberge-Dorf mit gerade mal 613 Einwohnern gibt: Am Sonntag, 17. Februar, 17 Uhr, kommt die Bratschistin Tabea Zimmermann. Zu verdanken ist der hochkarätige Termin in dem Hofheimer Ortsteil zum Einen der Reihe der Meisterkonzerte, zum Anderen dem historischen Schüttbau mit seinem Konzertsaal. Auf dem Programm stehen Bachs Sonate für Viola da Gamba und Cembalo Nr. 2 in einer Bearbeitung für Bratsche, Paul Hindemiths Sonate für Viola (der andere Name für Bratsche)  und Klavier 1939, sowie Max Regers Sonate für Viola und Klavier op. 107. Begleitet wird Tabea Zimmermann von Thomas Hoppe am Klavier.  

Frage: Wenn man Ihren Konzertkalender durchliest, steht da London, Amsterdam, Madrid – und Rügheim. Wie kam denn dieser Termin auf dem flachen Land zustande?

Tabea Zimmermann: Ich spiele sehr gerne Sonatenabende. Für Bratsche und Klavier gibt es aber leider nur wenige Möglichkeiten. Deswegen habe ich schon vor Jahren meiner Agentur gesagt, sie sollten auf Anfragen zu Sonatenabenden grundsätzlich positiv reagieren, und wenn sich's einrichten lässt, mache ich das gerne. Für Sonatenabende fahre ich sehr gerne auch aufs flache Land, wie Sie das nennen.

Macht es für Sie – von der Nervosität oder der Anspannung her – einen Unterschied, ob Sie in einem kleinen Saal spielen oder zum Beispiel in der Elbphilharmonie

Zimmermann: Nervosität gibt es, ja. Aber die ist unabhängig von der Saalgröße. Ich kann das ja nicht steuern und sagen: Bis 199 Zuschauer bin ich gelassen und darüber fängt die Nervosität an. Das wär ja lustig (lacht).

Ich könnte mir schon vorstellen, dass ein größerer Rahmen – bleiben wir mal bei der Elbphilharmonie – mehr Anspannung erzeugt.

Zimmermann: Ich habe in meiner 30-jährigen internationalen Konzertkarriere festgestellt, dass es Säle gibt, die sofort eine positive Ausstrahlung haben und einem sozusagen etwas entgegenstrahlen, worauf man sich freut. Dann gibt's Säle, die so etwas wie Ehrfurcht erwecken, wegen ihrer Tradition, wegen der Musiker, die da schon gespielt haben. Die Wigmore Hall in London zum Beispiel finde ich wunderschön. Aber ich betrete sie jedes Mal mit einer größeren inneren Anspannung. Nicht wegen der Saalgröße. Aber von den Fotos im Künstlerzimmer blicken einen all die großen Kollegen aus 120 Jahren an . . . Bei der Elbphilharmonie kann ich von solch einer Spannung nicht reden. Der Saal war zwar besonders teuer, ist aber aus meiner Sicht nicht besonders gelungen. Der muss erst noch ganz viele Konzerte erleben.

Tabea Zimmermann nimmt im Oktober 2018 von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland entgegen.
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa | Tabea Zimmermann nimmt im Oktober 2018 von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland entgegen.

Ich kann mir schon vorstellen, dass ein Saal so etwas wie eine Aura hat – aber das klingt jetzt wohl zu esoterisch . . .

Zimmermann: Ich sehe das eher physikalisch. Die Wandverkleidungen müssen durch Töne ins Schwingen gebracht werden. Ein neues Instrument muss erst ein paar Mal in Schwingung gebracht werden, bevor es richtig klingt – und ein Konzertsaal ist eine Art Klanginstrument. Die Klänge müssen sozusagen in seiner Akustik gespeichert werden. Das dauert bei neuen Sälen eine Weile, denke ich. Über die Elbphilharmonie reden wir dann in zehn Jahren noch mal.

In Rügheim spielen Sie eine Sonate von Bach, die eigentlich für Gambe geschrieben wurde. Ist so eine Bearbeitung mehr als nur eine Notlösung?

Zimmermann: Das ist überhaupt keine Notlösung. Bratschen und Gamben sind nicht so weit auseinander. Und ich finde, man kann Bachs Musik auf allen Instrumenten spielen. Ich habe bei Bearbeitungen inzwischen relativ wenige Bauchschmerzen. Es kommt natürlich drauf an, ob die Sprache des Komponisten eine leichte Adaption verträgt oder nicht. Ich würde also nicht jedes Werk auf die Bratsche übertragen, aber es gibt Stücke, die einfach zum Repertoire gehören. Nehmen Sie die Arpeggione-Sonate von Schubert. Die Arpeggione, eine Art Streichgitarre, war nur für ganz kurze Zeit eine Modeerscheinung. Es stimmt, dass wir den Tonumfang nicht hundertprozentig abbilden können, wir müssen einige Änderungen vornehmen. Das ist aber kein Schaden, sondern eher eine Bereicherung – sonst würde das Stück so gut wie gar nicht gespielt.

Sie spielen viele Uraufführungen. Entdecken die heutigen Komponisten die Bratsche auch als Soloinstrument?

Zimmermann: Ja, und da ist auch noch viel zu entdecken. Es gibt zwar eine angemessene Menge von Werken. Aber es gibt für Komponisten noch Spielraum, um Dinge auszuprobieren, um der Bratsche neue Aufgaben zuzuschreiben. Mich interessiert es sehr, das Repertoire zu erweitern. Ich entdecke gerne Neues. Bei mir liegt andauernd neues Repertoire auf dem Pult, neue Werke ebenso wie unbekannte ältere. Ich bin nicht jemand, der sich gerne ein einfaches Leben macht und 30-mal dasselbe hintereinander wegspielt.

Das macht natürlich viel Arbeit.

Zimmermann: Ich habe den Vorteil, dass ich durch mein absolutes Gehör bei modernen Partituren relativ schnell voraushören kann, was ich spielen soll. Ganz ehrlich: Hätte ich das nicht, würde ich sicher weniger zeitgenössische Musik spielen. Es ist ein Geschenk des Himmels. Ich kann dadurch relativ schnell neue Werke lernen. Uraufführungen zu spielen, ist aber auch eine Denkhaltung: Meiner Meinung nach leidet die klassische Musik unter dem recht eingeschränkten Kanon jener Werke, die für publikumsfreundlich gehalten werden. Da möchte ich nicht mitmachen. Ich versuche die Leute, durch die Qualität der Musik und durch Entdeckungslust zu begeistern – egal ob auf großen oder kleinen Podien.

Auf Ihrer Homepage zitieren Sie György Ligeti: „Die Violine führt, die Viola bleibt im Schatten.“ Sie fühlen sich als Musikerin aber sicherlich nicht im Schatten stehend.

Zimmermann: Überhaupt nicht. Ligeti hat das wohl als Grund angegeben, um etwas für die Bratsche zu schreiben. Ich finde in der Kammermusik den Platz in der Mitte wahnsinnig interessant. Es stimmt, dass ich oft eine starke Erste Geige brauche, die dann sozusagen die Stimme übernimmt. Aber bei den Proben komme ich ausreichend zu Wort (lacht). Ich kann da schon meine Vorstellungen einbringen. Nein, ich führe kein Schattendasein.

Es gibt Musiker, die zwischen Violine und Bratsche wechseln . . .

Zimmermann: Das stimmt, es ist was Tolles, wenn man das kann. Ich habe aber nie Geige gelernt. Das ist familiär bedingt: Eine meiner Schwestern spielte Geige, die andere Cello – ich bin bei der Bratsche gelandet. Mein Zweitinstrument ist das Klavier. Ich spiele zu Hause und an der Hochschule viel Klavier – auch zum Entdecken neuer Werke. Aber das ist nur für den Privatgebrauch.

Hören Sie manchmal Aufnahmen, die Sie selbst vor 25, 30 Jahren gemacht haben?

Zimmermann: Selten. Bei einer CD geht es immer um eine Momentaufnahme. Das muss einem klar sein. Man darf sich nicht vornehmen, die letztgültige Aussage zu einem Stück zu machen. Das schafft man nicht. Mein Anspruch an CDs ist, nur das rausgehen zu lassen, was ich zum Zeitpunkt der Aufnahme als bestmögliche Variante sehe. Deshalb bin ich bei einem relativ kleinen Label, bei „Myrios“, einem Ein-Mann-Betrieb. Da bin ich von A bis Z an dem Produkt beteiligt, bis hin zur Gestaltung des Covers. Das Endergebnis ist dann ein Teil von mir.

Sind Sie nach Konzerten zufrieden mit sich oder denken Sie: Da und da hätte ich's anders machen sollen?

Zimmermann: Das sind zwei unterschiedliche Fragen. Ich kann nach dem Konzert zufrieden mit dem Ergebnis sein und werde beim nächsten Mal trotzdem drüber nachdenken, ob ich etwas anders machen kann. Ich würde meine Art zu spielen vielleicht so beschreiben: Ich möchte jedes Konzert als eine einzigartige Situation sehen, bei der ich mich auf die Leute, den Ort, den Saal besonders einstimmen möchte. Das heißt, dass ich an einem anderen Ort, für andere Leute, in einer anderen Akustik anders spielen werde. Ein Konzert als einen besonderen Moment zu begreifen, das macht mir Freude. Für mich geht's bei Musik sehr oft auch um Momente. Das Verhältnis von Zeit und Klang ist eines meiner Lieblingsthemen: Wie entwickelt sich ein Klang in einem Raum, welches gemeinsame Atmen oder Pulsieren kann man erreichen mit den musikalischen Partnern und mit dem Publikum? Daraus ergeben sich für jeden Abend minimale Varianten. Es sollte sein, als würde man ein Werk zum ersten Mal hören, als würde man es auch als Musiker immer neu entdecken.

Zur Person
Tabea Zimmermann, geboren am 8. Oktober 1966 in Lahr im Schwarzwald, begann bereits als Dreijährige, auf der Bratsche zu spielen. Sie studierte unter anderem bei Sándor Végh am Mozarteum Salzburg. Schon mit 21 Jahren übernahm die mehrfach ausgezeichnete Musikerin eine Professur in Saarbrücken. Heute unterrichtet sie als weltweit gefragte Solistin an der Hochschule für Musik "Hanns Eisler" in Berlin.
 
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