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Die Stahlbändigerin
Atelierbesuch: Angelika Summa arbeitet mit allem, was mit Draht zu tun hat – von Blumendraht bis zum Baustahl. Und gibt ihrem Material eigentümlich vertraute Formen irgendwo zwischen Natur und Fantasie.
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Foto: Theresa Müller
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:45 Uhr

Schwierig ist eigentlich immer nur der Transport“, heißt es als Schlusswort in einem ihrer Kataloge. So als würden diese bis zu vier Meter hohen Skulpturen aus Baustahl oder irgendwelchen anderen Metallen ganz ohne Mühe entstehen. Schaut man der Bildhauerin Angelika Summa aber in die (Wortspiel nicht beabsichtigt) stahlblauen Augen, die gleichzeitig freundlich, neugierig, nachdenklich und ein wenig skeptisch blicken, spürt man schnell eine Kraft, die ganz offensichtlich vieles möglich macht: ein eiserner Wille.

Laut Pass ist Angelika Summa 1,56 Meter groß, zierlich sowieso. „Ich habe schon Kraft“, sagt sie, „aber ich arbeite so, dass ich gar nicht so viel Kraft brauche, wie man meinen würde.“ Sie vergleicht die Arbeit im Atelier mit dem Stricken: „Wie beim Pullover, wo Masche zu Masche zu Masche kommt, füge ich Element um Element hinzu, bis die Struktur entsteht, die ich anstrebe.“

Fotoserie

Diese Strukturen wachsen freilich sehr bald zu Gebilden heran, die sich nicht mehr mit Muskelkraft bewegen lassen. Dafür hat sie dann die beiden Kräne, die Hebebühne und den Hubwagen in ihrem Atelier in der Inneren Aumühlstraße in Würzburg.

Metall hat sie schon immer fasziniert

Dorthin ist vor zwölf Jahren das „Malerfürstentum Wredanien“ aus der Zellerau gezogen und zum „Malerfürstentum Neu-Wredanien“ geworden. Neben Summa und ihrem Mann, dem Fotografen und Journalisten Wolf-Dietrich Weißbach, arbeiten hier der Objektkünstler Achim Schollenberger (Akimo) und die Malerin Brigitte Hausner. Der ehemalige Lagerkomplex im Gewerbegebiet mit rissig geteertem Vorhof, ein wenig zaghaftem Grün und praktischer Laderampe gehörte zuvor dem Fischgroßhändler „Deutsche See“ – „es hat lange gedauert, bis wir den Geruch los waren“, erzählt Angelika Summa.

Metall hat Angelika Summa, geboren 1952 in Bayreuth, schon immer interessiert, aber es gab tatsächlich den einen, entscheidenden Moment, der alles veränderte. Schon während ihres Studiums der Kunstgeschichte, Germanistik und Archäologie hatte sie Materialbilder geschaffen, doch eines Tages, das muss um 1990 gewesen sein, wickelte sie beim Aufräumen ein Stück Draht auf. „Das war das Aha-Erlebnis. Das war wie ein Geistesblitz, ein Fingerzeig, da hat sich der Himmel aufgetan“, erzählt sie. Fortan machte sie alle Formen von Draht zu ihrem ganz persönlichen Forschungsprojekt. „Ich wollte wissen, was ich alles damit machen kann.“

Sie strickte, stickte, nähte, häkelte, knüpfte, bog, wob und wirkte, brachte sich selbst Löten und Schweißen bei, immer mit dem Ziel, alle erreichbaren Sorten von Draht – vom Blumendraht bis zum fingerdicken Baustahl – ihrem Gestaltungswillen zu unterwerfen.

Als bildete sie Bausteine des Lebens ab

Eine kleine, zierliche Frau, die harten, rostigen Baustahl bezwingt – das fasziniert die Menschen. Zuletzt hat sie das wieder Ende Februar auf der Kunstmesse art Karlsruhe erlebt, wo sie einen zehn mal zehn Meter großen Skulpturenplatz hatte.

Angelika Summa kennt das, und es scheint sie nicht weiter zu stören, denn sie weiß, dass ihre Arbeiten auch ohne jegliches Wissen über die Statur der Künstlerin faszinieren. Im Gegenteil: Ihre Objekte haben eine gewissermaßen selbsterklärende Ausstrahlung, die vermutlich damit zusammenhängt, dass sie immer irgendwie natürlich wirken. Als wären sie auf der Basis einer zuvor unbekannten, aber dennoch rätselhaft vertrauten DNA organisch gewachsen. Als bildeten sie Bausteine des Lebens ab, die wir im Alltag zwar nicht sehen können, deren Vorhandensein in irgendeinem subatomaren Universum aber absolut unverzichtbar ist.

Da sind die vielen Variationen der Kugel. Borstige, stachelige, haarige, gestromerte Kugeln, die mal trutzig wirken, mal schnittig, angriffslustig, mal irgendwie anrührend zerzaust. Die immer einladen, ihre Beschaffenheit näher zu erkunden. Denn die Kugelform entsteht auf unterschiedlichsten Wegen. Mal sind es geschichtete Bänder, die eine perfekte Hülle bilden, mal verwobene gebogene Rohre, mal gar nicht gebogene Stangen, die so kunstvoll verbunden sind, dass sie in der Gesamtschau eine perfekte Kugel bilden.

Da sind die ironischen Form-Entfremdungen: Eine Art Polster, geformt aus Stacheldraht zum Beispiel. Titel: „Unruhekissen“.

Überhaupt die Titel. Die sind wichtig. Ihre hauchfeinen Drahtgebilde, die mal erinnern an ein Virus oder ein Molekül unter dem Elektronenmikroskop, mal an Weltallaufnahmen von Sonnenwinden nennt sie Skulptone – eine Wortschöpfung aus den Worten Skulptur und Elektron oder Neutron.

„Ich will nicht die Natur abbilden“, sagt Angelika Summa, „aber ich bewege mich in der Natur.“ Die Geometrie spielt eine Rolle. Und das Chaos. Oder vielmehr wie man es ordnen kann. „Ich brauche die Form, um Struktur bauen zu können“, sagt sie. Tatsächlich wachsen ihre Skulpturen in einem organischen (Arbeits-)Prozess. Deshalb macht Angelika Summa nie vorab Skizzen oder gar Modelle. Sie beginnt eine neue Skulptur zwar immer mit einer Idee – „ich weiß, wo ich hinwill“ –, arbeitet dann aber nie gegen das Material. „Ich spüre dem Material nach, und dadurch verändert sich das Objekt beim Machen.

Dieses Machen ist ein ganz eigener Zustand, bei dem sie sich ungern stören lässt. „Da stecke ich viele Stunden mit Scheuklappen knietief in meiner Arbeit drin.“ Auch Pausen, obwohl unumgänglich, macht sie ungern, weil sie dann immer wieder Zeit braucht, um anzuknüpfen: „Ich will den Kontakt nicht verlieren.“

Die Frage, wann eine Arbeit fertig ist

Es fällt ihr schwer zu bestimmen, wann eine neue Arbeit fertig ist. „Ich arbeite oft noch wochenlang daran herum, bis der Moment kommt, wo ich es weiß. Es kann aber sein, dass ich noch nach Jahren weitermache.“

Die zugige, nicht heizbare Halle („im Winter packe ich mich halt dick ein“) mit den beiden Rolltoren ist perfekt durchorganisiert. Im hinteren Teil steht eine Werkbank, in den Ecken Schweißgeräte für die verschiedenen Techniken, die sie sich angeeignet hat. Etwa zwei Drittel der Fläche nehmen die größeren Arbeiten auf Paletten ein, die gerade von einer Ausstellung gekommen sind oder demnächst wieder auf Reisen gehen.

Der „Alien“ etwa, eine stachelige, rund 350 Kilogramm schwere Kugel, die vergangenes Jahr als eine von nur zwei deutschen Arbeiten auf der bedeutenden Skulpturen-Ausstellung „Sculpture by the Sea“ am Bondi Beach in Sydney zu sehen war und – von einer pazifischen Riesenwelle zerzaust – heimgekehrt ist.

Ansonsten entstehen Beschädigungen meist bei den – ziemlich häufigen – Transporten, denn Angelika Summas Arbeiten sind ständig auswärts zu sehen. Im April etwa im Damianstor beim Kunstverein Bruchsal, derzeit – bis September – in Lahr, wo sie fünf große Skulpturen im Stadtraum und außerdem eine Einzelausstellung zeigt.

Angelika Summa sieht sofort, wenn ein Ring verbogen, ein Übergang eingedrückt ist. Im Hof vor der Laderampe steht ein vier Meter hoher, aus Ringen geformter Kubus, vor kurzem zurück aus Deggendorf. Unversehrt, zumindest im Auge des Laien. Angelika Summa tritt darauf zu und zeigt zwei, drei Stellen, die sie bereits repariert hat, und zwei, drei weitere, wo sie noch mal ran muss.

Erst dann darf der Kubus wieder auf Reisen gehen. Vorher nicht.

An die stachlige Kugel „Bessere Hälfte“ muss sie noch mal ran, noch ist sie damit nicht zufrieden. Angelika Summa in ihrer großen Werkstatthalle auf dem Gelände des „Malerfürstentums Neu-Wredanien“.
Foto: Theresa Müller | An die stachlige Kugel „Bessere Hälfte“ muss sie noch mal ran, noch ist sie damit nicht zufrieden. Angelika Summa in ihrer großen Werkstatthalle auf dem Gelände des „Malerfürstentums ...
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