Weiße Gesichter, schwarze Klamotten und theatralische Posen. Der Lord ist in der Stadt. Der Lord, das ist Chris Harms, der Sänger mit der sonoren Stimme. Lord of the Lost, das ist seine Band. Die spielt Düster-Kram irgendwo zwischen Gothic und Metal und schafft was Ungewöhnliches für das Schwarzkittel-Publikum: Es feiert ausgelassen, statt sich selbst zu inszenieren.
Auch poppig und metallisch
Es mag daran liegen, dass die fünf Hamburger nicht im Zentrum der schwarzen Szene - die in Würzburg groß, aber offenbar elitär ist - rocken. Klar, sie tummeln sich auch auf den Festival-Klassikern wie dem Wave-Gotik-Treffen oder dem M'era Luna, sie sind geschminkt, basteln ihre Songs um bassige, stampfende Rhythmen, hantieren mit dem Synthi und Harms intoniert bisweilen totengleich. Aber: Lord of the Lost sind auch poppig, metallisch, eingängig, aufbrausend - emotional. Darum schlurfen ihre Fans eben auch nicht selbstverliebt, primär mit ihrer eigenen Melancholie und den phantasievollen Kostümen beschäftigt, durch die Halle. Sie springen, tanzen und singen mit. Alles ist einen Tick fröhlicher, hat gar was von Schlager.
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Sehen wollen den Auftritt in der Würzburger Posthalle lediglich um die 300 Fans. Die freilich bilden mit ihren Lieblingen eine Einheit wie selten, wenn's derart leer ist. Was wiederum auch an der Band liegt, die gut zwei Stunden alles gibt. Gar nicht so selbstverständlich angesichts der starken Besucherzahlen andernorts. Über 1000 Zuschauer sind keine Seltenheit auf der "Thornstar-Tour"; weswegen Harms auch verkündet, dass diese bis 2020 um weitere 30 europaweite Konzerte verlängert wird. Bisher ging's bereits durch 24 Länder, gerade sind die Hanseaten das letzte Wochenende in Deutschland.
Herrlich ironisches Shirt
Was als wenig innovatives Einmann-Projekt vor zwölf Jahren begonnen hat, ist längst eine ausgewachsene Band mit Profil. Harms kann Düster-Ton genauso wie Growlen, kleine Anleihen aus dem Death Metal oder dem Metalcore, aber auch dem Synthiepop machen das Programm abwechslungsreich. Immer wieder gibt's Spannendes zu entdecken. Vor allem, weil er mit Keyboarder Gerrit Heinemann einen herausragenden Instrumentalisten, der auch zu Gitarre und Schlagwerk greift, zur Seite hat. Herrlich ironisch sein Shirt: Lord of the Gay Ninjas.
Witz haben sie ohnehin, die fünf - auch nicht alltäglich im schwarzen Land der ernsten Mienen. Dass Heinemann demnächst wieder zusätzlich mit David Hasselhoff auf Tour gehen wird, kommentiert "Lord" Harms bissig: "Da musst du dir für den Knightrider vorher noch die Zähne und das A...loch bleachen lassen, schön amerikanisch halt." Und am Ende des Sets formieren sich die Herrschaften tatsächlich vor den Fans fürs obligatorische Selfie in Form der berühmten Scorpions-Pyramide - müssen aber höllisch aufpassen, dabei nicht übereinander zu purzeln.
Musikalisch sind Lord of the Lost deutlich standfester. Gerade auch, wenn's akustisch wird und kein Bass-Drums-Gebumber Fehlerchen wegstampfen könnte. Zu "Sooner or later" gibts ein vierhändiges Piano-Solo der Protagonisten Harms/Heinemann, wunderbar romantisch auch "Credo". Auch mit Strom liegen die Stärken im Midtempo-Bereich ("In Darkness, in Light"). Und wenn's mal etwas simpler wird ("Six feet underground"), dann sorgen hunderte kleine Blinklichter auf Harms' schwarzer Gitarre für gute Laune.
Schweißtreibendes Finale
Völliger Quatsch ist freilich der Cover-Griff zum Pet-Shop-Boys-Machwerk "It's a Sin" - auch mit so was macht man sich bei den beinhart "ehrlichen" Schwarzen keine Freunde. Aber heute sind nicht die Hartgesottenen da, eher ein Rock-Publikum und das feiert. Mit "Doomsday Disco" geht's schweißtreibend auf die in "La Bomba" und "Lighthouse" mündende Zielgerade - auf der Harms noch mal innehält und zu einem emotionalen Plädoyer für die Posthalle ansetzt: "2000 Yuppie-Wohnungen finden auch woanders Platz. So ein Stück Kultur in Würzburg darf nicht sterben."