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Die neue Droge von Udo Lindenberg
Keine Panik: Auf seine alten Tage legt der Panikrocker noch mal richtig los. Nachdem er lange Jahre mehr von seinem Status als Legende, weniger von aktuellen Erfolgen gelebt hat, ist Udo Lindenberg wieder ganz oben.
Udo Lindenberg: „Zigarre ein bisschen paffen ohne zu inhalieren.“
Foto: Jan Woitas, dpa | Udo Lindenberg: „Zigarre ein bisschen paffen ohne zu inhalieren.“
Das Gespräch führte Olaf Neumann
 |  aktualisiert: 29.12.2014 16:42 Uhr

Im Jahr 2008 gelang Udo Lindenberg ein sensationelles Comeback mit dem Album „Stark wie zwei“. Jetzt setzt der Deutschrock-Pionier noch eins drauf und plant für 2015 weitere Stadionkonzerte. Der gebürtige Westfale ist zwar längst im Rentenalter, aber die Zahl 68 löst bei dem selbst ernannten Panikrocker keine Panik aus. Es ist für ihn nur eine „Zahl von der Firma Scheißegal“. Beim Interview gab Lindenberg – natürlich etwas vernuschelte – Antworten auf Fragen zu Exzessen, zum Showbusiness, zur UNO, zu panischen Zeiten – und zu seinem Fluggerät.

Frage: Wann sind Sie heute aufgestanden?

Udo Lindenberg: Heute? Um 12. Für meine Verhältnisse eigentlich noch früh. Ich penn' meistens von sechs bis eins. Nachts kann ich malen und Texte machen oder in Ruhe joggen. Oder eine exzessive Party feiern. Und morgens penn' ich. Frischhaltetüte, Schönheitsschlaf, hä, hä, hä.

Wie kamen Sie auf die Idee, Stadionkonzerte geben zu wollen?

Lindenberg: Vor drei Jahren traten wir in Köln in der Lanxness-Arena dreimal nacheinander vor insgesamt über 50 000 Leuten auf. Daraufhin meinte mein Impresario Roland Temme, wir sollten mal in einem Stadion spielen. Das ist für mich eine Herausforderung, ein neuer Kick dank der technischen Möglichkeiten mit LEDs und Fluggeräten. Ich bin ein Spielkind und ein Experimentator, ich habe schon immer gerne Songs bebildert mit Figuren, Filmen oder Bauten. Anfangs hatte ich noch Bedenken wegen dieser Anonymität in Stadien. Viele lieben ja gerade die Nähe, Direktheit und Intimität meiner Balladen. Die leisen Töne und so.

Wie sorgt man in einem Stadion für Intimität?

Lindenberg: Indem ich die Leute mit einem Fluggerät besuche. So was gab es bis vor kurzem noch gar nicht, wir mussten es erst erfinden wie Daniel Düsentrieb. Und dann haben wir rumgecheckt von Deutschland über England bis Amiland. Wir haben Seilwinden gefunden und computergesteuerte Spidercams, die nicht schwerer als 75 Kilo sein dürfen. Und dann geht das. Das Ding fliegt im ganzen Stadion rum. Ich kann in den entferntesten Ecken die Leute besuchen und die Brille abnehmen. Wir haben tausend Quadratmeter große LED-Wände, das gab es noch nicht mal bei den Stones, die ich kürzlich im Hyde Park gesehen habe.

Auf der Bühne werden hundert Künstler stehen. Gehören die alle zur großen Panikfamilie?

Lindenberg: Ja. Gestartet sind wir dieses Jahr mit dem Rockliner. Rauf aufs Schiff, hoch die Tassen und Partytime ohne Ende! Dabei ist die ganze Familie so richtig zusammengewachsen. Ich habe die Band ein bisschen aufgestockt. Carl Carlton ist wieder dabei, und Pascal Kravetz ist jetzt eingestiegen. Ken Taylor und Nippy Noya von der Dröhnland-Tour sind auch mit dabei. Es gibt Bläser, einen Chor und Tänzerinnen.

Wie finden Sie neue Mitglieder für Ihre Panikfamilie?

Lindenberg: Über Empfehlungen. Die Tänzerinnen wurden mir empfohlen von dem Lichtdesigner Günter Jäckle, der auch schon die Grönemeyer-Shows gemacht hat. Andere sind durch das Lindenberg-Musical zu uns gestoßen. Da ich ja keine Privatfamilie habe im Sinne von Frau, Kind, Hund, Haus ist dies meine Familie. Wenn ich sie treffe, bleibe ich zu Hause. Super herzlich. Was sie an Liebe abstrahlen, überträgt sich dann auf das Publikum.

Leben wir heute wieder in panischen Zeiten?

Lindenberg: Politisch gesehen ja. Die Panik ist aber noch nicht ausgebrochen, das soll sie auch nicht. Viel lieber soll ein Dialog zustande kommen. Ich denke dabei an die Ukraine und Putin. Gorbatschow hat in Berlin deutlich gemacht, dass es bezüglich der Nato mal eine Absprache gab. Sie wollte ursprünglich nicht in die befreiten Länder expandieren. Aber sie hat es trotzdem getan, und zwar ohne Absprache mit Russland. Deshalb werden die Russen sauer, das ist ja nicht Putin alleine. Sie rüsten auf, halten Manöver ab und gehen über die Grenzen rüber. Dabei kann leicht ein Fehler im Militärsystem passieren. Ein Atomkrieg aus Versehen. Dieses Risiko darf man nicht eingehen. In den 1980er Jahren hatten wir schon mal solch eine Gefahr. Damals standen wir aufgrund irgendwelcher Missverständnisse kurz vor einem Atomkrieg.

Wie lautet Ihr Lösungsvorschlag?

Lindenberg: Wenn ich mit Politik irgendetwas zu tun hätte, würde ich sagen: Nato, bitteschön raus aus den osteuropäischen Ländern! An erster Stelle steht, dass wir die Freundschaft mit Russland wieder hinkriegen. Kulturaustausch und so. Ich persönlich war schon öfter in Moskau und St. Petersburg. Nach all dem, was im Zweiten Weltkrieg so gelaufen ist, müssen wir heute mit Russland eine Freundschaft haben. In anderen Regionen gibt es Stammeskriege, damit umzugehen ist schwer. Es geht auch nicht, dass man Assad sein eigenes Volk ermorden lässt. Um zu verhindern, dass Terroristen, die sich auf die Religion beziehen, vom Heiligen Krieg reden und „Ungläubige“ ermorden, bräuchten wir eine starke UNO.

Wie denken Sie über die UNO?

Lindenberg: Leider funktioniert sie nicht. Wir in Europa müssen gegenüber den Flüchtlingen aus Syrien oder Somalia eine andere Haltung entwickeln. Die Ressourcen müssen gerechter verteilt werden. Auf der Welt muss es weder Armut noch Wassernot geben. Es ist für alle genug da, Hunger gibt es nur, weil wir es nicht schaffen, die Nahrung zu den Hungernden zu bringen. Darüber rede ich gerade mit Klaus Kleber, wir planen eine gemeinsame Aktion. Ein sehr guter Mann. Als Sänger bin ich eine Art Reflektor dessen, was in der Welt passiert. Deshalb bin ich aufgerufen, neben meinen Songs und meiner Show ein Statement abzugeben.

Könnten Sie sich vorstellen, nach Moskau zu reisen und sich dort für eine friedliche Lösung des Ukraine-Konflikts einzusetzen?

Lindenberg: Ja, das könnte ich mir vorstellen. Ich bin dort schon ein paar Mal aufgetreten. Putin habe ich auch schon mal persönlich kennengelernt. Ich möchte gern in dieser Hinsicht aktiv bleiben. Deswegen habe ich mich auch an der Initiative von Bob Geldof gegen Ebola beteiligt. Ich will Position zeigen. Ich möchte gern ein neues Lied zum Thema „Flüchtlinge“ machen. Ich finde, Leonardo di Caprio hat zum Weltaktionstag für Klimaschutz eine ganz gute Rede vor der UNO gehalten. Noch haben wir die Chance, etwas zu ändern, aber irgendwann ist die Umwelt im Eimer. Um solche Dinge möchte ich mich kümmern.

Haben Sie in letzter Zeit etwas an Ihrem Leben verändert?

Lindenberg: Ja. Ich habe einen Pakt geschlossen mit mir selber. Einen Pakt zur Fitness. Ich liebe diese geilen großen Shows, ich liebe meine Berufung, Sänger und auch Showtyp zu sein. In großen Stadien muss ich eine enorme Kondition haben. Deswegen habe ich beschlossen, die Sauferei und das Zigarettenrauchen einzustellen. Zigarre ein bisschen paffen ohne zu inhalieren. Ansonsten widme ich mich den geheimen fernöstlichen Wissenschaften. Darüber darf ich aber im öffentlich-rechtlichen Radio nicht sprechen.

Was ist heute Ihre Droge?

Lindenberg: Diese geilen großen Shows sind der reinste Rausch. Das ist wie Psychedelic. Ich leg‘ mich rein in den Sound von der Band, und Bertram trommelt praktisch durch mich hindurch. Ich setz das um in Dance. Rumfliegen und schleudern, Rolle rückwärts. Das ist wie eine Droge. Ansonsten mache ich heute nur noch gezielte Sauferei, und nicht mehr nach der Mengenlehre. Früher habe ich das rund um die Uhr getan, bis der Arzt kam. Heute will ich fit sein für meine Leidenschaft. Deswegen gehe ich nachts joggen. An der Alster oder wo ich sonst gerade bin. Mindestens eine halbe Stunde, aber meistens eine ganze.

Wie belohnen Sie sich für Erfolge?

Lindenberg: Ich mache mit Freunden tolle Reisen. Zum Beispiel an den Amazonas. Dort fahren wir mit dem Ruderboot rum. Letzten Sommer waren wir in Island. Ich bin eigentlich immer irgendwo unterwegs. Nächste Woche streune ich in Paris rum. Wie ein Strolch oder eine streunende Katze. Es gibt viel zu entdecken in der Welt. Das ist mein Abenteuerleben.

Udo Lindenberg von 1946 bis 2015

Udo Gerhard Lindenberg wurde am 17. Mai 1946 in Gronau geboren. Im Alter von 15 begann er eine Ausbildung zum Kellner in Düsseldorf, wo er in Altstadtkneipen als Schlagzeuger spielte. Nach dem Wehrdienst als Kanonier bei der Raketenartillerie in Wesel kam Lindenberg nach Hamburg. 1969 wurde Lindenberg Schlagzeuger bei den City Preachers, der ersten Folkrock-Band Deutschlands. 1969 gründete er mit Peter Herbolzheimer die Band Free Orbit, mit der im Oktober 1970 seine erste Langspielplatte erschien. Auch auf dem Debütalbum der von Klaus Doldinger gegründeten Formation Passport und auf dessen Titelmusik zur Fernsehreihe „Tatort“ spielte Lindenberg Schlagzeug. Seine erste eigene LP („Lindenberg“, 1971, englisch gesungen) floppte, von „Daumen im Wind“ (1972, deutsch gesungen) wurden ganze 7000 Stück verkauft. Nach einer Tournee als Schlagzeuger der Band Atlantis brachte Lindenberg 1973 das Album „Andrea Doria“ den Durchbruch. Der Rest ist deutsche Popgeschichte.

Lindenberg live 2015: 10. Juli Hannover, HDI-Arena, 14. Juli Berlin, Olympiastadion, 18. Juli Frankfurt, Commerzbank-Arena.

 
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