Nahezu ausschließlich weiblich war das Publikum bei der Eröffnung des Literarischen Herbstes in der voll besetzten Würzburger Stadtbücherei. Ob es an Autorin Karen Duve oder am Thema ihres vor wenigen Tagen erschienenen Romans „Fräulein Nettes kurzer Sommer“ lag? Der erzählt von der jugendlichen und heranwachsenden Nervensäge Nette, noch bevor sie die später berühmte Autorin Annette von Droste-Hülshoff war.
Glänzend geschrieben, mit trockenem Humor und subtiler Ironie erzählt das Buch von einer tragisch scheiternden Liebesaffäre der jungen Dichterin der Romantik und enthüllt so ein bisher verborgenes Geheimnis der Literaturgeschichte. Wie unsere Gegenwart sind auch die Jahre der Nach-Napoleonischen Zeit ab 1815 Zeiten des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbruchs.
„Zwei reale Jahre, die sich aber wie vier anfühlten“, habe sie für Recherche und Schreiben gebraucht, um Zeitumstände und weitverzweigten Verwandtschaftsbeziehungen der Adelsfamilie Haxthausen von Droste zu Hülshoff einzufangen, sagte Duve auf Nachfrage aus dem Publikum.
Dazu gehört insbesondere auch der große Freundeskreises aus Künstlern und Intellektuellen wie die Gebrüder Grimm oder der Göttinger Poet Heinrich Straube, die Annettes Onkel August im national-emphatischen Geist der Frühromantik um sich versammelt. Einer aus dieser Clique, der genialische Straube ist es, der sich hingezogen fühlt, zu dieser klugen, unangepassten und unkonventionellen Adelstocher Nette, die ganz und gar nicht zu ihren sittsam-braven Tanten und Cousinen passt. Es sind zwei Seelenverwandte, die hier in den Jahren 1817 bis 1820 aufeinandertreffen und damit alle Konventionen herausfordern: das 23-jährige, einerseits schmächtige und kränkliche, anderseits blitzgescheite Enfant Terrible und der äußerlich „grundhässliche“, sich gleichwohl als kommender Goethe fühlende Dichter. Kann das gut gehen?
Karen Duve lässt diese Frage in ihrer Lesung unbeantwortet. Souverän, sachlich-distanziert und stilistisch wechselnd zwischen romantisch geprägten Naturbildern und ironisch-schnoddriger Jugendsprache, entwirft sie in den ausgewählten Passagen ein lebendiges Figuren- und Zeitpanorama, das ganz und gar nicht antiquiert, sondern frisch und absolut auf der Höhe unserer Zeit daherkommt. „Nicht, wie es tatsächlich war, sondern wie es sich für Nette im dramatischen Sommer 1820 angefühlt haben könnte“, fasst Duve das Anliegen ihres großartigen Zeit- und Familienpanoramas zusammen. Das die biografischen Leerstellen von Nette mit viel Empathie und Witz füllt und dem Publikum zum Auftakt des Literaturherbstes einen äußerst kurzweiligen Abend bescherte.
Karen Duve: Fräulein Nettes kurzer Sommer. Verlag Galliani Berlin. 592 Seiten, 25 Euro. Die nächsten Gäste beim Literarischen Herbst der Stadtbücherei sind: Hanns-Josef Ortheil (2. Oktober) und Kirsten Fuchs (16. Oktober). Karten-Reservierung: Tel. (09 31) 37 24 44