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Die lauten Lästermäuler von Saltatio Mortis
Mittelalterrock: Die Band Saltatio Mortis balanciert seit 17 Jahren zwischen mittelalterlicher Folklore und Metal mit Punk-Einflüssen. Ein Blatt nehmen die Badener dabei nur ungern vor den Mund.
Michi Bauer
 |  aktualisiert: 13.02.2024 17:54 Uhr

Timo Gleichmann spielt Schlagzeug bei der Mittelalter-Rockband Saltatio Mortis, die am 14. Juli im Rahmen ihrer Deutschland-Tour auf der Burg Wertheim Station macht. Die achtköpfige Combo balanciert seit 17 Jahren zwischen mittelalterlicher Folklore in der Spielmannstradition und Metal mit gelegentlichen Punk-Einflüssen. Ein Blatt nehmen die Badener dabei nur ungern vor den Mund. Der 44-jährige Pforzheimer Gleichmann, der, kaum dass eine Bühne oder ein Tonstudio in der Nähe ist, auf dem Namen „Lasterbalk der Lästerliche“ hört, ist studierter Betriebswirt und Psychologe. Seine musikalische Laufbahn startete in der Schul-Bigband und mündete nach dem Abitur zunächst in eine „Krawall-Kapelle, die es geschafft hat, sämtliche Biergärten leerzuspielen“, so Gleichmann alias Lasterbalk.

Frage: Timo oder Lasterbalk? Wie darf ich Sie ansprechen?

Timo Gleichmann (Lasterbalk der Lästerliche): Prinzipiell wie Sie wollen, wenngleich ich im Zusammenhang mit der Musik den bürgerlichen Namen gerne weglasse.

Lasterbalk der Lästerliche – wie lästerlich sind Sie denn so?

Gleichmann: Die Spielmannsnamen bei uns kommen nicht von ungefähr. Als ich anfing Musik zu machen, hab' ich's schon toll getrieben. Es gibt im ausgehenden Mittelalter einen historischen Spielmann namens Lasterbalk. Der war in allen Reichsstädten unter Bann wegen Vielweiberei, Trunksucht, Spielsucht und Rede gegen die Obrigkeit. Als ich über den etwas vorgelesen habe, haben alle in der Band gelacht und gemeint, das müsse mein Vorfahre sein. So hatte ich meinen Spitznamen weg.

Jetzt sind Saltatio Mortis ja durchaus auch Lästermäuler. Aktuelle Gesellschaftskritik und mittelalterlich inspirierte Rockmusik – eine spannende Kombination.

Gleichmann: Eigentlich ist das kein Widerspruch. Was wir heute an Informations-Freizügigkeit genießen, gab es so im Mittelalter nicht. Es gab keinen Buchdruck, keine Zeitung, kein Radio, keinen Fernseher. Der normale Mensch kannte die Grenzen seines Dorfes, und das war's. Die fahrenden Spielleute hatten eine wichtige Funktion: Sie haben Neuigkeiten verbreitet, Klatsch und Tratsch wie auch ernsthafte, politische Themen. Aber diese Informationen waren auch gefärbt, das lässt sich vergleichen mit Kolumnisten und Journalisten heutzutage. Diese Kritik an Zuständen, an Kirche, an Obrigkeit war schon sehr inhärent.

Ihre Band wurde in ihrer kritischen Haltung auch schon missverstanden. Beim Song „Wachstum über alles“ wurde die erste Strophe des Deutschlandliedes eingebaut, bei „Augen zu“ das Horst-Wessel-Lied zitiert. Ein hohes Risiko.

Gleichmann: Das wir wieder gehen würden. Angst anzuecken, ist etwas Furchtbares. Wir sollten uns eine streitbare Kultur erhalten. Dennoch ist es ärgerlich, wenn Kommentar-Boxen-Füller, ohne nachgedacht zu haben, Dinge rumkrakelen. Das ist dumm und laut. Aber es ist ein Zeichen der Zeit, dass es sehr viele dumme und laute Menschen gibt. Ich will mich aber nicht der Dummheit und Lautstärke beugen, ich will heiße Eisen anfassen, zu denen wir etwas zu sagen haben.

Gerade in neuen Medien kann aus vorschnellen Kommentaren rasch ein Kesseltreiben entstehen.

Gleichmann: Ein spannender Punkt. Mich ärgert zum Beispiel unser Wikipedia-Eintrag, wo genau diese kritischen Äußerungen nicht wirklich richtig interpretiert werden. Wikipedia wird ja als Lexikon-Ersatz wahrgenommen, was da steht, wird schon stimmen. Im guten alten Brockhaus, der bei mir noch in gebundener Ausgabe im Regal steht, wurden die Einträge noch von Experten sorgfältig recherchiert zusammengetragen.

Bei Wikipedia ist es irgendetwas zwischen Autokratie und demokratischem Prozess. Hier findet Wahrheit nur noch in einem Community-Gedanken statt. Für mich sind Nachrichten immer nur ein Mosaiksteinchen, ich bin verpflichtet, mich zu diesem Thema mit anderen Informationsquellen auseinanderzusetzen. Dieses Selbstverständnis ist heute leider vielen abhandengekommen.
 

Saltatio Mortis im November 2015 in der Würzburger Posthalle.
Foto: Ulises Ruiz | Saltatio Mortis im November 2015 in der Würzburger Posthalle.
In sozialen Medien, allen voran Facebook, wird dies auf die Spitze getrieben. Trotzdem ein Medium für Mittelalter-Rocker?

Gleichmann: Wir sind Menschen, die im 21. Jahrhundert leben, wir schwelgen nicht in der Vergangenheit. Wir könnten unsere Auftritte nicht ohne moderne Computertechnik realisieren.

Ein weiterer vermeintlicher Spagat: Saltatio Mortis spielen akustische Konzerte auf Mittelaltermärkten, aber auch lautstarke Rockkonzerte auf den großen Festivals der Nation. Wo fühlen Sie sich mehr zu Hause?

Gleichmann: Dazu muss ich sagen, dass Musikkategorien von Musikjournalisten erfunden worden sind. Wir bedienen uns aber schon unterschiedlicher Stile und wollen auch bewusst immer mal wieder den Rahmen sprengen. Alleine schon, weil wir acht Leute in der Band sind, die musikalisch unterschiedlich sozialisiert worden sind.

Da gibt es studierte Musiker genauso wie Mittelalter-Mucker, die mit Dudelsack und Trommel an der Kaufhaus-Ecke Krach gemacht haben. Irgendwo dazwischen liegt unser Spannungsfeld. Was uns auszeichnet, ist, dass jede Fraktion vor der anderen Respekt hat und auch von der anderen lernt. Musikalisch kann der Straßenmusiker vom Hochschulabsolventen lernen, was die atmosphärische Umsetzung bei Konzerten betrifft, umgekehrt. Das wird man auch der neuen Platte anmerken, die 2018 erscheint und für die wir uns drei Jahre Zeit lassen diesmal. Es war einfach Zeit, sich noch einmal neu zu erfinden. Mehr möchte ich aber noch nicht verraten.

Am 14. Juli spielen Saltatio Mortis in Wertheim. Die ideale Kulisse . . .

Gleichmann: Auf jeden Fall, wir sind da nicht zum ersten Mal. Hat mich sehr gefreut, dass es wieder geklappt hat. Eine sehr schöne Burg.

Und welche Rolle spielen dabei die Kostüme, die die Musiker tragen? Würde es auch in Jeans und Shirt funktionieren?

Gleichmann: Speziell auf den Metal-Festivals würde es auch in Jeans und Shirt gehen. Aber wenn wir Dudelsäcke und alte Trommeln rausholen, würde es sich schon beißen. Wir müssen letztlich im Outfit den gleichen Spagat machen wie in der Musik: mit einem Bein in der Moderne, mit dem anderen in einer verklärten Vergangenheit.

Musikalisch ist die Bandbreite des Mittelalterrocks naturgemäß limitiert. Läuft eine Band da Gefahr, zwischen Schalmei, Sackpfeife und E-Gitarre stecken zu bleiben?

Gleichmann: Auch wenn wir von dem ein oder anderen Kollegen belächelt werden könnten, wir reden immer noch von Kunst. Und da ist eigentlich alles Denkbare erlaubt. Wir sehen uns aber nicht als Avantgarde-Künstler, deren Bestreben es ist, den theoretisch möglichen Rahmen der Kunst zu vergrößern. Da müssten wir andere Musik machen. Wir sehen uns in der Tradition von Spielleuten. Und da hätten wir wenig davon, wenn wir von Dorf zu Dorf tingeln und die Leute nach dem ersten Lied anfangen, mit Kartoffeln zu werfen, weil sie die Kunst nicht verstehen. Es bleibt ein Spagat zwischen einer gewissen Gefälligkeit, Popularität, Botschaft, künstlerischem Ausdruck und Kante kriegen.

Unser Anspruch ist es, dass die Fans die Musik hören, mitsingen und feiern können. Aber dann bei einem Song wie „Augen zu“ stolpern und fragen: „Was war das gerade?“

Stichwort Fans. Mittelalterrock liefert ja auch mehr als viele andere Genres Lebensgefühl. Das stärkt das Miteinander zwischen Musikern und Fans.

Gleichmann: Ja, in unserer Musik ist die Fan-Nähe schon außergewöhnlich hoch. Das liegt aber auch in der Tradition unserer Veranstaltungen. Bei einem Auftritt auf einem mittelalterlichen Markt wäre es einfach affig, sich danach in einem Backstage-Zelt einzuschließen. Da gehst du raus, holst dein Bier an derselben Taverne wie alle anderen auch. Da kommt man ins Gespräch.

Hand aufs Herz: Wie viele der Fans wären denn im echten Mittelalter überlebensfähig gewesen?

Gleichmann: Wir haben selbst schon an Veranstaltungen teilgenommen, wo wir versuchen mussten, so authentisch wie möglich auf einer mittelalterlichen Burg zu leben. Trotzdem: Man kann diese Frage eigentlich nicht beantworten, weil man es nicht ausprobieren kann. Wie gehen mit moderner Hygiene und Hintergrundwissen ausgestattete Menschen mit einer derartig archaischen und rückständigen Welt um? Ich denke, dass wir relativ schnell adaptieren.

Der durchschnittliche Mitteleuropäer hat einfach schon so viel gelernt, was im Mittelalter noch nicht einmal gedacht war. Man hätte einen gewissen Vorsprung, der Nachteile wie eine Verweichlichung wettmachen könnte.

Das Konzert auf der Burg Wertheim am Freitag, 14. Juli, ist ausverkauft.

 
 
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