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FRANKFURT
Die Kunst des Gekünstelten
Renaissance: Das Frankfurter Städel zeigt in der Ausstellung „Maniera“ das Florenz der Medici als Ort nimmermüder Kreativität. Und inszeniert dabei manche Leihgabe effektvoller als die Leihgeber daheim.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:00 Uhr

Das Florenz der Medici ist ein gefährlicher Ort. Für die Medici selbst und für alle anderen Clans, die mitmischen wollen im Spiel der Reichen und Mächtigen. Mord und Totschlag, Verleumdung und Verrat sind an der Tagesordnung. Wer überlebt, nicht verbannt wird und es obendrein schafft, im gnadenlosen Wettbewerb der Spekulanten nicht bankrott zu gehen, der arrangiert sich besser mit der Bankiersfamilie, die nach zweimaliger Vertreibung und einer brutalen Belagerung mit 36 000 Toten den Ton in der Stadt und in der Toskana angibt, eine Reihe von Großherzögen stellt, zwei französische Königinnen und zwei Päpste.

Das Florenz der Medici ist aber auch ein inspirierender Ort. Gerade in Zeiten von Pest und Krieg entstehen im 15. und 16. Jahrhundert mit die bedeutendsten Werke der europäischen Kunst. So skrupellos die Bankiers in Geldangelegenheiten, so kundig und großzügig sind sie als Mäzene. Kunst ist Statussymbol und wichtigstes Propagandamittel. In Florenz wird die Renaissance erfunden, dort wirken Ghiberti, Brunelleschi, Donatello, Masaccio, Leonardo da Vinci, Michelangelo, Botticelli.

Ebenso rastlos wie die Kapitalisten in ihrer Suche nach immer neuen Geschäftsmodellen sind die Künstler in ihrer Suche nach immer neuen Ausdrucksformen. Jede Generation versucht, die vorhergehende zu übertreffen, und jeder Generation gelingt das auch. Und selbst als in der Hochrenaissance etwa mit Raffael die vollkommene Harmonie erreicht scheint, geht die Entwicklung weiter.

Raffaels Madonna

Zwei Schüler des Andrea del Sarto gehen Anfang des 16. Jahrhunderts eigene Wege: Rosso Fiorentino und Jacopo Pontormo. Sie begründen einen neuen Stil, der als Manierismus seinen Platz in der Kunstgeschichte finden wird. Das Städel Museum in Frankfurt widmet dieser bedeutenden Schnittstelle eine berauschend opulente, vor allem aber in ihrer Schlüssigkeit im wahrsten Sinne anschauliche Ausstellung: „Maniera – Pontormo, Bronzino und das Florenz der Medici“.

Die Liste der Leihgeber ist lang, unter ihnen sind der Louvre, das Metropolitan, die Staatlichen Museen Berlin, das British Museum, der Prado und die großen Häuser in Florenz: Uffizien, Accademia, Bargello und Palazzo Pitti. Letztere schickten Werke, von denen einige erstmals überhaupt außerhalb von Florenz zu sehen sind.

Kurator Bastian Eclercy lächelt diskret, wenn man ihn nach dem Erfolgsrezept des Städel fragt: „Wir sind selbst ein leihfreudiges Haus. Außerdem haben wir den Ruf, dass wir Leihgaben eben auch in vernünftigem Kontext präsentieren.“

Dieser Hang zum Kontext wird schon im ersten Raum deutlich: Raffaels Madonna Esterházy aus Budapest, die in ihrer in sich gekehrten Ruhe sozusagen den Ausgangspunkt bildet, flankieren zwei „junge Wilde“ (so der Untertitel des Raums): Rossos und Pontormos jeweils „Madonna mit Kind und dem Johannesknaben“ betitelte Gemälde von 1515/16. Bei Pontormo blickt Maria dem Betrachter direkt und spontan in die Augen, bei Rosso zeichnen sich Brüste und Bauchnabel deutlich unter dem Stoff ab, die Züge von Jesus und Johannes wirken beinahe karikierend überzeichnet. All das ist zuvor undenkbar. Den Begriff „Maniera“ prägt Giorgio Vasari, Künstlerkollege und Chronist (1511–1574).

Maniera meint zunächst die persönliche Handschrift des jeweiligen Künstlers, seinen unverwechselbaren Stil. Kaum ein Künstler hat es nötig, seine Bilder zu signieren. Eclercy: „Es wusste ohnehin jeder, von wem sie sind.“ Das „Manierierte“, heute oft benutzt, um Unnatürlichkeit, Gekünsteltes oder Übertreibung zu benennen, leitet sich aus dem Experiment mit Proportion und Perspektive ab: Im „Laboratorium der Maniera“ entstehen längliche Gesichter, affektierte Handhaltungen, verdrehte Gliedmaßen, bizarre Inszenierungen.

Doch die Kunst der Maniera hat viele Facetten. Da ist einerseits die extreme Überzeichnung vor allem in den religiösen Motiven und den Massenszenen wie Pontormos „Anbetung der Könige“ oder seines „Martyrium der Zehntausend“, in dem er Giuliano de' Medici in Anspielung auf die Belagerung unverblümt als grausamen römischen Massenschlächter darstellt. Und da ist das elegante, formale, monumentale und dennoch sehr persönliche Porträt. „Das ist die Spannung, die diese Zeit ausmacht“, sagt Bastian Eclercy.

Diese Spannung zeigt sich am stärksten bei Pontormos Meisterschüler Agnolo Bronzino. Mit dem Ende der Florentiner Republik und der Festigung der Macht der Medici werden deren Kritiker zu den wichtigsten Imagebildnern: „Das waren professionelle Mediengestalter“, so der Kurator. Als Hofmaler der Medici wird Bronzino zum Porträtisten der Oberschicht. Keiner fängt so packend das Schimmern der edlen Stoffe ein, keiner lässt so subtil Charakter oder Stimmung der Porträtierten hinter der Fassade durchscheinen. So umspielt eine Ahnung ironischer Erheiterung Lippen und Augen der „Dame in Grün“ aus der Sammlung von Queen Elizabeth II. oder der „Dame in Rot“, Starstück der Ausstellung aus eigenem Bestand. Weit liebevoller als ihre Gegenstücke in den Uffizien sind die Bronzino-Gemälde hier präsentiert. Wo man in Florenz verschiedene Häuser besuchen und lange Gänge durchmessen muss, ist im Städel die ganze Vielfalt zweier Künstlergenerationen direkt und spannend inszeniert.

Mit dem Bronzemodell von Cellinis „Perseus“ etwa, einer eleganteren und irgendwie anrührenderen Version der berühmten Skulptur in der Loggia dei Lanzi. Mit der ersten Tapisserie, die jemals in Florenz gewebt wurde. Und mit einem Modell im Maßstab 1:3 von Michelangelos unglaublichem Treppenhaus für die Bibliotheca Laurenziana, das auf alle Vorgaben klassischer Baukunst pfeift. Bastian Eclercy nennt es „die Inkunabel manieristischer Architektur“.

Öffnungszeiten: Dienstag, Mittwoch, Samstag, Sonntag 10 bis 18 Uhr, Donnerstag und Freitag 10 bis 21 Uhr. Bis 5. Juni.

Bronzemodell von Cellinis „Perseus“, um 1546.
Foto: Städel Museum | Bronzemodell von Cellinis „Perseus“, um 1546.
Die Kunst der Renaissance kann hochpolitisch sein: Pontormo stellt in „Martyrium der Zehntausend“ (1529/30, links, Ausschnitt) Giuliano de' Medici unverblümt als grausamen römischen Massenschlächter dar.
Foto: Su concessione del Ministero dei beni e delle attività culturali e del turismo | Die Kunst der Renaissance kann hochpolitisch sein: Pontormo stellt in „Martyrium der Zehntausend“ (1529/30, links, Ausschnitt) Giuliano de' Medici unverblümt als grausamen römischen Massenschlächter dar.
Modell im Maßstab 1:3 von Michelangelos Treppenhaus für die Bibliotheca Laurenziana (rechts daneben Pontormos „Venus und Amor“ nach einem Entwurf Michelangelos).
Foto: Städel Museum | Modell im Maßstab 1:3 von Michelangelos Treppenhaus für die Bibliotheca Laurenziana (rechts daneben Pontormos „Venus und Amor“ nach einem Entwurf Michelangelos).
 
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