
„Irgendwann ist auch so ein BAP-Konzert vorbei.“ Ja, nach drei Stunden und 15 Minuten. Wolfgang Niedecken kennt seinen Zeitplan. Kein Wunder, nach vier Jahrzehnten Kölschem Mundart-Rock. Der immer noch packt. Auch wenn der Sänger der einzig Verbliebene ist aus einer Zeit, als BAP über die Musik hinaus auch moralischer Zeigefinger waren – in einer deutschen Gesellschaft, die gerade dabei war, den letzten spießbürgerlichen Nachkriegsmuff aus dem Frack zu klopfen. Dass die politische Aufbruchstimmung allerweil ins Stocken gerät, ist Wasser auf Niedeckens Mühlen. Er hebt ihn wieder, den Zeigefinger.
Ein Humpen voll Nostalgie
Den 800 Fans in der Würzburger Posthalle muss er da freilich nicht viel erzählen; die waren schon in den 80ern Fans. Und stemmen einen Humpen voll Nostalgie, sehen drüber weg, dass der Inhalt mit BAP nichts mehr zu tun hat. Klar, Umbesetzungen gibt's in vielen Bands. Aber BAP hätte das Zeug gehabt, so eine Institution zu werden wie die Stones oder Onkelz, nur anders: So eine ewige Keimzelle der Rebellion. Und 2016? Da stehen auf der Bühne fünf mehr oder weniger junge Mitwirkende samt blondem Quoten-Schnuckelchen. Bleiben die Songs.
Großartige Songs. Die nichts an Aktualität verloren haben. „Kristallnaach“ lässt sich prima auch der AfD um die Ohren klatschen. Doch Niedecken, der mit seinen 65 Jahren und nach überstandenem Schlaganfall immer noch herrlich lässig rockt, schwingt auch aktuell eine spitze Feder.
„Vision von Europa“ ist ein musikalisches Roadmovie über die Odyssee afrikanischer Flüchtlinge – passend zur eigenen Hilfsaktion „Projekt Rebound“. Oder die Geschichte von „Vollkasko Desperado“, der „digitalen Wiederkehr des Müsli Man“, wie Niedecken Smartphone-bewaffnete Zeitgenossen skizziert, denen es beim gemeinsamen Selfie mehr um sich denn den Künstler geht. Ein Hoch auf die kommunikativen Zeiten eines Autogramms.
Eine ausgewogene Zeitreise
Den „Müsli Man“ gibt's in Würzburg zwar nicht, eine ausgewogene Zeitreise durch 40 Jahre BAP aber allemal. Niedecken erzählt vom Clodwig-Eck, der einstigen Stammkneipe in der Kölner Südstadt, die einigen Bandmitgliedern fast schon der erste Wohnsitz war. Von Bohnenfleisch zum Mittagsessen und dem Typen aus dem benachbarten Männerwohnheim, der zum Schnorren rüber kam und Vorlage für den „Jupp“ wurde. Die wunderbare Penner-Balade gibt's im zweiten Zugabenteil.
Authentischer Typ
Viel früher wird's schon mal sentimental: bei der Vier-Liebeslieder-im-Sitzen-Runde, in der Niedecken Leonhard Cohen ein Denkmal setzt („Wat schriev mer en su enem Fall?“) und bei „Jraaduss“ die Kölsch-Kenntnisse der Franken testet. Und ja, klar, zum Abschluss des offiziellen Teils darf „Verdamp lang her“ auch nicht fehlen. Mensch, wie viele aus der heutigen Cordhosen-Karohemd-Fraktion haben damals im Parka und Palästinenser-Tuch beim Schulball oder beim Demo-Open-Air schon mitgesungen? Es ist dieser Niedecken, dieser sympathische und immer noch authentische Typ, der dafür sorgt, dass es kein schnöder Oldie-Abend wird. Er hat eine tolle Band zusammengetrommelt. Aber eben eine Begleitband. BAP ist's nicht wirklich. Drum nennt er's wie am Anfang: Niedeckens BAP. Darauf noch ein „Stell dir vüür“ von der ersten Platte – und der Dom steht Kopf wie damals.