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LONDON
Die knallbunte Revolution ist auch schon wieder Geschichte
Kultur der 60er: Freie Liebe, Anti-Vietnamkriegs-Proteste, Miniröcke und „Trau keinem über 30“. Ende der 60er muckte die Jugend auf. Hat's was gebracht? Oder scheint das nur im verklärten Rückblick so?
BRITAIN-LIFESTYLE-ART-CULTURE-MUSIC       -  Psychedelisch: Ein Besucher in der Londoner Ausstellung „You Say You Want a Revolution?“. Im Text: Schriftzug zu dem Beatles-Song, der der Ausstellung den Namen gab.
Foto: Daniel Leal-Olivas, AFP | Psychedelisch: Ein Besucher in der Londoner Ausstellung „You Say You Want a Revolution?“. Im Text: Schriftzug zu dem Beatles-Song, der der Ausstellung den Namen gab.
byl
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:18 Uhr

Ein bisschen würde man ja gerne eine Revolution anzetteln, wenn man aus dieser Revolutions-Retrospektive des Victoria and Albert Museum in den Londoner Nachmittag hinausspaziert. In die Realität, in der der Alltag weitgehend ruhig und im Wohlstand verläuft, derweil Kriege in Syrien und im Jemen toben, die Flüchtlingskrise andauert und nationalistische Strömungen über westliche Gesellschaften schwappen.

Sollte man flugs in der berühmten Carnaby Street landen, wo sich damals die „Swinging Sixties“ austobten, die aber mittlerweile von einer PR-Agentur vermarktet wird, dürfte das Gefühl noch verstärkt werden: Das wilde London hängt bis 26. Februar 2017 im Museum. „You Say You Want a Revolution?“ Vielleicht. Oder lieber nicht? Die heutige Zeit scheint nicht als Rahmen zu taugen. Und nach ein paar Schritten klingt der Beatles-Ohrwurm zwar noch nach, aber die Gedanken werden klarer.

Verklärter Blick

Viel Nostalgie und manche Verklärung schwingen beim Blick auf die 60er Jahre mit, wie man im Londoner Victoria and Albert Museum beobachten kann. Es beleuchtet mit der Ausstellung „You Say You Want a Revolution? Records and Rebels 1966–1970“ jene fünf außergewöhnlichen Jahre, in denen die Jugend von einem „optimistischen Idealismus“ angetrieben war – im Glauben, die Welt verändern zu können. Und das auch ein wenig tat. 1826 Tage. Freie Liebe. Woodstock. Anti-Vietnamkriegs-Proteste. Studentenrevolte. Minirock. Kalifornische Kommunen. LSD-Trips. Die Beatles. Jimi Hendrix' Gitarrenklänge. Twiggy.

Die schiere Masse von mehr als 350 Exponaten ist überwältigend. Kleidungs- und Möbelstücke, Fotos, Platten und Plakate, Bücher und Videos erzählen von den kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen jener Zeit. Es war ein „Jugendbeben“, das im Westen eine Gegenkultur auslöste, die laut Kuratoren bis heute Einfluss auf uns hat. „Wir trauen niemandem über 30“, sagte etwa ein studentischer Aktivist 1964. Er sprach für eine ganze Generation, die Macht hatte: 1966 war die Hälfte der US-Bevölkerung jünger als 25 Jahre. Viele von ihnen wollten verkrustete Strukturen aufbrechen, lehnten sich gegen Autoritäten auf und forderten Mitbestimmung.

Ja, die Zeiten waren andere. Der Protest gegen den Vietnam-Krieg brachte Hunderttausende Menschen auf die Straße und die Friedensbewegung setzte sich mit dem Woodstock-Festival ein Denkmal. In der Ausstellung tauchen Besucher in diese Stimmung zumindest kurz ein, wenn sie auf der mit Kunstrasen rekonstruierten Wiese den Auftritten von Janis Joplin oder Jimi Hendrix folgen, die auf Riesenleinwänden gezeigt werden.

Es sind die Uniformen zu sehen, die die Beatles auf dem Cover der LP „Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band“ trugen – dem ersten Konzeptalbum der Popmusik, und auch der Feminismus ist Thema. So wird der Betrachter etwa auf einem Poster, das einen Mann mit Babybauch zeigt, gefragt: „Wären Sie vorsichtiger gewesen, wenn Sie das Baby bekommen würden?“ Offenbar schockierte 1970 nicht nur das Plakat, sondern auch die Botschaft: Das männliche Geschlecht trägt ebenfalls Verantwortung bei der Verhütung.

Bunt geht es auf der nachgebildeten Carnaby Street zu, wo sich die Jugend am Tag durch die Boutiquen wie jene der Minirock-Erfinderin Mary Quant schwang und in der Nacht durch die Clubs zog. „Swinging London“ – die britische Metropole exportierte durch Musik, Kunst, Mode und Fotografie ein Gefühl in die Welt, das eine neue Freiheit ausdrückte. Sex zu haben, mit wem man wollte. Röcke so weit über dem Knie tragen zu können, dass Mütter rot und Väter wütend wurden.

Zum ersten Mal rückten damals zudem Natur- und Umweltschutzthemen ins Bewusstsein der Menschen. Doch auch die Entstehung der Konsumgesellschaft Ende der 60er Jahre erhält Raum. So steckt in einem Werbefilm eine Kreditkarte im Bikini eines Models, bereits 1966 lud eine Barclaycard zum Shoppen auf der Insel ein. Als Randnotiz erfährt man jedoch, dass britische Frauen erst 1973 eine eigene Karte ausgehändigt bekamen. Beim Geld hinkte die Gleichberechtigung offenbar schon immer hinterher.

Der passende Soundtrack

Der Gang durch die Schau ist aufregend, verstärkt durch die Kopfhörer, aus denen je nach Aufenthaltsort des Besuchers der passende Soundtrack schallt. Trotzdem machten britische Medien einen Schwachpunkt aus: „Niemand würde bestreiten, dass die späten Sechziger eine Menge an sozialem Fortschritt sahen – und die Anfänge von reichlich mehr“, kommentiert die Zeitschrift „The Spectator“. 50 Jahre später aber seien „wir sicherlich bereit für eine anspruchsvollere und durchdachtere Analyse“ als jene von einem repressiven Establishment, das auf die Heldenkräfte einer jugendlichen Befreiung traf.

 
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