Zu seinem 75-jährigen Bestehen lud das New Yorker Nachrichtenmagazin „Time“ 1997 all jene ein, die je auf dem Titelblatt abgebildet waren. Unter den Geladenen: die Schauspielerin, Regisseurin und Fotografin Leni Riefenstahl und die Schriftstellerin Susan Sontag (Geburtsname: Rosenblatt). Diesen Anlass nimmt der Belgier Stijn Devillé in „Riefenstahl und Rosenblatt sind tot“ zum Ausgangspunkt für ein Aufeinandertreffen, das es so nie gegeben hat. Das Stück hatte im Würzburger Mainfranken Theater deutschsprachige Erstaufführung.
Über ein Jahr hat Devillé recherchiert, sich in Leben und Werk der beiden extrem unterschiedlichen Frauen vertieft und daraus einen packenden fiktiven Dialog entwickelt, der 2014 in Leuven uraufgeführt wurde. „Es sind nicht die moralisch eindeutigen Zuschreibungen, die mich an den beiden Frauen interessieren“, erläutert Devillé seine Motivation, „nicht das Schwarz-Weiß, sondern die Grautöne, die Schatten, das Menschliche, das Fehlerhafte.“
Auch Regisseur Dominik von Gunten enthält sich in den Kammerspielen moralischer Wertung. In knapp 70 Minuten stellt er auf der von Susanne Hoffmann zweckmäßig eingerichteten Bühne zwei Haltungen gegeneinander, wie sie so selten im 20. Jahrhundert nicht waren: da die Künstlerin, die ihrer Karriere als Filmemacherin – die ja durch die Freundschaft zu Hitler erst möglich geworden war – alles unterordnet. Dort die kritische jüdische Intellektuelle, die in dem brillanten Essay „Faszinierender Faschismus“ von 1974 genau diese Anbiederung an die Nazi-Ideologie scharf kritisiert.
Räumlich gespiegelt wird der Gegensatz durch eine imaginäre Grenzlinie in der Bühnenmitte: Links agiert Anja Brünglinghaus als Leni Riefenstahl hinter beweglichen Mauerelementen, die zugleich Erinnerungsspeicher und Schutzwall vor der Gegenwart sind. Rechts denkt, schreibt und raucht Maria Brendel als Susan Sontag am Schreibtisch sitzend, oder stehend vor einer Wand mit Fotos und Texten von Freunden wie Walter Benjamin, Theodor Adorno und Elias Canetti, die ihre geistige Heimat bilden.
Der Zuschauer sieht beide als Frauen, die geprägt sind von Alter und Krankheit, von schmerzhaften Erinnerungen, von Wut und Zorn, von ästhetischem Stil-Willen und gedanklicher Schärfe und Klarheit: Anfangs kehren sie sich den Rücken zu, sprechen mehr über- als miteinander und finden allmählich in eine Form des Gesprächs, das Zuhören und gegenseitiges Verstehen zulässt. Das ist in jedem Augenblick aufrichtig, gleichzeitig packend und doch mit einem überraschend abrupten Ende.
Denn gerade als der Zuschauer mit den Figuren vertraut wird und sie sich in versöhnlichem Tonfall menschlich ganz nahekommen, endet das Stück: Die gegensätzlichen Standpunkte lassen sich nicht aufheben, und doch wirkt ihr Leben weiter – als Herausforderung zur Reflexion über das Verhältnis von Kunst, Kritik und Macht.
Freundlicher Applaus für zwei starke Schauspielerinnen, das gesamte Team und den Autor.
Nächste Vorstellungen: 30. November, 8. und 20. Dezember. Vorverkauf: Tel. (09 31) 39 08-124