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FERNSEHEN
Die Heimatlosen: "Homeland"
In Serie: In einer Reihe von Artikeln beschäftigen wir uns feuilletonistisch mit alten und neuen Fernsehserien. Heute: „Homeland“ oder Fernsehen als kollektive Traumatherapie.
Von unserem Redaktionsmitglied Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 23.02.2015 12:10 Uhr

Homeland – ein komplexer Begriff: Heimat, heimisches Land, Heimatland. Bis zum 11. September 2001 war es unverwundbar. Aus der Welt herausgenommen. Offen, frei und dennoch unerreichbar für das Böse von draußen. Doch dann übersah eine CIA-Agentin entscheidende Hinweise, und Terroristen konnten Flugzeuge in die Twin Towers, ins Pentagon und beinahe sogar ins Weiße Haus steuern. Carrie Mathison ist diese CIA-Agentin. Und der Irrtum, der ihr vor 9/11 passiert ist, wird ihr nicht mehr passieren. Darf ihr nicht mehr passieren.

Dass der Irrtum einer einzigen Agentin die Attentate des 11. September erst möglich gemacht haben soll, erscheint eher unwahrscheinlich. Aber man kann nur ahnen, wie sich jemand fühlt, der meint, diese Schuld auf sich geladen zu haben. Carrie ist eine Ruhelose, eine Getriebene, deren Hellhörigkeit längt paranoide Züge annimmt. Dass sie heimlich Psychopharmaka gegen eine Psychose-Neigung nimmt, die sie von ihrem Vater geerbt hat, macht die Dinge nicht leichter. Aber wie sagt man so schön: Nur weil du paranoid bist, heißt das noch lange nicht, dass sie nicht hinter dir her sind.

In den USA läuft im September die dritte Staffel von „Homeland“ an, bei uns derzeit die erste – sonntags um 23.15 Uhr auf Sat.1, offenbar mit gutem Erfolg. Das Saisonfinale am 21. April soll gnädigerweise bereits um 22.15 Uhr beginnen. Die großartige Clare Danes spielt Carrie Mathison mit einer Intensität, die permanent zwischen eiserner Härte und anrührender Zerbrechlichkeit changiert. Carrie hat vor Monaten bei einem Außeneinsatz im Irak direkte Befehle ignoriert, nun schiebt sie Innendienst in Langley. Da befreit eine Eliteeinheit den tot geglaubten Marine Nick Brody aus achtjähriger Gefangenschaft der El Kaida im Nahen Osten. Brody kehrt als Nationalheld zurück, gefeiert von einer traumatisierten Nation, für die jedes noch so kleine positive Zeichen pure Therapie ist.

Carrie aber hat damals in Bagdad den Hinweis erhalten, dass ein amerikanischer Kriegsgefangener von den Terroristen umgedreht worden sei. Sie glaubt, dass Brody dieser Mann ist. Und wieder steht sie gegen alle ihre Vorgesetzten. Nur ihrem Mentor Saul Berenson kann sie sich anvertrauen, freilich, ohne zunächst allzu viel gegen Brody in der Hand zu haben.

Die Konstellation eine gegen alle ist durchaus nicht neu. Ebenso wenig wie die eigentümlich irreale Atmosphäre auf den Fluren und bei den Briefings der CIA. Hier wirkt „Homeland“, als hätte John le Carré die Autoren beraten. Was im Übrigen auch für die Komplexität der Charaktere gilt. Carrie geht in ihrer Besessenheit erstaunlich methodisch (und erfolgreich) vor, und wenn sie auch nicht die größte Diplomatin ist, so gelingt es ihr doch immer wieder, entscheidende Leute für sich zu gewinnen. Für den Zuschauer wird es immer schwerer zu durchschauen, welche ihrer Aktionen kalkuliert und welche impulsiv sind. Offensichtlich ergeht es ihr selbst genauso. Immer mehr verschwimmt Berufliches mit Privatem (so es das bei Carrie überhaupt gibt), sich selbst gegenüber ist sie ebenso rücksichtslos wie gegenüber Kollegen oder Informanten. Der väterliche Saul (Mandy Patinkin) war wohl einmal das, was einem Freund am nächsten kam, aber inzwischen scheint Saul irgendein eigenes Spiel zu spielen.

Damian Lewis, der den Nick Brody spielt, sieht ein wenig aus wie Steve McQueen, und so cool wirkt auch seine Figur. Er scheint in allem der genaue Widerpart zu Carrie zu sein: nüchtern, beherrscht, verschlossen. Unmöglich zu erahnen, was hinter dieser steinernen Fassade vor sich geht. Dennoch zeigt sich schnell, dass er neben den Folternarben auf dem ganzen Körper auch seelisch Schaden genommen hat, und plötzlich wirkt Carrie ihm näher als irgendjemand anders. Näher als seine hinreißend schöne Frau Jessica (Morena Baccarin). Näher als sein Kamerad Mike (Diego Klattenhoff), der drauf und dran war, die Rolle des Ersatzvaters für Brodys Kinder anzutreten. Vielleicht ist es die unheilbare Heimatlosigkeit, die die beiden verbindet. Carrie hat ihre Heimat im Stich gelassen, Brody hat man die Heimat genommen. Vielleicht wird er sie verraten, das muss sich erst noch zeigen.

„Homeland“ zeigt den unstillbaren Hunger einer Nation nach Heilung, nach Sühne, nach Trost. Und bietet so einen Weg an aus der seelischen Wagenburg, in die sich Amerika zurückgezogen hat, seit der Krieg heimischen Boden betreten hat. Die Serie basiert auf dem Format „Hatufim“ (Kriegsgefangener) aus Israel – einem Land also, das sich ebenfalls verbarrikadiert hat.

„Homeland“ ist aber vor allem großartiges Fernsehen, erzählt mit der gleichen Souveränität wie die großen Romane von Paul Auster, Jonathan Franzen oder Jeffrey Eugenides. Was vielleicht auch daran liegt, dass in den USA immer häufiger Schriftsteller die Drehbücher zu den großen Serien schreiben.

„Homeland“ ist beunruhigend wahrhaftig, unbestechlich und mitleidlos. Und geht doch mit fast liebevoller Behutsamkeit mit den Figuren um. Und es deutet vieles darauf hin, dass die diese Behutsamkeit brauchen werden.

 
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