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LENDERSHAUSEN
Die Gitarre und das Mehr
Ungetönlich: In loser Folge stellen Experten Musikinstrumente vor, die eine ungewöhnliche Geschichte haben oder als Exoten gelten. Heute: Die Harfengitarre oder Die Sache mit dem Barthaar.
„Eine Bereicherung“: Lorenz Schmidt mit seiner Harfengitarre. Im Text: Harfengitarre-Vorläufer.
Foto: Ralph Heringlehner | „Eine Bereicherung“: Lorenz Schmidt mit seiner Harfengitarre. Im Text: Harfengitarre-Vorläufer.
Ralph Heringlehner
Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:00 Uhr

Manchmal muss ein Barthaar dran glauben. Es bleibt in einer der feinen Holzporen hängen, und wenn Lorenz Schmidt den Kopf bewegt – ratsch! Dass das Kinn eines Gitarristen, ob bärtig oder nicht, mit dem Korpus in Berührung kommt, ist eher ungewöhnlich. Außer, er spielt eine Harfengitarre. Denn bei der wächst der Instrumentenkörper bananenförmig nach oben. In Richtung Kinn eben.

Eine Harfengitarre ist – wegen des größeren Korpus – schwerer und nicht so anschmiegsam wie eine gewöhnliche Gitarre. „Die Bewegungsabläufe beim Spielen sind anders“, erklärt Schmidt. Es sei „nicht ganz ohne“, das Instrument richtig spielen zu lernen. „Das geht nicht in ein paar Wochen.“ Dabei ist der Schweinfurter ein Profi auf der Gitarre, mit Studium und jahrzehntelanger Erfahrung. Seine Harfengitarre hat er im November in der Werkstatt von Hermann Gräfe im Hofheimer Ortsteil Lendershausen abgeholt. Beim Musikalienhändler um die Ecke gibt's so ein Instrument nicht, und – weil jedes ein Einzelstück ist – auch nicht zum Geiz-ist-geil-Tarif: „Ab 4500 Euro aufwärts“, veranschlagt Meister Gräfe.

Unhandlich, teuer und nicht leicht zu lernen: Warum tut sich ein Gitarrist das an? „Mit sechs Saiten hab' ich in den letzten 30 Jahren schon alles ausprobiert“, erklärt Lorenz Schmidt. Und das nicht nur als Spieler, sondern auch als Komponist. Mit der herkömmlichen Gitarre sei er „durch“ gewesen.

Jetzt hat der 57-Jährige weitere sechs Saiten zur Verfügung. Sie spannen sich über die Erweiterung des Gitarrenkorpus, die ein eigenes Schallloch hat. Die Saiten werden wie bei einer Harfe „leer“ gezupft. Ihre Tonhöhe wird also nicht durch Niederdrücken variiert wie die hohen Saiten auf dem Hals der Harfengitarre. Als Extra hat Schmidt sogenannte Harfenhaken montieren lassen. Die werden wie Schalter umgelegt, wirken per Exzenter auf vier der sechs Basssaiten und erhöhen ruckzuck deren Stimmung um einen Halbton. Praktisch.

Schmidt setzt sich zurecht und zupft Barockes. Das Mehr an Resonanzraum des aus Nussbaum und Fichte gebauten Instruments verleiht den galanten Tönen der für Laute gedachten Komposition Körper. Auch wenn der Musiker die dicken Saiten nicht anrührt, schwingen sie, angeregt von den anderen Saiten, mit und sorgen für ein fülliges Klangerlebnis. Wenn die Melodie nach unten steigt und Schmidt die tiefen Saiten einsetzt, wird's noch plastischer. Auch unwirklich im Raum schwebende Flageoletts lassen sich mit den Basssaiten erzeugen – Lorenz Schmidt muss sie nur an den richtigen Stellen leicht niederdrücken.

„Die Harfengitarre ist auf jeden Fall eine Bereicherung“, stellt der Musiker zufrieden fest. Sie biete das volle Ausdrucksspektrum der Gitarre und habe zusätzliche Möglichkeiten. Schmidt nutzt sie für barocke Musik, als Generalbass, zur Liedbegleitung. Für romantische Klaviermusik taugt das exotische Zupfinstrument ebenso wie für aktuelle Kompositionen – auch für Schmidts eigene.

Die Harfengitarre des Schweinfurters ist mit Nylonsaiten bezogen. Das ist eher unüblich. Das Instrument ist als „Harpguitar“ vor allem in der US-Folkszene verbreitet. Dort nimmt man Stahlsaiten. Die Nylons machen den Ton weicher. Hermann Gräfe baut aber auch stahlbesaitete Harfengitarren. Der Käufer muss sich entscheiden: Einfach mal umbesaiten geht nicht. Der unterschiedliche Saitenzug erfordere eine andere Statik, erklärt der diplomierte Holzingenieur, der seine Abschlussarbeit zum Thema „Konstruktive Einzelheiten im Gitarrenbau“ schrieb. Das Handwerk des Instrumentenbauers machte er 1988 zum Hauptberuf. In seiner Lendershäuser Werkstatt fertigt Hermann Gräfe nicht nur Exoten wie Harfengitarre oder Cavaquinho (eine brasilianische Form der Ukulele), sondern auch ganz normale Gitarren.

Gräfe holt aus seinem Lager eine ältere Verwandte der Harfengitarre, eine sogenannte Schrammelgitarre: Auch sie hat zusätzliche Basssaiten. Doch sind die über einen zweiten Hals gespannt und nicht über eine Erweiterung des Gitarrenkörpers. Verwendet wurde sie, wie der Name sagt, für Schrammelmusik, die vor allem im Wien an der Wende zum 20. Jahrhundert beliebt war. Dann zeigt Gräfe ein historisches und einigermaßen skurril wirkendes Instrument: Es sieht aus, als habe man einen Besenstiel an eine Gitarre geleimt. Darüber konnten vier tiefe Saiten gespannt werden.

„Mit Gitarren wird experimentiert, seit es sie gibt“, erklärt der 56-jährige Gitarrenbauer – also seit gut 500 Jahren. Und immer ging es darum, noch mehr aus dem Instrument herauszuholen.

Gitarrenbauer Hermann Gräfe in seiner Werkstatt mit einer Cavaquinho.
| Gitarrenbauer Hermann Gräfe in seiner Werkstatt mit einer Cavaquinho.
 
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