Wie Satelliten um einen Stern kreisen, dreht sich zum Ende dieses Jahres in der Kunstlandschaft alles um die Büste der Nofretete. Wie es alle Splitter zum Magneten zieht, wird die anmutige Pharaonenfrau mit Details präsentiert, die noch nie zu besichtigen waren. Mehr als 3300 Jahre ist sie alt, so auch viele der Teile, die sie zusätzlich schmücken in der Sonderausstellung „Im Licht von Amarna. 100 Jahre Nofretete“, die im Nordkuppelsaal des Neuen Museums in Berlin zu sehen ist.
Eine blau bemalte Keramikscheibe mit allerfeinsten Intarsien gehört dazu, ein ägyptisches Blatt, Tierdarstellungen und weitere etwa 600 Objekte. Sogar lange im Depot schlummernde Granitbrösel fanden Eingang in die Schau. Dazu aufwendig restaurierte Fundstücke und Leihgaben, unter anderem vom Pariser Louvre. Angekündigt wurden noch nie gezeigte Funde aus dem Reich der Pharaonen. Sie werden der ewig Schönen nicht die Schau stehlen können, denn die Besuchermengen wollen vor allem Nofretete sehen. Das ebenmäßige Jochbein, der makellose Hals, die edlen Wangenknochen – eine Büste, die eine Ikone ist. Nofretete heißt übersetzt „Die Schöne ist gekommen“.
Eine machtbewusste Frau
Ludwig Borchardt, der 1912 die Ausgrabungen im ägyptischen Tell al-Amarna leitete, ist auf einem Foto zu sehen, auf dem ein stämmiger Falache und er die ausgegrabene Regentin in ihren Händen halten. Überwältigt vom guten Zustand der kleinen Skulptur, der Deutsche wissend, dass es sich um eine Sensation handelt und sein Name in die Wissenschaftsgeschichte eingehen wird. Nofretete war die machtbewusste Frau an der Seite Echnatons, dem Führer einer religiösen Bewegung, der als Aton, eine Art Lichtgestalt, den Sonnenkult einführte. Doch sein Gottesstaat, um 1350 v. Chr. ausgerufen, hielt nur für etwa 15 Jahre – dann verblich das gleißende Licht von Amarna.
Die Menschen wollten ihre Götter behalten und stürzten Echnaton. Seine Gemahlin überstand das Debakel, sie trägt Hathorkrone, von den Strahlen der Sonne ausgeleuchtet – bis heute. Nofretete wird stilisiert, sie war stets mit Echnaton auf Augenhöhe, ihm rituell gleichgestellt, saß neben ihm auf dem Königsthron. Inzwischen wird ihr sogar die religiös-kulturelle Initiative zugeschrieben, das belegen neue Textquellen, die der Ägyptologe Hermann A. Schlögl (siehe auch Interview unten) ausgewertet hat. Sein Fazit: Es habe eine „religiöse Revolution von oben“ gegeben. Nofretete habe sie angezettelt.
Zum 100-Jahre-Jubiläum des Funds hat die Forschung viel Neues zu bieten. An der Universität Dresden wurde an der Mumie von König Aja eine neue DNA-Analyse erstellt, die Nofretete eindeutig als seine Tochter und die der Königsgemahlin Teje ermittelte. Die junge Frau aus bürgerlichem Hause hatte eine Schwester und einen Bruder, gebar Echnaton sechs Töchter und einen Sohn, der später als Tutanchamun auf sich aufmerksam machte. Das ist „humangenetisch gesichert und nicht mehr infrage zu stellen“, so Schlögl. „Man kann Nofretete jetzt in einem neuen Licht sehen . . . Sie tritt uns als eine der wirklich bedeutenden Frauen in der Geschichte Ägyptens entgegen.“
Echnaton wollte die alten Götter in seinem glühenden Licht auslöschen, aber das war größenwahnsinnig und misslang. Seine Frau war klüger, strategischer und emanzipationswillig in einem damals ungewöhnlichen Ausmaß. Zeitweise rückte der Gatte ins zweite Glied, Nofretete überstrahlte ihn. Und ihr wird auch die Idee des Monotheismus nachgesagt, des – damals neuen, revolutionären, hochmodernen – Glaubens an einen einzigen Gott, wie ihn später auch Judentum und Christentum propagierten. Wer weiß, was sie noch inszeniert hätte, wäre sie nicht im Alter von 35 Jahren bei einem Unfall gestorben. Sehr wahrscheinlich auf einem außer Kontrolle geratenen Streitwagen, vermutet Schlögl. Zuvor hatte sie sich, das nehmen Wissenschaftler aus historischen Chroniken, mit dem Herrscher der Hethiter, einem Erzfeind Ägyptens, auf eine Affäre eingelassen, wollte sogar einen Sohn von ihm, um einen Erben zu haben. Doch der tragische Tod zerschmetterte ihren Körper und ihre hochfahrenden Pläne. Nofretetes sterbliche Hinterlassenschaften wurden nicht einbalsamiert, es gibt keine Mumie. Sie wurde anonym beerdigt. Nur das Idealbild, geschaffen vom Bildhauer Thutmosis vor rund 3350 Jahren, blieb. „Beschreiben nützt nichts, ansehen“, notierte Finder Borchardt in sein Ausgrabungsbuch. Nofretete übte auf ihn, wie auf Millionen Menschen bis heute, eine Magie aus. Die Skulptur hat etwas Göttliches, ein großes Geheimnis. Hundert Jahre nach dem Finden womöglich noch mehr als damals.
Die Nofretete-Schau
Ludwig Borchardt (links) mit der Büste vor 100 Jahren in Ägypten. Am 6. Dezember 1912 wurde die Büste der Nofretete entdeckt. Das Neue Museum Berlin zeigt zum 100. Jahrestag eine Sonderausstellung. Neben der Büste werden erstmals Hunderte noch nie gezeigte Schätze von den damaligen Ausgrabungen vorgestellt. Eine Büste von Nofretetes Gemahl Echnaton, die zerschlagen war, wurde restauriert. Besondere Höhepunkte sind das Grabungstagebuch und das Protokoll über die Fundteilung zwischen Deutschland und Ägypten. „Im Licht von Amarna. 100 Jahre Nofretete“ im Neuen Museum, Berlin, vom 7. Dezember bis 13. April 2013. Täglich von 10 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 20 Uhr. www.smb.museum.de, www.imlichtvonamarna.de Text: dpa/Foto SMB