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WÜRZBURG
Die Geheimnisse der Schneekugel: Garantiert weiße Weihnacht
Wer eine Schneekugel schüttelt, handhabt im Prinzip ein alchemistisches Gerät. So richtig schneit es in den kleinen Welten unter Glas allerdings erst seit Ende des 19. Jahrhunderts – dank eines Zufalls.
Ralph Heringlehner
Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 03.12.2019 08:52 Uhr

Sie wollten Eisen in Gold verwandeln und womöglich gar einen künstlichen Menschen erschaffen, einen Homunkulus. Sie bedienten sich einer verschlüsselten Sprache und schrieben mit geheimnisvollen Zeichen. Sehr mysteriös, das alles. Kein Wunder, dass Alchemisten verdächtigt wurden, mit dunklen Mächten in Verbindung zu stehen. Dabei hat einer von ihnen etwas so Harmloses wie die Schneekugel erfunden, mit weltlicher Technik und ganz ohne dämonische Hilfe. Der Mann hieß Leonhard Thurneysser. Er lebte von 1531 bis 1595 oder 1596 und war einer der Großen seiner Zunft.

Der Goldschmiedsohn aus Basel studierte die Natur unter dem damals üblichen – auch esoterischen – Blickwinkel und wurde Leibarzt des Bischofs von Münster. Am Hof des Oberhirten richtete er eine Apotheke ein. Später heilte er die Gattin des Kurfürsten von Brandenburg, der ihm in Berlin ein Labor zur Verfügung stellte und ein festes Gehalt zahlte. Thurneysser stellte Arzneien her und verkaufte sie. Vielseitig wie er war, baute er auch die Glashütte der Burg Grimnitz bei Joachimsthal in Brandenburg auf. Dort ließ er 1572 eine mit Wasser gefüllte Glaskugel anfertigen, in der kleine Vogelnachbildungen schwammen.

Doch das hübsche Spielzeug des Alchemisten – ein Vorläufer der Schneekugel – geriet in Vergessenheit. Erst 1878 tauchte bei der Pariser Weltausstellung eine Schneekugel auf. Ein Exemplar mit dem Eiffelturm in der Sonderausstellung im Mainfränkischen Museum Würzburg beweist (siehe Kasten), dass Schneekugeln auch noch 1890 produziert wurden. Der große Erfolg blieb der Idee, es durch Schütteln auf Bauwerke und Landschaften schneien zu lassen, aber erst einmal versagt.

Wirklich populär machte die Schneekugel erst zehn Jahre später der Wiener Erwin Perzy. Erfunden hatte er sie durch Zufall. Perzy war Mechaniker für Chirurgie-Instrumente. Ein Arzt bat ihn, etwas zu entwickeln, was das damals neue elektrische Licht verstärken und bündeln könne. Perzy nahm die wassergefüllten Kugeln zum Vorbild, mit denen Handwerker Kerzenlicht verstärkten („Schusterkugeln“). Zusätzlich füllte er Grieß ins Glas: Zusätzliche Reflexionen sollten für noch mehr Lichtausbeute sorgen. In der Praxis brachte das aber nichts, weil die hellen Partikel zu Boden sanken.

Doch Perzy – schon immer von Spielzeug begeistert – gefiel das schneeähnliche Geriesel. Er steckte eine metallene Miniatur der Wallfahrtskirche von Mariazell, die er für einen befreundeten Andenkenhändler gefertigt hatte, in seine Kugel. Fortan rieselte leise der Grieß über der berühmten Basilika. Der Andenkenhändler war begeistert: Das war ja viel besser als das bloße Modell! Und es verkaufte sich auch gut. Perzy meldete seine „Glaskugel mit Schneeeffekt“ zum Patent an und gründete im Jahr 1900 eine Manufaktur. Die existiert bis heute, gar nicht weit vom ursprünglichen Standort entfernt, im Wiener Gemeindebezirk Hernals. Sie ist nach wie vor in den Händen der Familie. Geschäftsführerin ist die Urenkelin des Erfinders, Sabine Perzy, Tochter von Erwin Perzy III.

Bis nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in Perzy-Kugeln ausschließlich religiöse Motive beschneit. Mittlerweile kann's der Kunde auch auf Teddybären, Ballerinas, Schneemänner oder Trickfiguren wie SpongeBob rieseln lassen. „Die Schneekugel soll Frieden spenden“, befand Erfinder Erwin Perzy I. So sind es denn auch überwiegend kleine heile Welten, die in den Glaskugeln eingeschlossen werden – sicher vor der nicht immer heilen großen Welt.

Nie wird der Schnee in der Kugel grau und matschig. Immer wirkt er gemütlich. Auch die Erderwärmung hat in der Welt unter Glas keine Chance: Es schneit immer. Weiße Weihnacht garantiert.

Die Mariazeller Basilika in der Urkugel von Erwin Perzy I. war aus Zinn. Inzwischen sind die Motive aus Kunststoff – aber immer noch Handarbeit. Längst ist es auch nicht mehr Grieß, der rieselt, sondern eine ganz spezielle Materie, die lange schwebt und nicht klumpt. Um deren Zusammensetzung macht man bei Perzy ein großes Geheimnis. Das wird nur innerhalb der Familie weitergegeben.

Das hat schon fast was Mysteriös-Alchemistisches . . .

 
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