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NÜRNBERG
Die Fabeln des Albert Speer
Blick in die Ausstellung 'Albert Speer in der Bundesrepublik'       -  Blick in den Ausstellungsraum im Nürnberger Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände: Dem Bild Albert Speers stehen Zeugnisse von Historikerinnen und Historikern gegenüber, die dessen Legende widerlegen.
Foto: Museen der Stadt Nürnberg, Stefan Meyer Architekturfotografie / Pressebildverlag Schirner/Deutsches historisches Museum Berlin | Blick in den Ausstellungsraum im Nürnberger Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände: Dem Bild Albert Speers stehen Zeugnisse von Historikerinnen und Historikern gegenüber, die dessen Legende widerlegen.
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:48 Uhr

Seine Aussagen sind entlarvend. Sie weisen eigentlich früh darauf hin, dass Albert Speer nicht der große Unwissende und lediglich von der Macht verführte unbedarfte und unpolitische Technokrat sein konnte, der nur seine Pflicht getan haben will. „Wenn ich nichts wusste, dann habe ich dafür gesorgt, dass ich nichts wusste. Wenn ich nichts gesehen habe, dann, weil ich nicht sehen wollte.“ Oder: „Ich befand mich in einer Situation, die geeignet war, jede Kritik auszuschalten – wenn ich eine gehabt hätte.“

Lediglich eine vage Ahnung gestand sich Adolf Hitlers Architekt zu, der bereits 1931 in die NSDAP eintrat, ab 1933 ein enger Vertrauter des „Führers“ wurde, 1942 Rüstungsminister und ab 1944 mit seinen logistischen Maßnahmen den Krieg verlängerte.

Mit seinen Formulierungen und ihm allzu geneigten Zuhörern wie der Zeithistoriker und Publizisten Joachim Fest oder der Verleger und Herausgeber seiner Erinnerungen, Jobst Siedler, entstand die Legendenbildung. Speer wurde zum „Gentleman-Nazi“ beziehungsweise zum geläuterten „guten Nazi“.

Wenn er schon in seiner hohen Position und Nähe zur Macht nichts wusste, wie sollte dann die Bevölkerung etwas wissen? Albert Speer diente vielen Deutschen als Entschuldigung – nach außen hin für Unwissenheit, nach innen für nicht wissen Wollen, Leugnung, Verdrängung.

Konstruierte Distanzierungsgeschichten

„Nach 1945 konstruierte Speer Distanzierungsgeschichen, Fabeln von persönlicher Fremdheit und Reue“, schreibt Magnus Brechtken im Katalog zur aktuellen Sonderausstellung „Albert Speer in der Bundesrepublik. Vom Umgang mit deutscher Vergangenheit“ im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg. Brechtken ist stellvertretender Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in München und wissenschaftlicher Berater der Ausstellung.

Allerdings wird nicht erst durch diese Präsentation bekannt, dass auch viele Speer auf dem Leim gegangen sind, die es besser hätten wissen können – wenn sie gewollt hätten. Etwa der Historiker Golo Mann, der 1969 in einem Artikel in der „Süddeutschen Zeitung“ Speers „Ehrlichkeit oder Willen zur Ehrlichkeit“ bewunderte. Sogar der Holocaust-Überlebende Simon Wiesenthal meinte, das „Spandauer Tagebuch“ sei ein „ehrliches Buch“.

Gerne wurde Speer nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis am 1. Oktober 1966 als Kronzeuge interviewt und gelesen. Millionen hat Speer mit seinen Büchern und seiner Selbstinszenierung als einer, der „von den scheußlichen Sachen“ nichts gewusst hat, verdient.

Blick in die Fälscherwerkstatt

Nun können Besucher selbst Dokumente einsehen und sich auf eine „kriminalistische Spurensuche“ begeben, so Martina Christmeier, die zusammen mit Alexander Schmidt die Ausstellung kuratierte. Sie bietet laut Schmidt einen „Blick in die Fälscherwerkstatt“.

Darüber hinaus erzählen Experten via Monitor von ihren Recherchen, etwa der Regisseur Heinrich Breloer. Dessen Filmprojekt „Speer und Er?“ von 2005 hat das Bild, das der einstige NS-Rüstungsorganisator von sich gezeichnet hat, zurechtgerückt.

Davor läutete bereits 1982, ein Jahr nach dem Tod Speers, der Historiker Mathias Schmidt mit seiner Doktorarbeit „Das Ende eines Mythos“ ein. Er habe die Fälschung der „Chronik der Speer-Dienststellen“ aufgedeckt und Speer als machtbewussten Karrieristen charakterisiert, „der sich geschmeidig den jeweiligen Zeitverhältnissen anpasst“, schreibt Alexander Schmidt im Katalog.

Als Einstimmung zur Ausstellung wird in einer begehbaren Installation das „Lebens-Tonband“ Speers abgespult. Zugleich sind in mehreren Bildschirmen Großaufnahmen von Speers Mimik zu sehen, während er spricht.

„Ein kultivierter Mann“

Schon als einer der Hauptangeklagten im Nürnberger Prozess startete Speer seine Geschichtsmanipulation und Entlastungsstrategie. Sie rettete ihn vor der Todesstrafe, auch deshalb, weil damals noch zu wenige Dokumente bekannt waren, die seine Beteiligung an der Judenvernichtung belegen. Auch sein Auftreten half ihm dabei. „Speer war ein kultivierter Mann, er war intelligent, und ich bin sicher, dass das die Reaktion der Richter beeinflusst hat“, sagte etwa Telford Taylor, ab Oktober 1946 Chefankläger im Nürnberger Prozess, über Speer.

Das Narrativ des Geläuterten habe sich lange gehalten, – trotz der kritischen Stimmen, die es bereits in den 1970er und 1980er Jahren gab, so Florian Dierl, Leiter des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände. Dazu gehört etwa der Schriftsteller und KZ-Überlebender Jean Amery. Er schrieb 1975 einen offenen Brief an Speer: „Sühne und Umkehr werden würdig nur in Einsamkeit vollzogen: ohne Geste an der Rampe.

Biografie von Magnus Brechtken

Wer sich noch mehr in die Machenschaften von Albert Speer vertiefen möchte, der kann in Magnus Brechtkens vor wenigen Tagen erschienenen Biografie nachlesen, wie es dem Vertrauten Hitlers gelang, seine Legenden zu streuen. Brechtkens Kritik: Joachim Fest oder auch die Speer-Biografin Gitta Sereny hätten mehr den Worten Speers gelauscht, weniger die Quellen in Archiven studiert – im Gegensatz zu Speer selbst; etwa als 1971 durch Recherchen des Historikers Erich Goldhagen herauszukommen drohte, dass er bei der Rede Heinrich Himmlers auf der Gauleiter-Tagung am 6. Oktober 1943 anwesend war.

Damals sprach der Reichsführer SS von der Judenfrage, die bald erledigt sei. Wenn Speer das nachweislich gehört haben sollte, wäre sein Lügengebäude, dass er nichts gewusst habe, eingestützt.

Speer erschrak, forschte im Bundesarchiv in Koblenz und verfasste eine „Entgegnung“: Er habe die Tagung vorzeitig verlassen. Zwei Personen seines Netzwerks verfassten eidesstattliche Versicherungen. Erst 2007 wurde ein Brief von 1971 bekannt, in der Speer zugab, dass er bei der Rede Himmlers zugegen war.

Dass Albert Speers Reue lediglich eine gern öffentlich zur Schau gestellte Pose war, zeigt laut Brechtken eine Aussage, ebenfalls aus den frühen 1970er Jahren: Er würde alles noch einmal genau so tun. Reaktionen der Fassungslosigkeit ob des moralischen Abgrunds seien nicht überliefert, so der Zeithistoriker, obwohl Speer damit für sich den „Stolz auf die Errungenschaften seiner gesamten Vergangenheit“ für sich reklamierte.

Speer in Nürnberg

Die Ausstellung „Albert Speer in der Bundesrepublik. Vom Umgang mit deutscher Vergangenheit“ im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg ist bis zum 26. November zu sehen: Montag bis Freitag 9 bis 18 Uhr, samstags und sonntags 10 bis 18 Uhr.

Professor Magnus Brechtken, stellvertretender Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, stellt am Dienstag, 20. Juni, um 18.30 Uhr im Dokumentationszentrum seine gerade erschienene, wissenschaftliche Biografie „Albert Speer. Eine deutsche Karriere“ vor (Siedler Verlag, 910 Seiten, 40 Euro). Anmeldung: Tel. (09 11) 231-75 38. cj

Buchstabe_S_P_DHM_90135_7       -  Albert Speer auf der Pressekonferenz nach seiner Haftentlassung, 1. Oktober 1966.
Foto: (Pressebild-Verlag Schirner/ Deut) | Albert Speer auf der Pressekonferenz nach seiner Haftentlassung, 1. Oktober 1966.
 
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