Bald hat das Rätselraten ein Ende. Seit Wochen sind Feuilletons und die Kunstmagazine voller Spekulationen. Wer ist dabei? Was ist zu sehen? Und vor allem: Was will uns das alles sagen? Eine Woche vor Eröffnung der documenta zeichnet sich – aller Geheimhaltung zum Trotz – nun recht klar ab, was die schätzungsweise 750 000 Besucher im 13. Jahr der „Weltkunstschau“ erwartet: Kunst, bei der es mehr um die Idee als um das Endergebnis geht, und Kunst aus Alltagsmaterial. Was die Themen betrifft, scheinen Krieg und Zerstörung, Ernährung und Ökologie, Kapitalismuskritik und Feminismus großen Raum einzunehmen. Das bevorzugte Verfahren scheint Sammeln und Dokumentieren zu sein, vielleicht auch die politische Aktion – ein Bild an der Wand wird wohl eine Seltenheit bleiben. Es könnte eine documenta des Dazwischen werden: Kaum einer der Künstler, die auf der unter der Hand kursierenden Teilnehmerliste stehen, lässt sich leicht beschreiben. Installationskünstler, Autor und Filmemacher, der auch politisch aktiv ist, mit arabischen Wurzeln, US-Pass und Wohnsitz in Berlin – so in der Art würden sich die meisten Kurzfassungen lesen. Das passt zum Kunstbegriff der künstlerische Leiterin Carolyn Christov-Bakargiev, für den „weit gefasst“ ein zu enger Begriff wäre.
Es könnte auch eine documenta des Darüberhinaus werden: Nicht nur Künstler hat Christov-Bakargiev eingeladen, auch Schriftsteller, Politiker und Wissenschaftler. Nicht nur Lebende sollen dabei sein, sondern auch Tote. Nicht nur in Kassel soll die documenta (13) stattfinden, sondern auch an vielen anderen Orten, zum Beispiel in Kabul. Schon wird gewitzelt, Christov-Bakargiev wolle die Kunst auch am Hindukusch verteidigen. Die Frau mit der wirren Lockenpracht ist Meisterin darin, Dinge in der Schwebe zu halten. Sie spricht viel und gern, sagt aber wenig Konkretes. In einer manifestartigen Schrift von Anfang Mai beschrieb sie ihr Kunstverständnis so: „Die documenta (13) wird von einer ganzheitlichen und nichtlogozentrischen Vision angetrieben, die dem beharrlichen Glauben an wirtschaftliches Wachstum skeptisch gegenübersteht. Diese Vision teilt und respektiert die Formen und Praktiken des Wissens aller belebten und unbelebten Produzenten der Welt, Menschen inbegriffen.“
Ob dies eine Mammut-Schau trägt, auf der weit über 150 Künstler aus 55 Ländern 100 Tage lang ihre Positionen artikulieren dürfen, wird sich zeigen. Im schlechtesten Fall versteht man die Kunstwerke nur, wenn man die Geschichte hinter dem kennt, was da zu sehen ist. Im besten Fall ist das alles so neu und überraschend, dass man verändert nach Hause fährt. Der Südafrikaner William Kentridge – einer der ganz wenigen bekannten Namen dieser documenta – kennt kaum einen seiner Mit-Aussteller. Er habe Carolyn Christov-Bakargiev gefragt: „Wer sind eigentlich all diese Künstler, 90 Prozent der Namen habe ich noch nie gehört?“, berichtete er dem Kunstmagazin „art“ und erklärte zugleich: „Ich finde das fantastisch.“
„Jede Zeit hat die documenta, die sie verdient“, schrieb der Schweizer Kunsthistoriker Beat Wyss in einem Beitrag für das Kunstmagazin „monopol“: handfest 1992, intellektuell 1997, politisch 2002, spektakulär 2007. Und 2012? „Hat sich die Weltkunstschau nicht überlebt?“, hatte „monopol“ Wyss gefragt. Keinesfalls, antwortet der: „Wir brauchen internationale Kunstausstellungen als Laboratorien des kreativen Dilettantismus.“
Die wichtigsten Fakten zur documenta (13)
Erster Besuchertag der diesjährigen documenta ist der 9. Juni. Die früher alle vier, seit 1972 aber alle fünf Jahre stattfindende Schau gilt als weltweit wichtigste Ausstellung für zeitgenössische Kunst. Vor fünf Jahren kamen rund 750 000 Besucher.
Dauer: 100 Tage (9. Juni bis 16. September).
Teilnehmer: Mehr als 150 Künstler aus 55 Ländern. Hauptveranstaltungsorte sind Fridericianum, documenta-Halle, Neue Galerie, Orangerie und der Karlsaue-Park. Auch an einigen Orten außerhalb von Kassel wird Kunst gezeigt.
Etat: 24,6 Millionen Euro.
Öffnungszeiten: Täglich von 10 bis 20 Uhr.
Preise: Tageskarte 20 Euro (ermäßigt 14 Euro), Dauerkarte 100 Euro (ermäßigt 70 Euro), Familientageskarte für bis zu zwei Erwachsene und drei Kinder 50 Euro.
Publikationen: „Das Buch der Bücher“ mit Abbildungen und Aufsätzen, „Das Logbuch“ über die Entstehung der documenta und „Das Begleitbuch“
Während der 100 Tage bietet die documenta (13) auch ein ausgedehntes Programm für die Öffentlichkeit an. Es setzt sich aus Kongressen, Seminaren, Vorträgen, Projekten, einer Residency für Autoren und einem Filmprogramm zusammen, die alle im Verlauf der Ausstellung besucht werden können.
Der Name der Ausstellung ist ein Kunstwort. Er zeigt den Anspruch der Schau, eine Dokumentation über die moderne Kunst zu sein. Zudem enthält er das lateinische Wort docere (lehren). Internet: d13.documenta.de Text: dpa/jk