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SEATTLE
Die Dämonen des Kurt Cobain
20. Todestag: Am 5. April 1994 erschoss sich der Sänger, Gitarrist und Komponist von Nirvana. Kurt Cobain war 27 Jahre alt. Mit ihm starb die letzte große Band des 20. Jahrhunderts. Ihre Songs aber sind unsterblich.
reda
 |  aktualisiert: 11.12.2019 19:33 Uhr

Das schwarze Nirvana-Shirt mit dem gelben Aufdruck, das der Verfasser dieses Texts 1992 für 20 Mark erstand, blickt auf eine ungewöhnliche Vita zurück. Zunächst durchlief es die üblichen Stationen des Abstiegs: erst Uni, dann Sport, dann Bett. Doch dann geschah etwas Ungewöhnliches. Das T-Shirt landete nicht etwa im Altkleidercontainer, sondern erklomm die Klamotten-Karriereleiter ab etwa Mitte des letzten Jahrzehnts (auch die Stoffqualität war erstaunlich). Bis heute trag' ich es gern, vornehmlich im Sommer.

Ähnlich wie dem aus unerfindlichen Gründen immer ganz leicht nach Benzin riechenden Hemdchen geht es auch der Band selbst. Nirvana mag zwischenzeitlich etwas aus dem Blickwinkel verschwunden gewesen sein. Ganz weg, geschweige denn vergessen war die Gruppe nie. Nirvana war die letzte große Band des 20. Jahrhunderts. Die Musikwelt war noch in Ordnung, MTV und Plattenläden noch von hoher Bedeutung, das Internet entwickelte sich gerade erst. Eine größere Band ist seitdem nicht aufgetaucht, und die Chancen stehen schlecht, dass dies in absehbarer Zeit geschehen wird.

Titelsong einer ganzen Generation

In den kommenden Wochen wird Nirvana noch allgegenwärtiger sein als üblich. Trauriger Grund: Der Todestag des Sängers jährt sich zum zwanzigsten Mal. Am 5. April 1994 erschoss sich Kurt Cobain im Alter von 27 Jahren in seinem Haus am Lake Washington bei Seattle. Cobain hinterließ nicht nur Witwe Courtney Love und Tochter Frances Bean, sondern auch Millionen fassungsloser Fans weltweit. Sein Tod war die einschneidendste Rock-’n’-Roll-Tragödie seit der Ermordung John Lennons im Jahr 1980. „It’s better to burn out than to fade away“ (es ist besser, zu verbrennen als langsam zu verglimmen), schrieb er in seinem Abschiedsbrief. Die Zeile stammt aus Neil Youngs Song „Hey hey, my my (Into the black)“, der weitergeht mit dem Satz „Rock 'n' Roll will never die“.

Bereits zu Lebzeiten war der 1967 in Aberdeen im US-Bundesstaat Washington geborene Cobain nicht nur ein Idol, sondern eine Ikone. Zusammen mit seinen Bandkollegen Dave Grohl (Schlagzeug, heute Foo Fighters) und Krist Novoselic (Bass, heute Jurastudent) fegte er den ganzen Mief der 80er-Jahre aus der Rockmusik. Die Hair-Metal-Poser, die zuvor dominierten, konnten spätestens in dem Moment ihre Sachen zusammenpacken, als Nirvana 1991 das zweite Album („Nevermind“) veröffentlichten und die Single „Smells like teen spirit“ – so pathetisch muss man das ausdrücken – zum Titelsong einer ganzen Generation (der man später das Etikett „Generation X“ verpasst) wurde.

Nirvana hat den Grunge nicht erfunden. Dieses Verdienst gebührt Bands wie den Pixies oder den Melvins, die der bereits in jungen Jahren (mit vier lernte er das Klavierspiel) extrem musikbegeisterte Kurt Cobain ebenso verehrte wie die Sex Pistols, Led Zeppelin oder Queen. Cobains Leistung ist die Popularisierung des Genres. Er ist das Gesicht des Grunge. Nach ihm kamen weitere Seattle-Bands wie Pearl Jam oder Soundgarden. Nirvana hat den Musikgeschmack einer ganzen Generation positiv geprägt.

„ Ich bin der Ansicht“, sagt Krist Novoselic, „dass die Unverbrauchtheit, die Nirvana-Songs bis heute ausmacht, auf Kurt und seiner künstlerischen Vision basiert. Kurt wusste damals schon, dass unsere Songs ihn selbst lange überdauern werden. Und sie haben eine so starke persönliche Bedeutung für sehr viele Menschen, sie finden letzten Endes vielleicht auch etwas besser zu sich selbst, wenn sie unsere Songs hören.“ Cobain gelang dies nicht. Er verlor sich zusehends. Er galt anfangs schnell als Rebell – ob zu Recht, darüber gibt es bis heute unterschiedliche Meinungen. Denn einerseits, das belegen seine später veröffentlichten Tagebücher, suchte er den Mainstream-Erfolg, wollte er Karriere machen, ein Rockstar werden. Andererseits trug der Ruhm sicher zu seinem frühen Tod bei.

Nach „Nevermind“ fühlte er sich zunehmend unwohl in der Öffentlichkeit, das letzte und relativ unzugängliche Studioalbum („In Utero“, 1993) gilt als Versuch, einen seiner vielen Dämonen – den des weltweiten Megaerfolgs – auszutreiben. Novoselic: „Kurt hatte als Frontmann mit Abstand den härtesten Druck auf seinen Schultern. Er war der Songwriter, der Gitarrist, bekam den Löwenanteil der Aufmerksamkeit. Das tat ihm nicht gut. Dazu hatte er persönliche Schwierigkeiten, die den Druck auf ihn noch verstärkten. Und, scheiße, er hat es nicht gepackt, er hat die Kurve nie bekommen.“

Aus zerrüttetem Elternhaus

Kurt Cobain, ein Kind aus zerrüttetem Elternhaus, litt zeitlebens unter Bauchschmerzen, die er mit Drogen zu betäuben versuchte. Mit 13 raucht er Marihuana, mit 19 nimmt er Heroin, die Sucht gerät zunehmend außer Kontrolle, halbherzige Entzugsversuche bleiben ohne Erfolg. Später wird zudem eine bipolare Störung festgestellt, mehrere Liebesbeziehungen scheitern. Wirklich wohl, so Novoselic, habe er sich nur beim Zusammenspiel mit der Band gefühlt. Kurt Cobains Einfluss und Erbe gehen über das rein Musikalische weit hinaus. Mit Flanellhemden, Strickjacken, Gammeljeans und Converse-Schuhen prägte er eine Mode, die mit kleinen Unterbrechungen weltweit präsent ist, Modeschöpfer wie Marc Jacobs bauten auf dem Grunge-Look ihre Karriere auf. Mit Textzeilen wie „Everyone is gay“ und Interviews mit Schwulenmagazinen trug er erheblich zur Toleranz bei. Sein fürchterlicher Tod führte auch dazu, dass die Menschen begannen, sich ernsthafter mit der Krankheit Depressionen zu beschäftigten. Und womöglich verhalf sein Ende manchem Junkie, seinen Drogenkonsum zu bekämpfen.

Das posthume Geschäft mit Nirvana läuft wie am Schnürchen. 75 Millionen Alben sind bis dato verkauft, es gibt regelmäßige Wiederveröffentlichungen, etwa 15 Bücher über Cobain, neuaufgelegte Band-Shirts sind praktisch bei jedem Rockfestival erhältlich. Designer wie Isabel Marant oder die Mulleavy-Schwestern (Rodarte) lassen sich immer wieder vom Grunge-Stil inspirieren. Selbst Mutter Wendy O’Connor und Schwester Kimberly wollen ein Stück vom Kuchen und bieten Cobains kleines Geburtshaus in Aberdeen für üppige 500 000 Dollar zum Verkauf an. Am 10. April wird Nirvana in die „Rock and Roll Hall of Fame“ aufgenommen. Was Kurt Cobain wohl von dieser Ehre gehalten hätte?

 
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