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BREMEN
Die Beat-Club-Revolution
25. September 1965: Pop oder gar Rock im Fernsehen? Mitte der 1960er Jahre schien das undenkbar. Bis Radio Bremen seinen Beat-Club startete. Ob Stones, Hendrix, Who oder Doors – alle traten sie dort auf.
Beat-Club wird 40       -  Those were the Days: Auftritt des britischen Rock-Trios Cream (mit, von rechts, Eric Clapton, Ginger Baker und Jack Bruce) im Beat-Club. Das „The“ im Namen, das auf dem Banner links oben steht, ist falsch – die Band hieß nur Cream.
Foto: dpa | Those were the Days: Auftritt des britischen Rock-Trios Cream (mit, von rechts, Eric Clapton, Ginger Baker und Jack Bruce) im Beat-Club.
Von unseren Mitarbeitern Sabine Göttel und Olaf Neumann
 |  aktualisiert: 27.04.2023 00:11 Uhr

Von Jugendwahn im deutschen Fernsehen konnte Mitte der 1960er Jahre noch keine Rede sein. Junge Leute und ihre Interessen kamen dort schlicht nicht vor – bis Radio Bremen den Beat-Club erfand. Vor 50 Jahren, am 25. September 1965, ging die kultige Musikshow erstmals live über den Bildschirm.

„Guten Tag, liebe Beat-Freunde! Nun ist es endlich so weit. In wenigen Sekunden beginnt die erste Show im Deutschen Fernsehen, die nur für Euch gemacht ist. Sie aber, meine Damen und Herren, die Sie Beat-Musik nicht mögen, bitten wir um Ihr Verständnis: Es ist eine Live-Sendung mit jungen Leuten, für junge Leute. Und nun geht's los!“

Als Sprecher Wilhelm Wieben seine älteren Zuschauer am Nachmittag des 25. September 1965 vor der ersten Sendung mit englischsprachiger Musik und tanzenden jungen Menschen warnte, galten Rock und Pop nicht nur im deutschen Fernsehen noch als öffentliches Ärgernis. Sissi-Filme, Rateshows und allenfalls mal ein Edgar-Wallace-Krimi bestimmten das kärgliche Angebot der TV-Unterhaltung in den 60er Jahren.

Radio Bremen als Vorreiter

Wer für die brandneuen englischen und amerikanischen Bands schwärmte, war auf das Radio angewiesen. Dort waren es aber nur ausländische Sender wie AFN und Radio Luxemburg, die die jugendlichen Fans mit ihrer Leidenschaft für Beat und Rock ernst nahmen. Es wurde Zeit, dass sich die deutschen Fernseh- und Radiomacher dieser Konkurrenz stellten.

Hierbei erwies sich Radio Bremen als Vorreiter unter den Sendeanstalten. Große Skepsis begleitete die ersten Pläne der Unterhaltungsabteilung um Redakteur Michael „Mike“ Leckebusch, eine Musikshow nach amerikanischem Vorbild einzurichten: internationale Bands und Interpreten, Einspielfilme, Playback-Gesang und Go-Go-Girls – all das bei Live-Atmosphäre vor ausschließlich jungem Publikum im Fernsehstudio. Sogar der Anthropologe, Sexualwissenschaftler und bekennende Jazz-Fan Ernst Bornemann wurde bemüht, um die Bedürfnisse und den Geschmack der jungen Generation genau zu treffen.

„Anfangs wurden wir verlacht und verspottet, wie die vielen Leserzuschriften von überwiegend älteren Herrschaften bewiesen“, erzählt Beat-Club-Mitbegründer Gerhard „Gerd“ Augustin, DJ-Legende und Besitzer des damals angesagten Bremer „Twen Clubs“. „Sogar schwarz umrandete Trauerbriefe erhielten wir. Doch gleichzeitig bekamen wir Lobeshymnen von jungen Leuten, die unseren Pioniergeist unterstützten und völlig begeistert waren: Endlich sahen sie im Flimmerkasten das, was sie interessierte: Beat, Rock und tanzende Altersgenossen mit demselben Musikgeschmack.“

Gerd Augustin war es auch, der die ersten Folgen des Beat-Clubs moderierte – zusammen mit der Sängerin und Architekturstudentin Ursula „Uschi“ Nerke. Kein Geringerer als Rudi Carrell hatte sie Radio Bremen als Moderatorin empfohlen. Tagelang bereiteten sich die beiden TV-Newcomer auf die erste Sendung vor. „Manche Kameraeinstellungen und manche Moderationssätze mussten wir dutzendfach wiederholen“, so Augustin.

„Uschi und ich hatten enormes Lampenfieber. Daraus entwickelten wir ein Ritual, das wir auch in den folgenden Sendungen beibehielten: Kurz bevor die Scheinwerfer angingen, genehmigten wir uns einen Cognac zur Beruhigung. Dann ging es los – und klappte famos. Heute zählt die erste Beat-Club-Sendung zu den Sternstunden des deutschen Fernsehens.“ Obwohl man zunächst auf lokale und wenig bekannte Bands setzte – die erste Folge eröffnete die Bremer Band Yankees („Halbstark“) mit einem deutschen und drei englischen Songs – erzielte die Sendung bereits nach kurzer Zeit traumhafte Quoten.

Wie Infratest herausfand, war der halbstündige Beat-Club bereits im ersten Sendejahr für 63 Prozent der deutschen Zuschauer unter 30 Jahren ein festes Samstagnachmittagsritual. Für die Live-Show im Studio waren Eintrittskarten nur auf dem Schwarzmarkt zu bekommen; das Studio platzte aus allen Nähten. Auch der vormalige Bremer Bürgermeister Jens Böhrnsen soll im Teenageralter einmal auf nicht genauer dokumentierten Wegen unter die Zuschauer im Studio gelangt sein. Bald waren die Macher des damals revolutionären Formats in der Lage, auch Stars aus den angelsächsischen Ländern zu präsentieren.

In der Szene hatte es sich herumgesprochen, dass man durch einen Auftritt im Beat-Club ohne großen Aufwand Werbung für sich machen konnte.

Zahlreiche später weltbekannte Bands und Künstler hatten ihren ersten deutschen Fernsehauftritt in Bremen; darunter Größen wie Alice Cooper, The Beach Boys, The BeeGees, Black Sabbath, Cat Stevens, The Doors, Fleetwood Mac, Frank Zappa, Ike und Tina Turner, Jethro Tull, Jimi Hendrix, Joe Cocker, Johnny Cash, Procol Harum, Santana, Sonny & Cher, Status Quo, T. Rex oder The Who. Selbst die Rolling Stones spielten im Beat-Club.

Durch den sich schnell durchsetzenden internationalen Charakter der Sendung fühlte sich eine ganze Generation im immer noch als spießig und provinziell empfundenen Nachkriegsdeutschland mit fortschrittlich denkenden jungen Menschen in der ganzen Welt verbunden. Ausdruck dieser Verbundenheit war nicht zuletzt das Logo der Sendung, das mit blauem Band auf rot-weißem Kreis an das Markenzeichen der U-Bahn im ehemals „Swingin'“ London erinnert.

Mit farbenfrohen psychedelischen Effekten bei der Präsentation der Songs bewies man zudem, dass man nicht nur auf dem neuesten Stand der Fernsehtechnik agierte, sondern sich zusammen mit seinen Zuschauern auch als Teil der Hippie-Bewegung verstand.

Nur noch eine Nische für Eingeweihte

Am 9. Dezember 1972 lief die 84. und letzte Folge des Beat-Clubs über den Sender. Doch es waren weder die Ausdehnung der Sendezeit auf 60 Minuten, die Einführung des Farbfernsehens oder die Streichung von Playback und Go-Go-Girls, die zur Einstellung des Formats führten. Wie so oft war es auch hier die Abkehr vom Massengeschmack, die bewirkte, dass die Zuschauerzahlen abnahmen.

Die Macher hatten es gewagt, immer mehr anspruchsvolle Rockbands einzuladen, wie Santana, Yes oder Deep Purple. Und fast alle spielten live. Bald galt die Sendung nur noch als Nische für Eingeweihte. Und die saßen nicht unbedingt am Samstagnachmittag vor der Mattscheibe. So war das Aus programmiert. Nachdem sich die männlichen Moderatoren in den sechs Beat-Club-Jahren die Klinke in die Hand gegeben hatten, blieb die attraktive Uschi Nerke bis zum Schluss. Bis heute ist sie, die vor der Kamera zunächst etwas schüchtern gewirkt hatte, die Identifikationsfigur des Beat-Clubs und mischt kräftig mit bei den zahlreichen Aktivitäten Radio Bremens zum 50. Geburtstag der Sendung.

Von Konzerten mit Udo Lindenberg und anderen Stars über eine lange Fernsehnacht, Hörspielfeatures und Theaterevents bis zu Ausstellungen und multimedialen Pageflow-Seiten im Internet ist unter dem Motto „Forever Young“ für jeden Geschmack und jedes Alter etwas dabei.

Jubiläumssendung: Freitag, 9. Oktober, 20 Uhr, Bremen Eins, www.radiobremen.de

 
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