Mit über 50 Jahren Bühnenerfahrung verkörpert Hans Hirschmüller deutsche Theatergeschichte. Noch bis 6. Oktober steht er im Torturmtheater Sommerhausen in Theresia Walsers Theatersatire "Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm" als abgehalfterter Hitler-Darsteller auf der Bühne. Im Gespräch gibt der 78-Jährige Einblick über das "Einlaufen" der Rolle und die Angst vor der Textlücke. Und erklärt, warum er manche Theaterbesuche für verlorene Lebenszeit hält.
Hans Hirschmüller: Fassbinder war ja noch nicht bekannt, als er Mitte der 60er Jahre zum Ensemble des Action-Theaters kam, das Kollegen der Schauspielschule und ich in München gegründet hatten. Dass ich dann in zweien seiner Filmen mitgespielt habe, hat mir später sicher einige Türen geöffnet. Meine Arbeit wurde durch ihn und andere Koryphäen wie Zadek, Herbert Achternbusch oder Wilfried Minks geprägt. Ich habe bei ihnen viel gelernt und mir einiges abgeguckt.
Hirschmüller: Nein, das war ich schon immer. Ich habe schon mit 12 Jahren den Politikteil der Zeitung gelesen. Grund dafür war sicher, dass ich den Krieg und auch Ausgrenzung erlebt habe. Meine Eltern wurden 1940 von Rumänien nach Deutschland umgesiedelt. Ich habe schon immer genau hingeschaut. Und mich deshalb bei Fassbinder und anderen politische Regisseuren wohlgefühlt.
Von denen gibt es heute zu wenig. Dabei wären gerade jetzt Theaterstücke oder Filme wichtig, die provozieren. Die dazu zwingen, sich mit den Dingen wie jetzt in Chemnitz auseinanderzusetzen und die dadurch dazu beitragen, dass die Menschen darüber diskutieren.
Hirschmüller: Ich gehe fast nicht ins Theater. Für mich ist das oft verlorene Lebenszeit. Denn es macht mich traurig, wenn ich, auch auf den großen Bühnen, Figuren sehen, die keine Geschichte erzählen, sondern nur einen Text vorlesen.
Hirschmüller: Das nicht. Aber die Arbeit eines Schauspielers hat sich nicht geändert. Eine Rolle ist wie ein Schuh. Der Regisseur stellt ihn hin und der Schauspieler läuft ihn ein, bis er passt und nichts drückt. Das ist ein langer Prozess, zu dem auch gehört, dass man alles, was man auf der Bühne sagt, vorher gedacht haben muss. Ansonsten fehlt der Subtext, die Aussage. Und die fehlt meiner Meinung nach heute zu oft. Ich glaube, es liegt daran, dass zu wenig Zeit da ist.
Hirschmüller: Das Torturmtheater ist etwas ganz besonderes. Es ist in ganz Deutschland für seine einzigartige Intimität bekannt. Als ich 2007 das erste Mal hier gespielt habe, hatte ich genau davor ein bisschen Bammel. Denn auf der Bühne spürt man sofort, wie die Zuschauer reagieren. Doch dann fand ich es toll! Man merkt unmittelbar, wie das, was man sendet, ankommt. Deshalb freue ich mich jetzt sehr, dass ich bei diesem tollen Stück dabei bin.
Hirschmüller: Das Lernen dauert schon etwas länger. Aber dann sitzt es. Ich habe natürlich auch über 50 Jahre lang trainiert. Trotzdem gibt es kurz vor Beginn der Vorstellung die Angst, dass einem heute der Satz nicht einfallen wird. Mir hilft es, dass ich mich gut vorbereite. Ich nehme jede Vorstellung auf und höre sie am nächsten Tag ab. So kann ich auch noch an Nuancen arbeiten.
Hirschmüller: In den letzten Jahren habe ich ja weniger gespielt als inszeniert. Aber ja, der Applaus, die Bestätigung, dass die Zuschauer berührt, was wir auf der Bühne entstehen lassen, ist gut. Aber das finanzielle Zubrot kann ich schon auch brauchen.
Hirschmüller: Dass ich diese Dinge immer noch mit Leidenschaft mache, gibt mir sicherlich Kraft. Aber ich achte auch auf mich. Zum Beispiel habe ich vor 30 Jahren aufgehört exzessiv zu trinken und zu rauchen. Sonst wäre ich heute schon tot.