Ein Gespräch mit dem Schauspieler Max Gertsch, der seit vielen Jahren in Berlin lebt, über den besonderen Charme von Röttingen, über Erfahrungen mit Franken, Traumrollen, Versagensängste und Deutschland als Krimi-Land.
Max Gertsch: Ganz ehrlich: Nein.
Gertsch: Die Rolle. Also: Knut Weber, der Intendant der Frankenfestspiele, und Donald Berkenhoff, der bei der „Dreigroschenoper“ Regie führt. Weber hat gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, den Mackie zu spielen, und ich habe sofort „Ja“ gesagt.
Gertsch: Sie steht für etwas: für den Prototyp Mann – mit verführerischen und mit Arschloch-Qualitäten. Es ist toll und beängstigend zugleich, so was zu spielen, man kann total daran scheitern.
Toll daran finde ich, dass Mackie ein kompletter Mann ist, sowohl ein Gangster, der sich nicht unter die gängige Moral einordnet, der Frauen betrügt und ausnutzt, der aber auch aufrichtig verliebt ist, der an ein neues Leben glaubt, auch wenn es danach anders kommt. Eine wahnsinnig komplette Rolle.
Gertsch: Ja! Schauspiel, Gesang, Tanz – für mich gehört das alles zusammen. Auf die Bühne gehen, heißt, das alles eventuell machen zu dürfen, und ich tue all das sehr gerne. Ich liebe es, Musik zu machen, es bereichert mich. Am liebsten würde ich morgens aufstehen, Comedy mit Anke Engelke drehen, abends einen Ibsen im Theater spielen und am nächsten Tag für ein Musical proben. Je mehr von all dem zusammenkommt, desto bunter und befriedigender finde ich das.
Gertsch: Ich habe drei Kilometer vom Städtchen entfernt in einem alten Schulhaus gewohnt – es war wahnsinnig schön, grün, ruhig, die Leute waren sehr respektvoll, was auch mal ein angenehmer Kontrast war. . .
Gertsch: Zum einen zu Berlin, wo es rauer zugeht – und zu Städten, wo es mehrere Theater gibt und man sagt, „Du bist jetzt nichts Spezielles, nur weil du Schauspieler bist“. Röttingen war schon sehr angenehm. Abends saßen wir bei der Kapelle und haben den Sonnenuntergang angekuckt – das war wahnsinnig anders, als ich sonst lebe. Und: Man konzentriert sich auf die Arbeit, weil es sonst nichts zu tun gibt.
Gertsch: Kein Broblem, ich bin franggnerbrobt (lacht). Meine Frau kommt aus Aschaffenburg, meine Schwägerin wohnt in Erlangen. Ich weiß, dass es kein hardes „d“ gibt, außer im Senft. Ich bin ja Schweizer, und wir sind auch irgendwie eigen.
Gertsch: Mit 19 Jahren hab‘ ich zwei Semester auf Lehramt studiert, Englisch, Deutsch und Geschichte. In einem Linguistik-Seminar wurde mir aber schnell klar, dass das ein Missverständnis war. Dann hab‘ ich einen Regie-Assistenten getroffen, der mich zu einer Schülertheater-Aufführung mitgenommen hat. Da hab‘ ich mitgeholfen und fand es klasse. An der Schauspielschule in Bern hab‘ ich die Aufnahmeprüfung gemacht und wurde genommen. Das erste Jahr war ich sehr irritiert, weil ich mir Schauspielerei so vorstellte wie in Hollywood-Filmen: Es geht darum, dass man wahnsinnig gut aussieht, am Swimmingpool abhängt und auf Partys geht – aber nicht darum, dass man jeden Tag Akrobatik- und Stimmtraining macht und drei Stunden lang auf dem Boden rumrobbt. Irgendwann hat es aber geschnackelt, und dann fand ich‘s toll.
Gertsch: Doch. Ich hab‘ immer gesagt, wenn's mit der Schauspielerei nichts wird, werd‘ ich Kellner. Das war meine Art, mir Versagensängste vom Hals zu halten. Mit 40 hab‘ ich gemerkt: Erstens hab‘ ich nichts anderes gelernt, zweitens interessiert mich nichts anderes, und drittens, „hör jetzt mal auf zu sagen, ich bin nur per Zufall hier“. 20 Jahre „per Zufall?“ Ist gut jetzt.
Gertsch: Ich stell‘ mir das Leben eines „normalen“ Menschen so vor: Man fängt an, was zu machen, man ist Azubi, dann Geselle, Meister, und nach 20 Jahren weiß man, wie die Vorgänge sind. Als Schauspieler kommt man immer irgendwo hin und muss erst mal herausfinden: Was ist das hier? Es ist ein großes Gefühl von Fremdheit, wenn man immer wieder am Anfang anfängt. Ich mag das einerseits sehr, und gleichzeitig ist der immer wiederkehrende Gedanke: „Ich weiß ja gar nicht, wie das geht“ das Leiden meines Berufs.
Gertsch: Im Fernsehen ist es sehr oft der zwiespältige Charakter. Entweder der falsche Verdacht, der zum Beispiel im Krimi dann doch nicht der Mörder ist, aber einer, der auch Dreck am Stecken hat. Das geht auch oft in eine schnöselige Richtung. Beim Theater sind die Rollen reichhaltiger: Da bestimmt die Fantasie des Regisseurs und meine, wer ich sein kann.
Was ist für Sie heute die zentrale Aussage der Dreigroschenoper?
Gertsch: Die gleiche, die es schon 1928 war: dass Reichtum ungleich verteilt und Moral etwas ist, mit dem Menschen gefügig gemacht und zum Funktionieren gebracht werden sollen. Und dass es legitim ist, sich dagegen aufzulehnen. Dass es ein Menschenrecht, fast eine Menschenpflicht ist, die bestehenden Verhältnisse nicht einfach zu schlucken.
Wie würden Sie die Röttinger Fassung der Dreigroschenoper charakterisieren?
Gertsch: Sie ist sehr auf das nackte Gerippe des Stücks reduziert. Der Text ist nur noch das Skelett des Stückes, damit man weiß, wie man von A nach B kommt. Dann kommt ein Song, der die Message und die Emotion transportiert. Dann kommen wieder ein paar Sätze aus der nächsten Szene, dann der nächste Song. Es ist eine Art Nummern-Revue mit gelenkartigen Texten dazwischen.
Was ist der Gedanke dahinter?
Gertsch: Bettler spielen eine Oper für Bettler. Es sind nur sieben Leute, die eine große Oper auf die Bühne bringen wollen und es natürlich nicht können. Ein Blumenbouquet ist hier ein Alpenveilchen von „Blume 3000“, und wenn ein Bordell entstehen soll, kriegt man ein Schild in die Hand, auf dem „Separee“ steht. Brecht stripped.
Was wäre Ihre Traumrolle?
Gertsch: Mackie Messer (lacht).
Gertsch: Die Rollen, die einen nähren, sind beim Fernsehen rar gesät. Sie liegen eher im Theater, das ist noch so ein Biotop, wo man über eine solche Rolle stolpern und einen Traum entdecken kann. Ich würde zum Beispiel wahnsinnig gern Macbeth spielen. Ich steuere aber auf kein großes Ziel zu. Die Dinge passieren mir einfach. Ich beginne meinen Frieden damit zu machen und es als richtig zu empfinden.
Gertsch: Weil er auch zwiespältig ist. Am Anfang wird ihm prophezeit, dass er König sein wird – das trifft ihn wie ein kalter Lappen ins Gesicht. Erst hinterher entwickelt er den Ehrgeiz, die Prophezeiung wirklich in die Tat umzusetzen. Angetrieben von seiner Frau, verrennt er sich in diesen Machthunger. Dabei entwickelt er ganz große potente Fantasien, bringt lauter Leute um und steht am Schluss allein da. Das ist ein toller Dramenstoff, finde ich.
Gertsch: Deutschland ist ein Krimi-Land. Ich finde, es gibt erstaunlich viele Krimis im deutschen Fernsehen. Mich würden auch andere Dinge reizen, aber ich glaube, die Frage nach Recht und Gerechtigkeit gehört zu Deutschland. Mir ist da manchmal ein bisschen langweilig! Ich bin auch kein „Tatort“-Kucker.
Gertsch: Hat sich nicht ergeben. Ich finde Leute, die sagen, „ruf mich bitte Sonntagabend viertel nach acht nicht an!“, komisch. Eine Zeit lang habe ich versucht, „Tatort“ zu kucken. Das war für mich aber Arbeit. Ich komme schon gar nicht mehr hinterher, wie viele Teams es gibt.
Gertsch: Sind wir mal ehrlich: Zu wissen, dass ich zwei oder drei Filme im Jahr mache, ist natürlich eine Überlegung wert. Ich würde versuchen, das so auszugestalten, dass es mich auch interessiert. Aber es ist nicht so, dass ich sage, „Boah, wenn das Angebot kommt, dann . . .!“
Wie begeistert man Sie für eine Rolle?
Gertsch: Mit einer Vision. Mit Sorgfalt. Manchmal liest man Drehbücher, da ist in der Überschrift der erste Druckfehler. Das zieht sich so durch und ich denke: Leute, wer hat denn das gegengelesen? Ich freu‘ mich wahnsinnig, wenn ein Drehbuch im Briefkasten ist, aber diese Freude kann sich rapide abkühlen, wenn ich merke, diese Sätze hab‘ ich baugleich gestern Abend gehört. Mir fehlen sehr oft die Sorgfalt und das Wollen.Wann macht Sie ein Dreh glücklich?
Gertsch: Wenn ich mit engagierten Kollegen am Set stehe. Wenn ich den Regisseur frage, „wäre es möglich, dass auch so zu machen?“ – und es ist möglich! Wenn ich mich in der Arbeit entdecke, etwas Unbekanntes entdecke, habe ich Freude an meinem Beruf. Wenn ich involviert bin. Nach 30 Jahren weiß ich auch, manchmal ist es einfach ein Job, damit verdiene ich mein Geld. Ich wollte ja unbedingt Schauspieler werden – mein Vater war dagegen.Welchen Beruf hat sich Ihr Vater für Sie gewünscht?
Gertsch: Drucker - ich wäre heute sowas von arbeitslos! Er hatte in den 50er Jahren einen Annoncenverlag und hat später Anteile an einer großen Druckerei gekauft. Kurz vor dem Abi hatte ich meine revolutionäre Phase und wollte abgehen, da wollte er mich in die Druckerei stecken. Ich habe das Abi dann zum Glück zu Ende gemacht.Gab es in Ihrer Familie irgendeine Verbindung zur Schauspielerei?
Gertsch: Nein. Meine Mutter hat als Sekretärin und Bürokauffrau gearbeitet. Sie war eine sehr musische Person; Musik und Literatur haben zuhause eine große Rolle gespielt. Sie war sehr glücklich, dass ich versucht habe, Schauspieler zu werden, und hat mich sehr darin bestärkt.War es die richtige Entscheidung?
Gertsch: Ich habe noch nichts gefunden, wofür ich sonst jeden Morgen gerne aufstehe. Na ja, relativ gerne…Zur Person
Max Gertsch wurde 1963 in Bern geboren und lebt seit 1987 in Berlin. Gertsch ist aus Fernsehserien wie „Mord mit Aussicht“ und „Alarm für Cobra 11“ bekannt. Von 1987 bis 1991 war er Ensemblemitglied der Freien Volksbühne Berlin; außerdem gehörte er zur Urformation der „Geschwister Pfister“.
Seitdem ist er auf verschiedenen Bühnen zu sehen, zuletzt in der Operette „Frau Luna“ im Tipi am Kanzleramt Berlin.
Bei den Frankenfestspielen Röttingen ist Gertsch noch am 28. Juli sowie am 5., 6. und 13. August zu sehen. Tickets unter Tel. (0 93 38) 97 28-55 oder im Internet auf www.frankenfestspiele.de