Es wäre spannend zu untersuchen, inwieweit sich nationale Befindlichkeiten in den Science-Fiction-Erzeugnissen eines Landes niederschlagen. Bei den USA wäre es einfach: Reisen ins All dienen vor allem dazu, moralische Fragestellungen durchzudeklinieren. Und dem Volk – ob irdisch oder intergalaktisch – zu vermitteln, was gut und richtig im Sinne amerikanischer Wertvorstellungen ist. Anders gesagt: Wenn der US-Amerikaner ins All geht, tut er das als Missionar für Demokratie, freies Unternehmertum und Menschenrechte. Wobei natürlich Menschenrechte nicht nur die menschliche Spezies meinen – aber ein Begriff, der auf Lebensformen von jenseits der Milchstraße anzuwenden wäre, existiert halt noch nicht.
Bei den Briten gibt es ein anderes Leitmotiv, das sich möglicherweise mit der Insellage und der chronischen Angst vor Vereinnahmung durch den Kontinent respektive die EU erklären lässt: Sobald eine außerirdische Lebensform vorbeischaut, hat sie nichts anders im Sinn, als die Erde zu vernichten. Das können bei Douglas Adams („Per Anhalter durch die Galaxis“) die Vogonen sein, die vorhaben, eine intergalaktische Umgehungsstraße zu bauen. Und das sind in der BBC-Serie „Doctor Who“ Kreaturen in allen erdenklichen Aggregatszuständen mit ähnlicher Agenda. Bei James Bond kommen zwar keine Außerirdischen vor, aber es geht dennoch immer um die Verteidigung britischer Werte. Doch zurück zu „Doctor Who“: Der Doctor ist ein sozusagen guter Außerirdischer, der in der – nicht sehr zuverlässigen – Zeitmaschine TARDIS, die wie eine altertümliche Polizei-Notrufzelle aussieht, durch Zeit und Raum reist. TARDIS steht für „Time And Relative Dimension(s) In Space“, in der deutschen Synchronisierung „Trips aufgrund relativer Dimensionen im Sternenzelt“.
Des Doctors Heimatplanet Gallifrey ist einst von den Daleks zerstört worden, die nicht viel sympathischer sind als Douglas Adams' Vogonen. Vielleicht wird Gallifrey eines Tages aber auch nicht zerstört worden sein, bei „Doctor Who“ wird dauernd so viel hin und zurück durch die Zeiten gereist, werden dauernd Zeitlinien korrigiert und umgebogen, dass man sehr schnell den Überblick verlieren kann.
„Doctor Who“ steht als am bisher längsten laufende Science-Fiction-Serie im Guiness Buch der Rekorde: Ein erster Schub lief von 1963 bis 1989, seit 2005 läuft die Neuauflage. Das Besondere: Im Laufe der Jahrzehnte spielen immer wieder andere Schauspieler den Doctor, der sich auf der Basis hoch komplizierter Gesetzmäßigkeiten immer wieder neu inkarniert. Fans können vermutlich die Reihe der Doctors im Schlaf aufsagen. Derzeit spielt Peter Capaldi („Local Hero“, „Paddington“) den – zwölften – Doctor. Vorgänger sind David Tennant („Harry Potter und der Feuerkelch“), Matt Smith oder der große John Hurt.
Obwohl auch in Deutschland die DVDs überall erhältlich sind, hat die Serie hierzulande nicht annähernd den Status wie im englischsprachigen Raum. Dort ist sie so etwas wie ein lebendiges Denkmal, vor allem aber feste Bezugsgröße innerhalb der Popkultur. Andere – etwa die Drehbuchautoren von „The Big Bang Theory“ – spielen dauernd auf „Doctor Who“ an, und „Doctor Who“ spielt dauernd auf die restliche (Kultur-)Geschichte an. Da tritt schon mal Elisabeth I. als liebestoller Backfisch auf, oder Aliens tragen die Amtskette des Lordkanzlers Heinrichs VIII., Kunstfreunden bekannt durch Hans Holbeins Porträt von Thomas Morus. Der Doctor reist gerne in Begleitung hübscher Erdenbürgerinnen. Die holt er am liebsten unverhofft und zu unmöglichen Zeiten ab, also nachts. Mehr als ein Ausflug beginnt für die menschliche Begleitung deshalb in Nachthemd und Morgenrock – genau wie die Abenteuer von Arthur Dent in „Per Anhalter durch die Galaxis“.
Legendär ist die Unbeholfenheit früher Trickaufnahmen. Der berühmte außerirdische, tennisspielende Pudding im „Sci-Fi-Sketch“ von Monty Python aus dem Jahr 1970 nimmt höchstwahrscheinlich irgendein Doctor-Who-Monster auf die Schippe. Und einmal halten Hugh Laurie und Stephen Fry in ihrer Sketch-Serie „A Bit of Fry & Laurie“ eine vergammelte Reinigungsmittelflasche in die Kamera und präsentieren sie großmächtig als Rauschiffmodell aus „Doctor Who“. Inzwischen sind die Effekte hochprofessionell, aber eine gewisse Selbstironie ist geblieben. Im Weihnachtsspecial 2014 etwa ähneln die außerirdischen Invasoren aufs Haar den Monstern aus „Alien“, worauf der Doctor denn auch ausdrücklich hinweist. In Staffel eins der Neuauflage reist der Doctor ins Jahr 5000 000 000, um dem endgütigen Ende der Erde beizuwohnen. In einer Raumstation haben sich Vertreter aller möglichen Spezies in sicherer Entfernung als Publikum zusammengefunden. Letztes gerettetes Kulturgut ist eine Jukebox (in intergalaktischer Ignoranz als „iPod“ bezeichnet), aus der ausgerechnet Boy George tönt.
Auf die Geschichten kommt es im Grunde nicht an. Das technische Kauderwelsch ist noch verworrener als bei „Star Trek“, es hat also wenig Sinn zu versuchen mitzudenken. Dauernd versucht irgendeine Spezies die Welt zu zerstören oder zumindest zu beherrschen. Das kann eine Intelligenz sein, die alles Plastik kontrolliert, das können Aliens sein, die in die Körper von Menschen schlüpfen, das können Wesen sein, die sich vom Hirn ihrer Wirtsmenschen ernähren und ihnen dabei angenehme Träume bescheren.
In letzterem Fall willkommene Gelegenheit, das Thema Realität zu diskutieren. Wenn also die Komponente Zeitreise auf die Komponente Traum im Traum im Traum trifft, wird es vollends unübersichtlich. Dann werden die Episoden zu dramaturgischen Matrjoschkas voll absurder Überraschungen.
Für den Zuschauer hat das etwas Entlastendes: Er kann sich einfach treiben lassen und den galligen Humor des Doctors oder den praktischen Witz seiner Begleiterinnen genießen.