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Der Weise und die Unwissenden der Pegida
Pegida-Demo in Dresden: „Die Leute, die gegen die Islamisierung des Abendlands demonstrieren, tun dies aus völligem Unwissen heraus“, sagt Regisseur Stückl.
Foto: Robert Michael/afp | Pegida-Demo in Dresden: „Die Leute, die gegen die Islamisierung des Abendlands demonstrieren, tun dies aus völligem Unwissen heraus“, sagt Regisseur Stückl.
KNA
 |  aktualisiert: 12.01.2015 12:07 Uhr

„Nathan der Weise“ gilt Generationen als Gotthold Ephraim Lessings Plädoyer für Toleranz zwischen den Religionen. Die ist derzeit so gefragt wie selten. Christian Stückl inszeniert „Nathan“ am Münchner Volkstheater (Premiere am 24. Januar). Im Interview spricht er über die Aktualität des mehr als 200 Jahre alten Stücks und die Angst vor einer angeblichen Islamisierung, die Pegida-Anhänger auf die Straßen treibt.

Frage: Lessing wollte sich mit dem „Nathan“ wieder seiner „alten Kanzel, dem Theater“ zuwenden. Wollen Sie sich nun wieder dem Theater als Kanzel zuwenden?

Christian Stückl: Unsere Arbeit ist immer eine Art von Kanzelrede. Wir stellen uns auf die Bühne und erzählen den Leuten Geschichten. Was anderes macht der Pfarrer auch nicht.

Schon Lessing wusste um die Brisanz des Stoffes, der sich mit Humanität und religiöser Toleranz auseinandersetzt. Er wünschte demjenigen Mut, der wagt, es aufzuführen. Brauchen Sie den auch?

Stückl: Ja. Wir sind in einer Situation, in der Leute aufstehen und sagen, sie hätten Angst vor einer Islamisierung des Abendlandes. Da erschrickt man und hat das Gefühl, die Türken stehen wieder vor Wien. In dem Stück wird sehr viel verhandelt. Der junge Tempelherr fragt irgendwann: Wer hat denn mit diesem Stolz angefangen? Das wart ihr Juden, und ihr habt diesen Stolz, den wahren Gott zu haben, auf uns Christen und auf die Muslime übertragen. Und jetzt sind wir darüber im Krieg.

Und heute?

Stückl: Heute kommen wir mit der offensiven Art der Muslime, wie die ihren Glauben leben, nicht zurecht. Es entspricht nicht unserem Zeitverständnis. Das Stück soll ein Beitrag sein, sich zu fragen, wie wir es doch schaffen könnten.

Schauplatz der Geschichte ist Jerusalem. Ein Ort, den Juden, Christen und Muslime für sich beanspruchen. Diese Stadt scheint Sie nicht loszulassen.

Stückl: Jerusalem ist ein total spannender Ort. Bei meinem letzten Besuch habe ich drei alte orthodoxe Juden im Gespräch vertieft stehen sehen, und auf der anderen Straßenseite saßen in einem Café drei alte Muslime. Die leben in einer Stadt, werden aber nie miteinander reden. Denn jeder misstraut dem anderen, jeder spricht dem anderen das Recht ab, die Wahrheit zu haben. In der Grabeskirche dann streiten sich mehrere christliche Konfessionen um die Altäre. Dieser Schmelztiegel von Religionen ist unglaublich. Jedes Mal geht man wieder verwirrt weg und denkt sich: Was machen wir da eigentlich?

Im Zentrum des „Nathan“ steht die Ringparabel, in der sinnbildhaft die drei Religionen Christentum, Islam und Judentum gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Legen Sie als Regisseur den Schwerpunkt darauf?

Stückl: Das Stück könnte auch „Der Tempelherr“ heißen oder, nach Stefan Zweig, „Verwirrung der Gefühle“. Da kommt ein junger Mensch, der für seinen Glauben kämpft, nach Jerusalem, wo Christen gegen Muslime kämpfen, und verliebt sich in eine Jüdin. Am Schluss erfährt er noch, dass sein Vater ein Moslem war. Legt man den Fokus nur auf die Ringparabel, übersieht man die anderen Geschichten.

Inwieweit fließen aktuelle Ereignisse in die Inszenierung ein?

Stückl: Das ist schwierig. Viele sagen, sie seien gegen Pegida, fügen aber im nächsten Augenblick ein „aber“ an. Wie groß ist unsere Bereitschaft, die Menschen zu integrieren? Wir versuchen sofort, den Ball abzugeben, und sagen: Die sind ja gar nicht bereit. Man darf nicht nur in den Mittleren Osten zeigen, wo gerade die IS-Milizen ihr Unwesen treiben. Es sind nicht alle Muslime so. Es gibt auch offene und aufgeklärte, ganz warmherzige. Die, die ich kenne, sind alle so und können alle gut Deutsch.

Muss die säkulare Gesellschaft lernen, sich um des lieben Friedens willen wieder intensiver mit Religionen zu beschäftigen?

Stückl: Die Leute, die gegen die Islamisierung des Abendlands demonstrieren, tun dies aus völligem Unwissen heraus. Ich nenne es eine „eigenartige Angst“, die nicht richtig beschrieben werden kann. Wenn man sich gegen etwas stellt, sollte man gut informiert sein und sich mit seinem Gegner auseinandersetzen.

Christen sollten also wissen, was sie glauben, um diskutieren zu können?

Stückl: Ja. Allerdings gehen uns auch in der katholischen Kirche die Leute ab, die es uns wirklich erklären könnten. Man hat das Gefühl, die eigentlichen Probleme, die wir in dieser Welt haben, werden gar nicht gesehen. Da wird debattiert, wer zur Kommunion gehen darf, aber nicht, was der Inhalt unseres Glaubens ist. Mittlerweile plädiere ich dafür, in Deutschland den Religionsunterricht in seiner jetzigen Form abzuschaffen und dafür einen solchen zu machen, in dem christliche, jüdische und muslimische Kinder miteinander in der Schule sitzen und über ihre Religion zu reden lernen. Auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse. In der Hand der Eltern bleibt es dann, ihren Kindern den jeweils eigenen Glauben zu vermitteln.

Christian Stückl

Christian Stückl (53) leitet seit 1987 die Passionsspiele seines Geburtsortes Oberammergau. Seit 2002 ist der ehemalige Assistent von Dieter Dorn und Volker Schlöndorff zudem Intendant des Münchner Volkstheaters. Als Gastregisseur inszenierte er unter anderem Hugo von Hofmannsthals „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen. FOTO: dpa

 
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