Mit Wielanden habe ich göttlich reine Stunden“, schrieb Goethe begeistert an Charlotte von Stein. „Das tröstet mich viel.“ Das empfanden viele in seiner Zeit, der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Christoph Martin Wieland, 1733 im schwäbischen Biberach geboren, galt als Star, der verwegene Dichter des Rokoko, der Dinge beim Namen nannte, Erkenntnisse propagierte, die zuvor verschwiegen blieben. Professor der Philosophie an der Universität Erfurt, ein Pionier der Aufklärung, ein Wegbereiter der Moderne, enzyklopädisch gebildet, weltgewandt, er sprach mehrere Sprachen und übersetzte unter anderem Shakespeare und historische Schriften. Vor 200 Jahren, am 20. Januar 1813, starb Wieland in Weimar.
Das Genie hat im kollektiven Gedächtnis der Deutschen keinen Platz mehr, sein Werk ist antiquarisch zum Spottpreis zu erwerben. Schon Friedrich Nietzsche urteilte einige Jahrzehnte nach Wielands Tod, der Dichter habe „besser als irgend jemand deutsch geschrieben“, fügte jedoch grimmig hinzu: „Aber seine Gedanken geben uns nichts mehr zu denken.“ Neben Goethe, Schiller und anderen Dichtern ist dieser Autor in der Wahrnehmung nicht mehr vorhanden.
Warum das Vergessen von einem, dessen Erkenntnisse weit reichten? Wieland wurde in seiner Zeit hoch verehrt, Goethe schrieb, neben Shakespeare „ist Wieland noch der einzige, den ich für meinen echten Lehrer erkennen kann“. Zwar war der damalige Erfolgsautor der erste deutsche Dichter überhaupt, der noch zu Lebzeiten eine Gesamtausgabe seiner Werke bekam. Doch ihre anspruchsvolle und bisweilen arg gewundene Sprache mit zahlreichen Anklängen an antike Stoffe verhinderte ein Weiterleben im Schulunterricht oder auf der Theaterbühne. Seine Übertragungen aus der Antike begeisterten bald nur noch ausgewiesene Wieland-Enthusiasten.
Einer von ihnen in der Gegenwart ist der Hamburger Literaturwissenschaftler und Mäzen Jan Philipp Reemtsma. Seinem hartnäckigen und finanzstarken Engagement ist die Sanierung des Wieland-Gutes in Oßmannstedt vor den Toren Weimars zu verdanken. Dorthin hatte sich Wieland 1797 mit seiner Familie zurückgezogen. Sein „Osmantinum“ machte er zur offenen Begegnungsstätte für große Geister seiner Zeit. Heinrich von Kleist und Sophie Brentano gingen dort ebenso ein und aus wie Georg Joachim Göschen, Friedrich Karl von Savigny, Johann Gottfried von Schadow oder Johannes Daniel Falk. Für Reemtsma ist das beschauliche Gut mit bunten Sommerblumen, Delfinbrunnen und alten Bäumen, mit Wielands Grab und der heutigen Gedenkstätte vor allem ein symbolischer Ort für die deutsche Spätaufklärung.
Was Wieland auf hohem intellektuellen Niveau erarbeitete, wurde für seine Nachfolger zu einer der ergiebigsten Quellen. So gründete Wieland die Literaturzeitschrift „Der Teutsche Merkur“, in der er 37 Jahre lang unermüdlich Autoren vorstellte, die wegen der kleinen Fürstentümer, aus denen Deutschland bestand, nicht übergreifend bekannt waren. Wieland bahnte den Klassikern den Weg. Er erfasste besser als die meisten, dass die Aufklärung neue Bedingungen für das kreative Gewerbe schuf, die gesellschaftliche Entwicklung konnte er exakt in der Sprache wiedergeben. Es war eine Zeit gewaltiger geistiger Umbrüche, eherne Gewissheiten gingen über Bord, neue, bislang ungeahnte Horizonte wurden ab den 1760er Jahren erkennbar. Wieland war es, der den deutschen Bildungsroman begründete. Ohne ihn wäre Goethes„Werther“ kaum vorstellbar gewesen.
Wieland zeigte, dass Experimentieren sich lohnte. Seine „Komischen Erzählungen“, kleine Versepen, waren erotisch aufgeladen, was ihm dem Beinamen „Wollustsänger“ bescherte. „Die Geschichte des Agathon“, mehr als 700 Seiten lang, war laut Lessing der „erste und einzige Roman für den denkenden Kopf von klassischem Geschmacke“. In Wien wurde das Buch von der Zensur verboten, in Zürich nicht gedruckt, es gab Zeitgenossen, die Wielands Werk verbrennen wollten. Zu viel Skepsis dem Althergebrachten gegenüber, zu viel Absage an die autoritäre Welt des Fürstentums, zu viele freie Gedanken waren darin.
Napoleon empfing Wieland in Erfurt und nannte ihn den „deutschen Voltaire“. Mit seinen Lehrgesängen auf die Natur, den Lobgesängen auf die Liebe und den „Moralischen Briefen in Versform“, aber auch mit Erzählungen, Psalmen, politischen Traktaten und Schauspielen erwies sich Wieland unablässig als Aufklärer. Wer seine „Beiträge zur geheimen Geschichte des menschlichen Verstandes und Herzens“ liest, entdeckt darin schon etwas von den dunklen Feldern, die Freud und andere später aufdeckten, aber auch „jene frohen reinen Gefilde der goldenen Zeit“, wie Goethe formulierte. Mit Informationen von epd
Christoph Martin Wieland
5. September 1733 in Oberholzheim bei Laupheim als Sohn eines Pfarrers geboren. Besuchte die Biberacher Stadtschule, das pietistische Internat im Kloster bei Magdeburg und erhielt wegen Hochbegabung Privatunterricht Mit zwölf Jahren erste Gedichte in verschiedenen Sprachen Ab 1750 Jurastudium in Erfurt
Ab 1759 Hauslehrer in der Schweiz, erste literarische Arbeiten
1760 Kanzleiverwalter in Biberach
1765 Heirat mit der Kaufmannstochter Dorothea von Hillenbrand
1766 Erziehungsroman „Die Geschichte des Agathon“
1769 Professor der Philosophie an der Uni Erfurt
1772 Hauslehrer des Prinzen Carl August in Weimar; Herausgeber der Zeitschrift „Der Teutsche Merkur“
1780 Roman „Die Geschichte der Abderiten“
20. Januar 1813 Wieland stirbt an einer Erkältung in Weimar