Fazil Say – ein in sich versunkener, beobachtender Erzähler am Klavier. Geht nicht? Geht doch! Er lebt die Brüche seines Lebens zwischen Orient und Okzident. Er ist gezeichnet und gebeutelt von den politischen Unruhen und gewaltigen Wogen der Zeit und gleichzeitig genesen – am Klang der Musik. Sein Konzert ist nichts für Puristen, für notengetreue Musikliebhaber. Die meisten der Meisterkonzert-Besucher in der Hochschule für Musik lieben ihn gerade dafür.
Der türkische Pianist interpretiert, er taucht ein in die Moll-gefärbte Welt dreier Nocturnes Chopins und Beethovens Appassionata, nimmt deren Werke mit in die Flut seiner inneren Brandung. Lässt sie wirken, spült sie wieder hoch, bannt und fasziniert mit variierendem Spiel. Chopins e-Moll-Nocturne Nr. 19: ein zärtlicher Hauch, so verinnerlicht gespielt, dass der Atem stockt. Ein Panoptikum an Gefühlen spiegelt sich in seinem Gesicht beim cis-Moll-Nocturne Nr. 20.
Koketter Erzähler
Beethovens 23. Sonate op. 57 in f-Moll spielt er als epischen Tanz, außerhalb des Trotts mit kraftvollen Bildern. Baut Spannung auf im Eingangssatz, summt jetzt auch wieder mal ein paar Laute dazu. Pastoral eröffnet er den Mittelsatz, bevor er den koketten Erzähler gibt. Immer wieder holt er sich ein Feedback von den Zuhörern, neigt sein Gesicht weg vom Klavier, schaut direkt ins Publikum. Ob es ihm noch folgen kann? Wie ein Kobold jagt Say durch das Presto des Finalsatzes. Purer Spaß am Spiel. Die Dynamik wird lauter, lustvoller, lebendiger – ein Fest für die Mitreisenden, die sich mitreißen lassen.
Bürgerrechtler am Klavier
Frenetischer Beifall zur Pause und danach die Six Gnossiennes von Erik Satie. Damit glättet Fazil die Wogen, bevor er sich als klangfarbenstarker Komponist präsentiert. Stark rhythmisiert mit spannenden Industrial-Sound-Tonfolgen eröffnet er seine Klavierbearbeitung des Klavierquintetts op. 72b „Yürüyen Köºk, Hommage a Atatürk“. Monumental, brutal, forciert zeichnet der Bürgerrechtler am Klavier das Attentat vom Oktober 2015 auf dem Bahnhof Ankaras nach. Die Klänge danach – tumb, verzagt, verzweifelt.
Spieluhrenähnliche Klänge schwellen im Finale an, verstärken sich und münden in dumpfen Tonclustern, die er – wie so oft – mit intensivem Pedalspiel verstärkt. Intensiver, aufgewühlter Beifall, den Fazil mit einer Zugabe belohnt, die die Klänge von Ost und West verwebt.