
Happy Birthday, Sarah“ lautet der Titel des „Tatorts“, den die ARD nächsten Sonntag, 1. Dezember, um 20.15 Uhr zeigt. Der in Gerbrunn bei Würzburg lebende Oliver Kienle führte Regie. Im Gespräch verrät der 31-Jährige auch, mit wem er gerne mal drehen würde.
Oliver Kienle (lacht herzlich): Hab' ich das gesagt, ja? Das passt insofern, als eine TV-Zeitschrift meinen „Tatort“ nun auch als Sozialdrama bezeichnet hat, was er aber in meinen Augen gar nicht ist. Natürlich kann man auf den Gedanken kommen, schließlich geht es um einen Mord an einem Sozialarbeiter in einem Jugendhaus, aber letztlich kommt mein „Tatort“ doch hoffentlich vor allem als Krimi rüber.
Kienle: Die Redakteurin beim Südwestrundfunk, die „Bis aufs Blut“ zur Finanzierung verhalf, und die SWR-Redakteurin, die für den Stuttgarter „Tatort“ zuständig ist, sitzen Tür an Tür. Und da der Stoff von „Happy Birthday, Sarah“ in der Jugendszene spielt, war es naheliegend, einen jungen Regisseur zu nehmen.
Kienle (lacht): Es passiert eigentlich bei jedem Dreh, dass ich mal von irgendjemandem angesprochen werde: „Ach, und Du bist der neue Praktikant. Was machst Du so?“ Ich sag' dann immer: „Ja, ja, so ähnlich, mir gefällt es ganz gut hier.“ Der erste Drehtag ist der entscheidende. Erstens habe ich eine klare Vorstellung davon, was ich will, und zweitens habe ich auch Manieren und bin höflich. Ich bin keiner der Regisseure, die wie ein Berserker am Set rumtoben. Ich rede mit den Schauspielern. Richy Müller und ich hatten schnell einen Draht, da musste ich mit der Zeit gar nicht mehr viel sagen. Einmal war es so, dass wir uns nach der Szene nur anschauten, und er sagte: „Hmmm, dieser eine Satz . . . Das machen wir noch mal, oder?“ Und ich habe nur genickt.
Kienle: Ich überlege mir, in eine Kneipe in Stuttgart zu gehen und ihn mir dort inkognito anzugucken.
Kienle: Klar, verkleiden muss ich mich nicht. Wenn ich in der Kneipe aufstehen und sagen würde: „Übrigens, der ,Tatort' ist von mir“, würde mir das doch kein Schwein glauben. Da müsste ich schon weißes Haar haben, 30 Jahre älter sein und einen roten Schal tragen (er lacht). Die würden mich auslachen: „Ja, ja, vielleicht warst Du als Komparse dabei.“
Kienle: Ich kategorisiere das ein wenig anders. Der größte Film aller Zeiten ist „Apocalypse Now“. Der wichtigste Film für mich war „Fight Club“. Mein Lieblingsfilm ist „25 Stunden“. Und der schönste Film ist „Chihiros Reise ins Zauberland“.
Kienle: Ich bin an meinem 18. Geburtstag, an dem ich was ganz anderes vorhatte, in der englischsprachigen Preview von „Fight Club“ gelandet. Der Film hat mich umgehauen. Ich dachte: Wie cool. Will ich auch machen.
Kienle: Eigentlich reifte der Entschluss schon, als ich angefangen habe zu schreiben. Ich habe sehr filmisch geschrieben, viel mit Dialogen, eine Lehrerin hat gemeint, es liest sich teilweise wie Drehbücher. Als ich 19 war, kamen die Digitalkameras auf, zu einem Preis, den man sich auch leisten konnte, man konnte dann selber schneiden am Computer. Mit 19 habe ich meinen ersten Kurzfilm gedreht. Aber das Gefühl, die Lust, einen Film zu machen . . . (er denkt nach) . . . Als ich zehn war, habe ich schon mit meinem Bruder Filme gemacht, mit der Videokamera. Das hat sauviel Spaß gemacht. Vielleicht ging's da schon los.
Kienle: Mads Mikkelsen finde ich großartig . . .
Kienle: Ja, aber der hat noch viel tollere Rollen gehabt, jetzt ist er ja „Hannibal“ in der Fernsehserie. Haben Sie „Die Jagd“ gesehen?
Kienle: Genau. Ein ganz großartiger Film . . . (er überlegt) . . . Philip Seymour Hoffman ist auch klasse oder Joaquín Phoenix . . .
Kienle: . . . dass da kein Robert De Niro dabei ist?
Kienle: Weil er durch ist. Ich glaube, dass jeder Schauspieler, auch jeder Regisseur irgendwann seinen Zenit überschreitet. De Niro hat seit über zehn Jahren keinen gescheiten Film mehr gemacht.
Kienle: Na ja, wenn Hollywood ruft, kann man nur schwer Nein sagen.
Kienle: Das ist doch kein Widerspruch. Es gibt doch nichts Schlimmeres als einen „Tatort“, bei dem ich das Gefühl habe, ich bin klüger als die Kommissare. Und das passiert beim „Tatort“ oft. Was die teilweise machen, ist hanebüchen. Es ist ein Problem, wenn es einerseits vom Drehbuch her zu komplex wird, was häufiger auch beim „Tatort“ vorkommt. Und andererseits wenn ständig Informationen wiederholt werden, weil geglaubt wird, der Zuschauer habe es beim ersten Mal noch nicht begriffen.
Kienle: Telefonieren nennt man das in der Drehbuchsprache. Wenn man Angst hat, der Zuschauer hat immer noch nicht kapiert, dass jemand traurig ist, dann nimmt der das Telefon und sagt: „Hallo, Du ich muss Dir sagen: ,Ich bin total traurig.'“ Wenn in einem Dialog ständig Infos transportiert werden . . . sehr unelegant (er lacht).
Kienle: Vielleicht ist überfordern auch das falsche Wort, klingt so negativ. Eher herausfordern. Oder zumindest nicht für dumm verkaufen. Ein Zuschauer muss selber Erkenntnisse haben. Bei „Die Jagd“ weiß man, wohin die Reise geht, wenn das Mädchen einmal sagt: „Er hat mir den Pimmel gezeigt.“ Und wenn wir dann die Kindergartenleiterin sehen, die Mikkelsen anguckt, einfach nur anguckt . . . Das reicht völlig. Wir wissen alle, was in ihrem Kopf losgeht. In vielen deutschen Filmen würde sie ihre Freundin anrufen und sagen: „Du, ich habe da einen Verdacht.“ Völlig überflüssig. Das meine ich mit herausfordern. Ich will als Zuschauer eine Eigenleistung bringen, selber eine Erkenntnis haben.
Kienle: Ich muss gestehen, dass ich immer weniger Arthouse angucke. Es reizt mich nicht mehr. Sowohl im Mainstream als auch im Arthouse ist in den letzten zehn Jahren nicht viel passiert, jedenfalls nichts, was man nicht schon gesehen hat. Genauso wie der Mainstream sich nur noch mit Comicverfilmungen und Fortsetzungen verkauft, verkauft sich der Arthousefilm. Ich habe so viele Arthousefilme gesehen, bei denen ich schon nach 'ner halben Stunde dachte, dieses ständige Suggerieren von Bedeutsamkeit, von Inhaltlichkeit, von Themenkomplexen . . . Und am Ende sitzt du da und denkst Dir: Hmmm, irgendwie hat mir „Dirty Harry“ letztlich mehr erzählt. Da hatte ich mehr Erkenntnisse.
Kienle: Ich habe verstanden, dass der Cop härter sein muss als die Gangster, um die kriegen zu können. Das ist eine Erkenntnis.
Kienle: Der „Tatort“ hat seit Ende letzten Jahres Monsterquoten, selbst die, die wirklich nicht gut waren. Wenn es bei meinem „Tatort“ weniger als neun Millionen wären, dann wäre ich schon ein bisschen enttäuscht.
Oliver Kienle
Der Regisseur, geboren am 26. Januar 1982 in Dettelbach, aufgewachsen in Rödelsee (beides Lkr. Kitzingen), schrieb bereits als Jugendlicher Kurzgeschichten, Dramen und Romane, er zeichnete Comics und komponierte Musik. Nach dem Abitur studierte er ein Jahr lang Germanistik in Würzburg. 2004 begann Kienle ein Regiestudium an der Filmakademie Baden-Württemberg. Seine Diplomarbeit, das Jugenddrama „Bis aufs Blut", das in Würzburg und Umgebung spielt und 2009 dort gedreht wurde, lief auf zahlreichen Festivals und wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet. Fürs Drehbuch zum Film erhielt er den mit 25 000 Euro dotierten „Thomas Strittmatter Preis“. Tbr