Fast 30 Jahre lang saß der französische Adelige Donatien Alphonse François Marquis de Sade wegen Unzucht hinter Gittern. In der Haft schrieb er sich seine gewalttätigen sexuellen Fantasien von der Seele.
Paläste und Schlösser sind die Bühne seiner Kindheit, denn seine Mutter ist über eine Seitenlinie mit dem französischen Königshaus der Bourbonen verwandt. Donatien-Alphonse-François Marquis de Sade wird am 2. Juni 1740 in einem Pariser Stadtschloss geboren. Sein Vater, ein am Hof in Ungnade gefallener Feldmarschall und Botschafter aus provenzalischem Adel, liebt die Literatur, schreibt selbst Theaterstücke und Romane. Seinen Sohn, der schon als sehr junger Mann so außergewöhnlich hübsch gewesen sein muss, dass sich die Damen auf der Straße nach ihm umdrehten, vertraut er zunächst Jesuiten zur Ausbildung an. Dann muss der 17-Jährige als Offizier in den Siebenjährigen Krieg gegen die Preußen ziehen.
Als sich die französischen Soldaten für die katastrophale Niederlage rächen, indem sie raubend, brandschatzend und vergewaltigend durch die deutschen Lande ziehen, bekommt der junge Marquis Geschmack an extremen Vergnügungen. Von Glücksspiel, Alkohol und Frauen kann er auch nach dem Krieg nicht lassen. Pariser Bordelle und Spielhöllen werden sein zweites Zuhause; keine Frau – ob adelig oder von niederer Herkunft – ist vor ihm sicher.
Die von den Eltern arrangierte Heirat mit der älteren Tochter einer sehr vermögenden Pariser Beamtenfamilie – eigentlich liebte er aber deren jüngere Schwester – macht ihn reich. Nun kann er sein ausschweifendes Leben, das selbst in den Augen liberal eingestellter Adeliger als skandalös gilt, problemlos finanzieren. In seinen zahlreichen Palästen empfängt er Kurtisanen und Schauspielerinnen, aber auch Frauen aus dem einfachen Volk, die bereit sind, seine oft abseitigen sexuellen Wünsche zu erfüllen. Darunter sind auch „gotteslästerliche Handlungen“, die den Argwohn der Behörden erregen und zu seiner ersten Verhaftung führen. Damals ist de Sade erst ein halbes Jahr verheiratet; seine Frau Renée-Pélagie erleidet vor Gram eine Fehlgeburt.
Die Hölle seiner Perversionen
All das hält de Sade nicht davon ab, noch tiefer in die Hölle seiner Perversionen hinabzusteigen. Nachdem ihn eine Schauspielerin verlassen hat, weil er ihr das gewünschte luxuriöse Leben nicht mehr finanzieren kann, stürzt er sich mittels sexueller Orgien ins Vergessen. Dazu lädt er adelige Frauen und Männer nach Paris und auf seinen Landsitz in Lacoste ein. Auch Prostituierte sind mit von der Partie; ebenso Untergebene und Dienstboten, die unter Zwang teilnehmen müssen. Völlig verängstigt und mit zerrissenen Kleidern vertraut eine arbeitslose junge Frau im Jahr 1768 der Polizei an, was sich eben im Hause des vornehmen Herren abgespielt hat: De Sade habe sie gewaltsam entführt, gefesselt, vergewaltigt und sechs Mal blutig gepeitscht. Der König persönlich setzt sich für seinen Verwandten ein: De Sade erhält für seine Straftat nur eine Festungshaft, der er sich durch Flucht entzieht.
Seine Sexsucht wird de Sade schließlich zum Verhängnis, als er sich in Aix-en-Provence mit mehreren Prostituierten zu einer Prügelorgie verabredet und sie mit einem Aphrodisiakum fast vergiftet. Die Frauen eröffnen den Behörden, der Marquis habe sie zu Gruppensex und Analverkehr gezwungen. De Sade wird daraufhin zum Tode durch das Schwert verurteilt – in Abwesenheit, denn er ist bereits auf der Flucht nach Italien. Dieses Mal in Begleitung seiner blutjungen Schwägerin Anne-Prospere, die gerade als Stiftsfräulein von der Klosterschule zurückgekehrt ist. Ein Skandal, für den seine Schwiegermutter durch einen königlichen Haftbefehl Genugtuung fordert. Nach seiner Rückkehr nach Paris wird der Marquis verhaftet und zunächst in der Festung Vincennes, nach einem erneuten Fluchtversuch schließlich in der Bastille interniert.
In der Abgeschiedenheit der Bastille schreibt de Sade seine zentralen Werke, nachdem er bereits Reiseliteratur über Holland und Italien veröffentlicht hat. „Die 120 Tage von Sodom“ und „Justine oder Die unglücklichen Schicksale der Tugend“ berichten zwar von sadistischen und blasphemischen Ausschweifungen, enthalten aber auch eine Vielzahl von philosophischen Betrachtungen, die die Werke über ihren pornografischen Aspekt hinaus interessant machen. Der französische Autor Gustave Flaubert etwa rühmt de Sade im 19. Jahrhundert vor allem für seine von den Aufklärern Montesquieu und Voltaire beeinflussten Einsichten in Geschichtsphilosophie und Moral.
In der Irrenanstalt
Seine Werke seien Zeugen einer tiefen Einsicht in die zyklische Wiederkehr und den Verfall von Gesellschaften, die von Korruption, Geldgier und Egomanie beherrscht sind. In den Wirren der Französischen Revolution wird de Sade mehrmals interniert und aus der Haft entlassen, in eine Irrenanstalt eingeliefert, seiner Güter beraubt und zum Richter der Revolutionsregierung ernannt. In dieser Funktion rettet er seine Schwiegereltern vor der Guillotine. Erneut selbst zum Tod verurteilt, rettet ihm der Sturz Robespierres das Leben. Er verarmt zusehends; von seinen vereinzelt publizierten Schriften und Raubdrucken der „Justine“ kann er nicht leben. Schließlich werden seine Bücher beschlagnahmt und verbrannt.
De Sade verbringt seine letzten Jahre in der Irrenanstalt von Charenton, wo er zunächst noch schreiben und Theaterstücke aufführen darf – allerdings nicht seine eigenen –, dann aber mit Schreibverbot und Isolationshaft belegt wird. Am 2. Dezember stirbt der Marquis de Sade im Alter von 74 Jahren. Ob Horrorfilm, Sozialdarwinismus, Psychoanalyse oder Sexualstrafrecht – der Einfluss des umstrittenen Querdenkers auf die Literatur und Philosophie der Moderne ist nicht zu unterschätzen. Und eine differenzierte Sicht auf sein Werk lohnt sich allemal.