Um ein Haar hätte er „non“ zu Wolfgang Wagner gesagt. Fast hätte er die unbezweifelbare Ehre für einen Opern- und Theaterregisseur ausgeschlagen, zum 100-jährigen Bestehen der Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth 1976 den „Ring des Nibelungen“ auf die Bühne zu bringen.
Einen guten Grund hatte Patrice Chéreau aber für sein Zögern: „Die Zeit der Proben war zu kurz. Ich glaubte, dass ich nicht die Kraft haben würde, das zu schaffen. Es erschien mir unmöglich.“
Dennoch machte er sich an die Arbeit – und der von ihm inszenierte „Jahrhundertring“ wurde legendär. Da war Chéreau gerade einmal 31 Jahre alt und hatte erst zwei Opern auf die Bühne gebracht. Weil zuvor Größen wie Ingmar Bergman, Peter Brook und Peter Stein Wolfgang Wagners Anfragen verneint hatten, kam dieser über den Komponisten Pierre Boulez auf Chéreau.
Erfolgreich auch als Filmemacher
In einer Dokumentation über das „Making of“ dieses vierteiligen Opernzyklus erzählt der französische Regisseur selbst von jener Phase, von seinen Zweifeln, bis der Mut schließlich überwog. Ausschnitte davon zeigt eine Ausstellung über ihn im Palais Garnier, der alten Oper von Paris – dieser majestätische Ort allein lohnt den Besuch.
Die Hommage an den französischen Film-, Opern- und Theaterregisseur, Drehbuchautor und Schauspieler konzentriert sich auf elf große von ihm inszenierte Singspiele – Bekanntheit erlangte Chéreau aber auch durch Filme wie „Intimacy“, mit dem er 2001 den Goldenen Bären der Berliner Filmfestspiele gewann.
Das „Revolutionäre“ an seiner Arbeit bestand gerade in der Vermengung von Genres und wie er in die Welt der Oper jene des Theaters eindringen und die Sänger wie Schauspieler auftreten ließ. Der Regisseur, der 2013 im Alter von 68 Jahren an Lungenkrebs starb, verweigerte sich der traditionellen Vorgabe, das Geschehen auf der Bühne habe systematisch der Musik zu folgen.
Diese Vision brachte ihm bei seiner Version des „Ring des Nibelungen“ in Bayreuth zunächst scharfe Kritik ein. „Skandalös“ fanden seine Gegner, wie er Richard Wagners vierteilige Saga entmystifiziert habe, sie auf eine „marxistische Lesart“ reduziere und durch seine theatralisch Aufführung mit der bis dahin am „Grünen Hügel“ vorherrschenden abstrakten und symbolischen Ästhetik brach. Ein Erfolg wurde sie trotzdem. Aufnahmen von einigen der kraftvollen und spektakulären Szenen werden in der Pariser Ausstellung gezeigt.
Auch erhält der Besucher Einblick in Chéreaus Arbeit mit den Sängern, die er leitete und führte, um der Oper die Kraft eines „vergrößerten Theaters“ zu geben, „getragen von der Glut durch die Musik, wie das Schwert von Siegfried“, wie er es ausdrückte. Fotos, Skizzen, Briefe und Partitionen vervollständigen das Bild über Chéreau, der sich als Sohn einer Zeichnerin und eines Malers früh für Kunst, Kino und Theater interessierte und bereits als 24-Jähriger seine erste Oper auf die Bühne brachte.
Das „Tristan“-Problem Es folgten 1974 eine Offenbach-Inszenierung in der Pariser Garnier-Oper, später „Lulu“ von Alban Berg, Mozarts „Lucio Silla“ sowie Alban Bergs „Wozzek“ in der Zusammenarbeit mit Daniel Barenboim, der ihm künstlerisch sehr nahestand. Von 2007 bis 2010 inszenierte Chéreau sogar Richard Wagners „Tristan und Isolde“, nachdem er Jahre zuvor in einem Briefentwurf an Wolfgang Wagner schrieb, dieses Stück nicht in Bayreuth zu machen.
„Denn jetzt haben wir zu lange von diesem Projekt geträumt – und was habe ich davon geträumt –, dass die Lust darauf weg ist und dass ich mir – leider ohne Nostalgie – sage, dass es vielleicht eine Oper ist, die ich nie machen werde.“ Einmal mehr hatte sich Patrice Chéreau selbst überwunden und überrascht.
Die Ausstellung über Leben und Werk von Patrice Chéreau ist noch bis 1. März in der Pariser Garnier-Oper zu sehen. Der Besuch lässt sich verbinden mit einer Besichtigung des Opern-Palais.