Ein spektakulärer Gerichtsstreit um ein Testament steht im Mittelpunkt des neuen Romans von John Grisham (59). Ein reicher, todkranker Unternehmer hat sich das Leben genommen. Seine Kinder, schon lange von ihm entfremdet, freuen sich bereits auf eine Millionen-Erbschaft, aber dann kommt alles ganz anders.
Der alte Mann hat am Tag vor seinem Selbstmord ein neues Testament geschrieben, in dem er seine Kinder vom Erbe ausschließt und stattdessen fast alles seiner Haushälterin hinterlässt. Dieses handschriftliche Testament schickt er an den jungen Anwalt Jake Brigance und erteilt ihm den Auftrag, alle juristischen Mittel zu ergreifen, damit sein letzter Wille umgesetzt wird.
Jake Brigance ist ein alter Bekannter für Grisham-Leser. Er war der Anwalt, der in „Die Jury“ einem schwarzen Angeklagten in einem Mordprozess vor einem weißen Gericht das Leben rettete. Für den neuen Roman ist er die ideale Figur, denn die Handlung spielt 1988 in den ländlichen Regionen des Südstaats Mississippi, und die Erbin ist schwarz.
Selbstverständlich fechten die zerstrittenen Kinder das neue Testament an. In kürzester Zeit versammelt Grisham ein breites Spektrum unterschiedlichster Anwaltstypen um den Fall. Arrogante Großstadtanwälte, denen es nur um ein leicht verdientes riesiges Honorar geht, mischen sich ebenso ein wie Anwälte, die jeden Fall annehmen müssen, um ihre Rechnungen bezahlen zu können.
Von vornherein ist klar, dass es um weitaus mehr geht als um einen Erbschaftsstreit. Ein befreundeter Anwalt fasst für Jake die Ausgangslage zusammen: „In Mississippi geht es immer um die Rassenfrage. Eine einfache schwarze Frau, die im Begriff ist, das größte Vermögen zu erben, das dieses County je gesehen hat – und die Entscheidung liegt bei einer Jury, die überwiegend aus Weißen besteht.“ Gleich zwei zentrale Fragen müssen Brigance und die anderen Anwälte beantworten: Hat die Haushälterin den alten Mann in unzulässiger Weise beeinflusst, so dass das Testament für ungültig erklärt werden kann? Oder gibt es einen anderen Grund, warum das Vermögen ausgerechnet an die Haushälterin gehen soll?
Grisham entwickelt um diesen Erbschaftsstreit eine äußerst muntere Handlung voller Dramatik und überraschender Wendungen. Die juristische Auseinandersetzung ist immer präsent, aber sie steht nie für sich. Das Thema Rassismus ist ebenso gut integriert wie der Streit zwischen den Generationen, Missgunst und historische Schuld.
Auch die Zeichnung der Figuren ist in „Die Erbin“ so überzeugend wie immer bei Grisham. Bis in die Nebenfiguren hinein ist es ihm gelungen, Figuren zu schaffen, denen man abnimmt, im amerikanischen Süden des Jahres 1988 zu leben. Nur ausgerechnet Jack Brigance ist ein wenig zu gut geraten. Er ist etwas zu selbstlos, zu bescheiden und zu frei von Fehlern dargestellt, um noch realistisch zu sein.
Nach einem modernen Abenteuerroman wie „Das Komplott“ aus dem vergangenen Jahr überrascht „Die Erbin“ als Schritt zurück in die Vergangenheit, sowohl hinsichtlich der Handlungszeit als auch durch die Rückkehr zum Genre des Justizthrillers. Hier zeigt Grisham, dass er auch 25 Jahre nach dem Erscheinen von „Die Jury“ immer noch ein unübertroffener Meister ist.
John Grisham: Die Erbin (Heyne, 704 Seiten, 24,99 Euro)