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FERNSEHEN
Der Meister des Scheiterns: "Loriot"
In Serie: In einer Reihe von Artikeln beschäftigen wir uns feuilletonistisch mit alten und neuen Fernsehserien. Heute: Loriot oder So viel mehr als Nudel und Plastikente.
Ach was?! Bernhard-Viktor Christoph Carl von Bülow alias Loriot auf seinem legendären Biedermeiersofa.
Foto: dpa | Ach was?! Bernhard-Viktor Christoph Carl von Bülow alias Loriot auf seinem legendären Biedermeiersofa.
Von unserem Redaktionsmitglied Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 23.02.2015 12:05 Uhr

Eine Lieblingsthese der Loriot-Verehrung hierzulande lautet, er, Loriot, habe die Deutschen gelehrt, über sich selbst zu lachen. Sollte das stimmen, dann war der Lerneffekt nicht allzu nachhaltig. Oder warum sonst würde der Inbegriff deutscher Komik heute im gespielten Witz mit vorhersehbarer Pointe bestehen? Anders gefragt: Warum sollte ein Gemeinwesen, das vorgibt, seit Loriot über sich selbst lachen zu können, aus freien Stücken hintergründige Komik durch eine nicht abreißenwollende Comedyflut vom Fließband ersetzen?

Nun, dass sich bis heute kein annähernd ebenbürtiger Nachfolger für den großen Weisen Vicco von Bülow (1923–2011) gefunden hat, kann man weder der einen noch der anderen Seite anlasten. Dass die Deutschen aber offensichtlich so wenig von ihm gelernt haben, ausschließlich ihnen selbst.

Freilich hat er sich kaum als Lehrmeister gesehen. Auch hat er wohl weniger sich selbst als vielmehr die Welt gesehen, die ihn umgab. Und sie kommentiert – in Cartoons, Zeichentrickfilmen, Sketchen, Operninszenierungen und zwei Kinofilmen. Über Letztere (1988 und 1991) ist damals viel gemeckert worden: Loriot, der Sketchautor, sei nicht mit dem – großen – Format Kino zurechtgekommen und ähnlicher pseudofeuilletonistischer Unsinn. Die Filme sind Meisterwerke, und wer sie nicht mochte, war wohl eher darüber enttäuscht, dass nicht ständig eine Nudel in jemandes Gesicht klebte oder eine Zimmereinrichtung zu Bruch ging.

Seinen Ruhm begründet haben aber seine gerade einmal sechsteilige Serie „Loriot“ von 1976 bis 1978 und die vier Geburtstagsspecials zum 60., 65., 70. und 80. Geburtstag. Während die eigentliche Serie Schauplatz unsterblicher Klassiker wie „Liebe im Büro“, „Lottogewinner“, „Astronaut“, „Vertreterbesuch“ oder „Zimmerverwüstung“ war, boten die Specials Raum für eine höchst listige Form der Selbstreferenzialität. Denn er selbst konnte sehr wohl über sich lachen, etwa, wenn er vorgab, den grotesken Ehrungen, die da über ihn ausgekippt wurden, geistig gar nicht mehr folgen zu können. Oder wenn, angesprochen auf Evelyn Hamanns wunderbare „Englische Ansage“ zu einer ziemlich unübersichtlichen englischen Adelsserie, der – vorgebliche – Ärger über deren überragende Leistung nur so aus ihm herausbrach.

Loriot, der hochgebildete Intellektuelle, der passionierte Wagnerianer, der Meister der kaum wahrnehmbaren Anspielung, gehört heute zum Kanon deutscher (Fernseh-)Kultur, und das längst nicht nur in Intellektuellenkreisen. Es muss nur mal wieder irgendwo eine Wiederholung gelaufen sein, schon zitieren alle tags darauf Zeilen wie „Sagen Sie jetzt nichts, Hildegard“, „Die Ente bleibt draußen“ oder „Wenn meine Frau Klöße zubereitet, sind sie leicht und bekömmlich“. Oder sie tun ihre Absicht kund, mit dem Papst eine Herrenboutique im Vatikan eröffnen zu wollen. Das reicht in der Regel, um jede beliebige Runde in heftiges Wiehern zu versetzen. Warum das alles so lustig ist, leuchtet so gut wie jedem ein, obwohl vermutlich nicht jeder die gleichen Gründe dafür anführen wird.

Ein wichtiges Leitmotiv ist das Scheitern, ganz nach der Weisheit Mark Twains, dass es immer am allerlustigsten ist, wenn einer auf den Arsch fällt. Loriots Figuren fallen auf unendlich viele Arten auf den Arsch. Sie scheitern an ihrer eigenen Verklemmtheit, an den eigenen Ansprüchen, an denen der vermeintlich besseren Gesellschaft. Sie scheitern beim Versuch, mehr darzustellen, als sie tatsächlich einlösen können, oder daran, Regeln zu befolgen, die sie nicht richtig verstanden haben. Sie scheitern sogar, wenn sie einfach nur eine Kalbshaxe Florida essen oder ein Bild geraderücken wollen.

Klingt furchtbar deprimierend, ist es aber nicht. Denn diese Figuren haben es alle irgendwie verdient, und Loriot kannte uns gut genug, um zu wissen, dass mit unserem Mitleid nicht gerechnet werden musste. Wer so vernagelt ist wie der Kunde in der Kleintierhandlung, der kriegt eben eine tote Maus angedreht – als kuscheligen Partner („sehr schön im Fell“), der mit ihm durch dick und dünn geht. Gescheiterte, oder zumindest Gefangene ihrer eigenen Manierismen, sind auch die Heerscharen der Fernsehleute, die Loriot parodiert, von Grzimek bis Merseburger über all die unglückseligen Interviewer, die sich mit englischen Königinnen, falschen Astronauten oder echten Gruseldarstellern blamieren. Und ganz nebenbei zeigt sich, dass sich bis heute nichts geändert hat: Immer noch verzapfen „Experten“ Kauderwelsch, immer noch ist der „Mann von der Straße“, der „Kleinsparer“, der „Wähler“ bestenfalls Staffage, schlimmstenfalls Schießbudenfigur.

Und dann ist da noch die pure Lust an der Dekonstruktion. Der Staubsaubervertreter (jaja, wo Mutti sonst nur blasen kann) hat keine Chance. Im Gegensatz zu Familie Hoppenstedt, die schon gar nicht mehr wahrnimmt, dass ihr Weihnachten ein Alptraum ist, erlebt er sein Desaster bei vollem Bewusstsein. So wie jener andere Zeitgenosse, der in weniger als zwei Minuten ein Zimmer komplett verwüstet. Es gibt Menschen, die ertragen die apokalyptische Dimension dieses Sketchs nicht. Aber wenn man ruft, „das Bild hängt schief“, dann müssen sogar sie lachen.

 
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