
Mehr als zwölf Jahre hat er darauf hingearbeitet. Zweimal stand er kurz davor, nur 17 verkaufte CDs fehlten 2012 zum Sprung unter die besten Zehn der Deutschen Albumcharts. Nun hat er es geschafft: Mit der Dresdner Rockband Letzte Instanz steht der Bassist Michael Ende derzeit auf Platz vier der Hitliste. Durchbruch mag der Würzburger den Erfolg nicht nennen. Eine Chance sei es aber, eine hinter der harte Arbeit steckt.
Ende blickt konzentriert auf den Bildschirm des Audio-Computers. Seine Finger gleiten routiniert über die Saiten des Basses, die Muskeln am Unterarm bewegen sich mit jedem Ton. Hier, in dem kleinen Würzburger Studio, hat er die Basspuren zum neuen Album „Liebe im Krieg“ aufgenommen. Er klickt mit der Maus, öffnet eine neue Datei. Der Rhythmus des Schlagzeugs erklingt. Ein zweiter Klick fügt Klavier und Streichinstrumente dazu, dann der Gesang. Am Ende dröhnt eine kurze Sequenz von „Wir sind eins“ aus den Boxen, einem der Titel des Platz-vier-Albums.
Bei Youtube ist der Song bisher mehr als 65 000 Mal angeklickt worden. Auf die Fans war im Netz Verlass, genauso wie bei der Veröffentlichung der Platte am vergangenen Freitag. „Wir kommen aus einer Subkultur, sind viel in der Gothic-Szene unterwegs, deshalb wird man im Radio kaum gespielt“, sagt Ende. Um in die Charts zu kommen, müssen die Fans mobilisiert werden, muss die Vermarktung stimmen und die Werbekampagne den Geschmack treffen. Das scheint gelungen, endlich.
„Ich werde mir jetzt keine Villa kaufen.“
Zahlen, wie viele verkaufte CDs Platz vier im Sommer bedeutet, gibt es noch nicht. „Es heißt nicht mehr so viel wie vor zehn, zwanzig Jahren“, sagt Ende. Trotzdem hält er die Albumcharts nach wie vor für eine wichtige Kennziffer der Musikindustrie.
Das Streaming mache allerdings allen Künstlern zu schaffen, finanzieller Reichtum springe heute bei Chartplatzierungen nicht unbedingt heraus. „Ich werde mir jetzt auch kein größeres Auto kaufen und keine Villa“, grinst der 45-Jährige. Die Aufmerksamkeit, die die Top-Ten-Platzierung bietet, wollen er und seine Bandkollegen jedoch nutzen, um einem breiteren Publikum bekannt zu werden.
Jeden Tag ist Ende im Moment für die Letzte Instanz unterwegs. Promotion soll erledigt, PR-Termine erfüllt, Interviews gegeben und daneben auch noch geprobt werden. „Wenn man von irgendwas leben will, muss man sich vermarkten“, sagt Ende. Diese Woche sei für ihn wie ein Zeitfenster, in der der überraschende Chartplatz die Band aus der Subkultur herausgeholt und auf die „ganz große Bühne“ gebracht hat. Wie lange sie dort im Rampenlicht bleibt, ist offen, die Albumcharts werden wöchentlich aktualisiert.
Normalerweise teilt Ende seinen Alltag zwischen eigenen Bandauftritten und Lehrtätigkeiten auf. Er hat eine halbe Stelle als Referent für christliche Popmusik in Bayern inne, lehrt an der Hochschule Ansbach und gibt Seminare an der Musikakademie in Hammelburg. Alles auf eine Band zu setzen, das passt nicht zu dem gebürtigen Oberfranken. Von Traumkarrieren, den in den Medien gefeierten Senkrechtstartern, die von Null auf den Spitzenplatz der Charts schießen, hält er wenig. „Das hat für mich nichts mit einem soliden Werdegang als Musiker zu tun, das ist eher so die Glücksspielabteilung“, sagt der 45-Jährige und streicht sich mit der Hand durch den Kinnbart, in dem es vereinzelt silbern blitzt.
Eine Band ist immer auch ein Kompromiss.
Für Ende war der Weg zum Erfolg ein langer. Mit 14 begann er sich für Musik zu interessieren, zwei Jahre später hat er sich den ersten E-Bass gekauft und konnte „kaum drei Töne greifen, schon habe ich in einer Band gespielt“. Nach dem Abitur studierte er zunächst christliche Religionspädagogik in München, nahm nebenbei „jede Bühne mit“, die sich auftat. Nach dem Referendariat setzte sich die Musik in seinem Leben durch, er besuchte die Future Music School in Aschaffenburg und begann schließlich ein Jazz-Studium in Würzburg.
2004 suchte die Letzte Instanz einen neuen Bassisten und Ende sagte zu. Nur wie passt die christliche Prägung zu einer Band, die ihren Stil als „Brachialromantik“ beschreibt?
„Ich mag unsere Musik“, sagt Ende schlicht. Privat höre er Funk und elektronische Musik, trotzdem hat er sein Leben lang in Rockbands gespielt und Kirchengruppen unterstützt. Ein Konflikt ist der Gegensatz für ihn nicht. „Ich war schon immer jemand, der das komplette Spektrum der Musik abdecken wollte.“ Und das Erlebnis, auf großen Bühnen zu stehen, vor 30 000 Leuten zu spielen, das schaffe man gerade in Deutschland mit Funk eben nicht.
Mit Rock schon. Im Herbst geht die Letzte Instanz mit „Liebe im Krieg“ auf Tour. Auf dem Holztisch im Tonstudio liegen Flyer mit den Terminen, an den Wänden hängen Endes Instrumente. Mehrere Bässe, E-Gitarren, eine Bass Ukulele mit einem aufgemalten Gecko. Endes Interesse an der Musik passt nicht in eine Schublade, die rockige „Brachialromantik“ der Letzten Instanz ist nur ein Aspekt.
Eine Band, sagt der 45-Jährige, sei immer auch ein Kompromiss. Auf dem neuen Album höre man „vom Bass zum Beispiel nichts Virtuoses“. „Ich habe wirklich Null Selbstverwirklichung betrieben sondern einfach nur diese Songs ganz gerade eingespielt“. Ein Problem habe er damit nicht, sagt Ende. In der Band muss sich das Musikerego unterordnen, in anderen Projekten, etwa als Duo mit dem Schlagzeuger der Letzten Instanz, kann er es ausleben. Der Würzburger schlingt den Trageriemen des Basses über die Schulter und schließt das Instrument an. Die Töne brummen durch den niedrigen Raum. Auch im Duett will er bald auf Bühnen stehen, eine Platte soll veröffentlicht werden. Platz vier in den Charts, diese Chance will er nutzen.