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BERLIN
Der Kampf um Würde und die unbändige Kraft von Emotionen
dpa
 |  aktualisiert: 15.12.2015 14:40 Uhr

Norman Moonbloom ist ein gescheiter Gescheiterter. Gedankenverloren hat er 14 Jahre lang an verschiedensten US-Universitäten studiert, auf der Suche nach Gott und sich selbst. Gefunden hat er nicht viel, doch dem 33-Jährigen macht das nichts aus. Als Mieteintreiber für seinen erfolgreicheren Bruder Irwin hat er sein Leben in benommener Behaglichkeit eingerichtet. „Ich bin eigentlich nur halb lebendig“, sagt er zu Beginn des Romans „Mr Moonbloom“.

Seinem Schöpfer, dem jüdisch-amerikanischen Schriftsteller Edward Lewis Wallant, hat er dennoch viel voraus: Wallant starb 1962 mit nur 36 Jahren an den Folgen eines Gehirnschlags. Bis dahin gehörte er mit Philip Roth, Norman Mailer und Saul Bellow zu einer illustren Schar vielversprechender US-Nachkriegsautoren. „Mr Moonbloom“ ist sein dritter Roman, der 1963, ein Jahr nach seinem Tod, erschien. Fast 50 Jahre später liegt er erstmals in deutscher Übersetzung vor.

Wallant begleitet darin seinen namensgebenden Anti-Helden durch die schummrigen Mietshäuser von Manhattan. Im verbeulten Sakko und mit schmutzig-fleckigem Hut auf dem Kopf zieht er jede Woche von Wohnung zu Wohnung und sammelt die Mieten ein. Dabei lernt der Leser die bemerkenswertesten, liebevollst zugespitzten Figuren kennen. Del Rio zum Beispiel, den verzweifelten Boxer, Katz, den exzentrischen Jazz-Musiker, oder den Juden Aaron Lublin, der die Hölle der Konzentrationslager überlebt hat, nur um in den Mietskasernen des New York der frühen 1960er-Jahre in eine andere Hölle zu geraten.

Ihnen allen ist gemeinsam: ihre endlosen, theatralischen Klagelieder über zerbrochene Scheiben, tropfende Wasserhähne, defekte Lampen, brüchige Wände, Kakerlaken und fehlende Fliesen. Mit höflichem Dauerlächeln geht Moonbloom über ihre Beschwerden hinweg, doch nach und nach graben sie sich ihren Weg in sein apathisches Bewusstsein.

Dabei wird sein Dasein genauso wie das seiner teils körperlich leidenden Mieter von den verfallenden Altbauten bestimmt: Sein Bruder Irwin, Besitzer der Mietskasernen, stellt kaum Geld für die überfälligen Reparaturen bereit. Den Litaneien der Mieter, die für ihn erst nach und nach zu Menschen werden, ist Moonbloom hilflos ausgesetzt – bis er seiner Apathie und inneren Isolation ein Ende setzt. „Ich bin es leid, dass alle sagen, ich sei irgendwie benebelt“, sagt er und leitet seine Katharsis ein. Den Charakter des Romans ändert er damit ganz nebenbei mit. Mehr sei an dieser Stelle allerdings nicht verraten.

Insgesamt ist „Mr Moonbloom“ eine bildstarke Sozialstudie über ein armes Manhattan und ein Porträt über ein längst vergessenes, vergangenes New York. Die Straßen, in denen Moonblooms Häuser stehen, befinden sich heute in ziemlich teuren Gegenden. Vor allem aber ist der Roman eine tieftraurige und zugleich beglückende Parabel über den menschlichen Kampf um Würde und die unbändige Kraft von Emotionen. Es ist ein Glücksfall, dass „Mr Moonbloom“ nach Jahrzehnten des Schlummerns erweckt wird.

Edward Lewis Wallant: Mr Moonbloom (Berlin Verlag, 317 S., 22,99 Euro)

 
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