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WÜRZBURG
Der Jude namens Jesus
Religionen: Jahrhundertelang wurde geleugnet – oder verdrängt –, dass Jesus Jude war. Das hatte Folgen. Die reichten von der Verunglimpfung der Juden als Gottesmörder bis zu den Gräueln der Shoah.
Ralph Heringlehner
Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:36 Uhr

Allzu viele historische Fakten haben wir nicht über Jesus von Nazaret. Die wichtigsten Informationsquellen – die vier Evangelien – entstanden Jahrzehnte nach seinem Tod. Auch Briefeschreiber Paulus hat Jesus nie kennengelernt. Sicher ist immerhin: „Jesus wurde als Jude geboren, hat als Jude gelebt und ist als Jude gestorben“, sagt Burkhard Hose. Der Pfarrer der Katholischen Hochschulgemeinde hat sich in das Thema eingearbeitet. Bei den Jüdischen Kulturtagen Bad Kissingen hält er einen Vortrag über „Der Jude Jesus“ (siehe Kasten).

Vor allem das Evangelium nach Matthäus sei von jüdischem Gedankengut und Vorstellungen durchzogen, erklärt Hose. Das hat seinen Grund: Der Autor richtete seine Botschaft offenbar vor allem an Juden, die zu Christen geworden waren – oder zu Christen werden sollten.

Ein theologischer Kniff

„Matthäus stellt Jesus als den Messias dar, der den Juden verheißen wurde“, so Burkhard Hose. Die Flucht nach Ägypten, die nur das Matthäus-Evangelium kennt, sei quasi ein theologisch-literarischer Kniff: So konnte Jesus aus Ägypten kommen. Das stellt ihn in die Tradition von Moses und verknüpft seine Biografie mit dem Alten Testament. Lukas erzählt von Jesu Beschneidung, einem jüdischen Ritual. Sogar hinter der Bergpredigt, für viele Christen ein zentraler Text, stehe jüdisches Gedankengut, erklärt Hose. Und Paulus sieht das Judentum als Wurzel des neuen Glaubens.

Die – wenigen – nichtchristlichen Quellen des ersten Jahrhunderts nehmen das Christentum weniger als eigenständige Religion wahr, sondern „sehen es als innerjüdische Sekte“, sagt Burkhard Hose. Kein Zweifel also: „Jesus hat jüdisch gedacht.“ Eine neue Religion habe er nicht gründen wollen.

Was wollte der Mann aus Nazaret?

Aber was dann? Sicher belegbar ist kaum etwas. Dennoch lassen sich aus den Quellen Schlüsse ziehen. Jesus habe Reformen gewollt, so Theologe Hose. Dafür habe er gekämpft – wie auch andere „Reformgestalten“ jener Zeit. Der Mann aus Nazaret war wohl vor allem Gegner des Herrschaftsanspruchs des Jerusalemer Tempels. Er sah darin ein Symbol der Ausbeutung. Womit er, laut Hose, nicht alleine stand. Jesus wollte wohl weg von der starren Anwendung der Tora (des jüdischen Gesetzes) und trat für eine auf den Menschen ausgerichtete Religion ein. Markus (2, 27) weist in diese Richtung: „Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat.“

Aus all dem folgert Hose, Katholischer Vorsitzender der Würzburger Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit: „Antijudaismus ist mit dem Christentum nicht vereinbar. Als Christen sind wir auf unsere jüdischen Wurzeln angewiesen.“

Bei allem jüdischen Gedankengut, gebe es im Neuen Testament aber auch „eine Tendenz, Jesus vom Judentum abzugrenzen“. Die zeichnet sich vor allem bei Johannes ab, dem um 100 entstandenen, jüngsten kanonischen Evangelium. Die Schuld an Jesu Tod wird da ziemlich unverblümt den Juden angelastet. Generell versuchten die frühen Christen, sich vom Judentum abzugrenzen. Bisweilen wurden die Juden geradezu als Gottesmörder hingestellt. Hose: „Das hat sich jahrhundertelang auf das Verhältnis von Christen und Juden ausgewirkt.“

So zeigten im Mittelalter allegorische Darstellungen, wie die Kirche (also das Christentum) die Synagoge (das Judentum) besiegt. Figuren der siegreichen „Ekklesia“ und der unterlegenen „Synagoge“ gehörten zum Bildprogramm sakraler Kunst. Kirchen wurden häufig dort gebaut, wo vorher Synagogen gestanden hatten – auch das eine deutliche Botschaft. Und immer wieder wurden Juden von Christen verfolgt – bis hin zur Shoah.

Das Bild vom bösen Pharisäer

Das Zweite Vatikanische Konzil hat, wie so vieles andere, auch das Verhältnis zwischen Christentum und Judentum zurechtgerückt. Doch die alten Deutungsmuster sind hartnäckig. Es sei noch gar nicht lange her, dass im Religionsunterricht die Vorstellung einer Konkurrenzsituation zwischen Christentum und Judentum transportiert wurde. Noch heute existiere in vielen Köpfen das Bild vom „Judentum als dunkler Hintergrund, vor dem sich Jesus als Lichtgestalt abhebt“, befürchtet der Priester. „Aber so so funktioniert das nicht.“

Selbst das Bild vom bösen Pharisäer sei schief, mag es sich auch aus den Evangelien herauslesen lassen: Jesus, erklärt Burkhard Hose, habe wohl selbst dem Pharisäertum nahegestanden.

Der Theologe empfiehlt, nicht unreflektiert mit neutestamentlichen Texten umzugehen, sondern den historischen Kontext zu beachten: „Man muss sich immer fragen: ,Was wollte der Autor erreichen?‘“ Hose ist sich klar: „Das ist ein Stück weit mühsam. Aber wichtig.“

Jüdische Kulturtage

Bis 12. November bieten die Jüdischen Kulturtage Bad Kissingen zahlreiche Veranstaltungen. So gibt es einen Vortrag des Berliner Professors Wolfgang Benz zum Thema „Martin Luther und der christliche Antijudaismus“ (11. Mai), Führungen durch jüdische Friedhöfe in der Region, Lieder aus Operetten jüdischer Komponisten (25. Mai), jiddische und hebräische Lieder mit dem Bass Igor Dubovsky (12. November) und die Dauerausstellung „Jüdisches Leben in Bad Kissingen“ im Jüdischen Gemeindehaus (mittwochs 15–17 Uhr).

Burkhard Hose hält seinen Vortrag „Der Jude Jesus“ am 9. März, 19.30 Uhr, in der Stadtbibliothek Hammelburg.

 
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