Kakerlakenkuchen essen und durch Kloaken klettern: Alle Jahre wieder lassen sich Viertel- und Halbprominente von RTL in den australischen Dschungel schicken. Noch bis Samstag, 26. Januar, läuft die siebte Staffel des Dschungelcamps. Ist die als Ekel-TV titulierte Show „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ mittlerweile tatsächlich „in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, wie die „Süddeutsche Zeitung“ behauptet? Ein Gespräch mit Professor Dr. Frank Schwab (49, Foto privat), Medien- und Organisationspsychologe an der Universität Würzburg, über Selbstinszenierung, das Scheitern als Show und den Blick durchs Schlüsselloch.
Frank Schwab: Der Ekel ist natürlich ein Bestandteil des Dschungelcamps, aber nicht mehr der spezielle Reiz. Interessant sind mittlerweile eher die Gruppenprobleme, die losgetreten werden. Es geht um die Art, wie die Akteure sich im Camp präsentieren, was auf zwischenmenschlicher Ebene passiert, und es geht um die traurigen Lebensgeschichten der Prominenten.
Schwab: Die Show bietet vermeintlich einen Einblick in die intimsten Geheimnisse der Kandidaten, durch das Schlüsselloch sozusagen. Zumindest erhofft sich das der Zuschauer.
Schwab: Es ist eine Herausforderung für den Zuschauer, abzuklären, ob sich der Prominente inszeniert oder authentisch gibt. Das ist wie bei einem Krimi, ein Rätsel. Wie stark nutzen die Bewohner die Show zur Selbstdarstellung?
Schwab: Das Dschungelcamp schwankt zwischen Inszenierung und Authentizität. Ich glaube, dass die Kandidaten sich natürlich Gedanken machen, wie sie wirken, dass sie eine Strategie haben. Die haben wir aber alle. Wir alle haben im Alltag unterschiedliche Rollen und wechseln zwischen Selbstinszenierung und Natürlichkeit. Dieser Prozess der Selbstfindung wird im Urwald forciert, da Millionen Menschen zusehen, und man sich im Zweifel vor der breiten Öffentlichkeit blamiert.
Schwab: Scheitern ist ein wichtiges Thema, das wird auch in den Prüfungen inszeniert. Da kommt der Kandidat an einem Hindernis nicht vorbei, und als Zuschauer denkt man: Stell dich nicht so an! Darauf zielen auch die Kommentare der Moderatoren, auf Mängel, Schwächen, auch auf die Vergangenheit der Kandidaten.
Schwab: Ironie und eine Portion Zynismus gehören zur Strategie. Grundsätzlich zielt die Sendung auf Humor ab, und Humor ist nicht nett. Es gibt Theorien, die sagen, Humor ist eine milde Form der moralischen Verurteilung. Ich strafe jemanden damit nicht direkt. Ich lache ihn aus. Mit dem Finger auf Leute zu zeigen und sich zu freuen, das ist beim Dschungelcamp ein Thema. Hauptaufgabe der Moderatoren ist es, durch ihre Kommentare das Geschehen ins Lächerliche zu ziehen und sich dadurch selbst zu inszenieren. Natürlich wird das als Humor verkauft und nicht als moralische Attacke.
Schwab: Ich sage meinen Studenten immer, sie sollen mir mal einen Witz erzählen, bei dem keiner zu Schaden kommt und keine Schwäche fokussiert wird. Massentauglicher Humor funktioniert selten rein über den Überraschungseffekt. Die meisten Scherze gehen auf Kosten eines anderen, das ist ein Aspekt des Humors.
Schwab: Das kommt darauf an, wie man auf die Sendung schaut. Natürlich hat das Dschungelcamp eine Ebene, wo das ganze Unterhaltungsgeschäft persifliert wird und sich selbst nicht ernst nimmt. Auch die Moderatoren begeben sich auf diese zweite Ebene, machen Scherze darüber, wie sie selbst wahrgenommen werden.
Schwab: Die Moderatoren nehmen den Zuschauer an der Hand und bieten humorvoll-zynische, teils moralische Diskurse über die Schwächen der Kandidaten. Daher sind sie wichtige Bezugspersonen für Zuschauer.
Schwab: Nein, ich glaube, dazu braucht es eben die verschiedenen Bestandteile der Sendung. Die Dschungelprüfungen arbeiten natürlich mit Ekel. Insgesamt funktioniert das Format aber nach den klassischen Regeln des Affektfernsehens, das sehr stark auf Emotionen bei den Zuschauern zielt. Dazu gehört eine gewisse Intimisierung, also in Bereiche der Privatheit vorzudringen, die normalerweise nicht sichtbar sind. Probleme werden zudem immer an einer konkreten Person festgemacht und möglichst authentisch dargestellt. Diese Art der Produktion hat sich heute in alle Genres ausgebreitet, das Dschungelcamp ist derzeit nur der prägnanteste Vertreter.
Schwab: Castingsendungen sind durchgestylt, andere Angebote arbeiten mit Drehbüchern, gehören zur sogenannten „scripted Reality“. Zuschauer merken das und entziehen ihre Aufmerksamkeit. Es fehlt der Echtzeit-Charakter. Beim Dschungelcamp wird ein hoher Freiheitsgrad vermutet. RTL hat Leute aufeinander losgelassen, und man sieht jetzt, was passiert. Das Format ist urtümlicher.
Das Dschungelcamp
7,70 Millionen Zuschauer sahen am Montagabend die Show „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“. Am elften Sendetag musste Schauspielerin Allegra Curtis (46), Tochter von Tony Curtis und Christine Kaufmann, das Dschungelcamp verlassen. Die durchschnittliche Einschaltquote betrug 7,27 Millionen Zuschauer pro Ausgabe. Laut RTL ein Rekord. Auch im Internet ist die Show ein Erfolg. Mit 12,8 Millionen Videoabrufen über RTL.de, RTLnow.de und Clipfish.de sowie den mobilen Angeboten habe das Dschungelcamp nach der zehnten Sendung einen neuen Bestwert erreicht. Text: dpa